Mondäne Welt der Schönen und Reichen

05.08.2011
Bei seinem Debütroman "Eine Frage der Höflichkeit" hat sich Amor Towles kräftig bei den Größen der amerikanischen Literatur bedient. Herausgekommen ist eine turbulente Geschichte aus einer vergangenen Epoche, die auch aktuelle Bezüge hat.
Das Gespür dafür, wie moderne Märchen die Fantasie anregen können, hat schon manchen Bestseller produziert. Ein solches Märchen ist auch der Roman "Eine Frage der Höflichkeit", der Mitte der 30er-Jahre in New York beginnt.

Kate, eine arrivierte Journalistin, entdeckt in einer MoMA-Ausstellung das Foto eines abgerissenen Mannes, in den sie einst unglücklich verliebt war. Sie erinnert sich an jenen Theodore Grey, genannt "Tinker", einen charmanten Banker mit besten Manieren, den sie mit ihrer Freundin Eve an Silvester 1938 kennenlernte. Die beiden mittellosen jungen Frauen bringen ihrem neuen Begleiter bei, wie man sich kostenlos in Kinos mogelt, während er sie in die glamouröse Welt der Clubs und Partys einführt.

Ein Autounfall, bei dem Eve schwer verletzt wird, beendet die Menage à trois. Tinker, obwohl in Kate verliebt, nimmt Eve in seine exklusive Central-Park-Wohnung auf. Kate versucht zu vergessen, zielstrebig konzentriert sie sich auf ihren beruflichen Aufstieg und klettert binnen eines Jahres die Leiter hoch, von der Sekretärin in einem Anwaltsbüro zur rechten Hand des Herausgebers eines Glamour-Magazins.

Die turbulente Geschichte dieses Jahres wird aus der Perspektive Kates erzählt. Das eintönige Leben in Großraumbüros schildert sie ebenso wie die rauschenden Feste auf Long Island, in die sie sich clever einschleicht; russische Emigranten in einer Downtown-Spelunke genauso wie die Erben von Wallstreet-Aktien, "die in ihrem Leben nicht das Geringste geleistet haben und sich so selbstsicher gaben wie nach dem Krieg die Piloten der Air Force."

Wie in weiträumigen Kamerafahrten entfalten sich die Atmosphären New Yorks. Der Autor folgt dem schwarzen Portier im noblen Appartmenthaus an der Fifth Avenue, Sekretärinnen in der Mittagspause beim billigen Diner um die Ecke oder dem heimlichen Rendezvous bei Saxofonklängen - er hat ein genaues Gespür für das Geplauder auf Barhockern und U-Bahn-Bänken wie für die intimen Gespräche zwischen Kate und Eve, Kate und Tinker, dessen Geheimnis sich erst nach und nach enthüllt.

Der Roman überzeugt immer dann, wenn kurz und knapp Charaktere skizziert und voneinander abgesetzt werden, oft in bissigen, pointiert-schlagfertigen Dialogen, als hätte Dorothy Parker sie eingeflüstert. Abgesehen von einigen Klischees wie dem skrupellosen Hochglanz-Verleger gelingen Amor Towles packende Nebenfiguren. Allen voran Anne Grandin, eine ungewöhnlich erfolgreiche Geschäftsfrau, die alleinstehend, kultiviert, insgeheim die Fäden des Geschehens in der Hand hält.

Kein Zweifel, Towles hat sich in seinem Debütroman kräftig bei den ganz Großen der amerikanischen Literatur bedient - in der Schilderung der mondänen Welt der Schönen und Reichen etwa bei Fitzgeralds "Der große Gatsby". Auch für seine Romanheldin selbst stand eine literarische Figur Pate: Im Balanceakt des schönen Mädchens, das von der Gönnerschaft reicher Männer abhängig ist, erinnert sie an Holly Golightly.

Doch anders als Truman Capotes Heldin aus "Frühstück bei Tiffany", die am Ende aus Liebe einen armen Schlucker nimmt, mischt Towles noch einen kräftigen Schuss "Sex in the City" in seinen Romancocktail. Seine Frauenfiguren, allen voran die Protagonistin Kate, kommen aus eigener Kraft nach oben, ohne dass die Liebe auf der Strecke bliebe. Auch wenn vieles aus zweiter Hand stammt, ist "Eine Frage der Höflichkeit" ein kurzweiliger Unterhaltungsroman über eine vergangene Epoche mit durchaus aktuellen Bezügen, nicht mehr und nicht weniger.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Amor Towles: Eine Frage der Höflichkeit
Aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel
Graf Verlag, München 2011
416 Seiten, 19,99 Euro
Mehr zum Thema