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Farben, Kosmetika, Reinigungsmittel
Auslöser für dicke Luft im Alltag

Autoabgase sind längst nicht die einzige Quelle von Luftschadstoffen. Auch viele Alltagsprodukte wie Kosmetika und Putzmittel setzen flüchtige organische Verbindungen frei, die die Feinstaubbelastung in der Umwelt erhöhen. Und das deutlich mehr als bislang gedacht.

Von Volker Mrasek | 16.02.2018
    Ein Waschbecken wird Putzmittel gereinigt
    Auch Putzmittel enthalten organische Lösungsmittel. Diese entweichen in die Atmosphäre als flüchtige organische Verbindungen und tragen zur Luftverschmutzung bei (imago / Westend61)
    Klebstoffe, Farben und Anstriche, Druckertinten. Putzmittel und Körperpflegeprodukte - sie alle enthalten organische Lösungsmittel: Stoffe mit niedrigem Dampfdruck, die leicht verdunsten. Deswegen entweichen sie in die Atmosphäre, als sogenannte flüchtige organische Verbindungen oder VOC - so die englische Abkürzung. Dazu zählen Substanzen wie Aceton, Ethanol und Terpene. Mit diesen Substanzen befasst sich Brian McDonald, Umweltingenieur an der Universität von Colorado in Boulder in den USA:
    "Haben Sie sich jemals gefragt, wo die Chemikalien aus Ihren Kosmetika oder Farben abbleiben? 40 Prozent davon entweichen in die Atmosphäre und tragen zur Luftverschmutzung in der Stadt bei."
    Farben und Körperpflegeprodukte gleichauf mit dem Verkehr
    Das liegt daran, dass VOC in der Stadtluft weiterreagieren. Aus ihnen entstehen so zwei unerwünschte Schadstoffe: zum einen das Sommersmog-Gas Ozon, und zum anderen Feinstaub. Als dominierende VOC-Quelle in Städten gilt bisher der Autoverkehr. Denn auch das Abgas von Pkw, Lkw und Motorrollern enthält solche Stoffe. Außerdem entweichen VOC beim Betanken. Doch offenbar sind die Emissionen aus Farben, Parfums und anderen Verbraucherprodukten ähnlich hoch. Zu diesem Schluss kommen Brian McDonald und 19 andere Forscher jedenfalls in einer neuen US-Studie. Sie erscheint heute im Fachjournal "Science":
    "Wir haben herausgefunden, dass in Los Angeles durch die Benutzung von Verbraucherprodukten heute genauso viele VOC freigesetzt werden wie durch den Verkehr. Und dass sie stärker als erwartet zur Bildung von Feinstaub-Partikeln beitragen. Das ist ein Problem. Denn Mediziner betrachten Feinstaub als den gefährlichsten von allen Luftschadstoffen."
    Farben und Körperpflegeprodukte gleichauf mit dem Verkehr. Warum? Vor allem, weil Autos mit der Zeit viel sauberer geworden sind. Der 3-Wege-Katalysator hat seinen VOC-Ausstoß drastisch verringert. Die Ausdünstungen von Putzmitteln und Parfums aber gingen nicht zurück. Dadurch ist ihr Beitrag relativ gesehen immer größer geworden. Hinzu kommt, dass die VOC-Emissionen aus Verbraucherprodukten wohl viel größer sind als bisher angenommen. Die US-Forscher korrigieren sie jetzt stark nach oben - nach aufwendigen Recherchen in Stoff- und Emissionsdatenbanken und eigenen Schadstoffmessungen. Christopher Cappa, Professor für Atmosphärenwissenschaft an der Universität von Kalifornien in Davis:
    "Durch unsere Studie kann möglicherweise eine bestehende Lücke in den Computermodellen geschlossen werden, die man nutzt, um Feinstaubquellen zu bestimmen und sie zu regulieren. Wir gehen jetzt davon aus, dass fast die Hälfte der Partikel, die luftchemisch entstehen, auf das Konto der Verbraucherprodukte geht. Das sollte man fortan in den Modellen berücksichtigen."
    Die Ergebnisse sind wohl auf Deutschland übertragbar
    Die Studie ist allerdings kein Persilschein für den Autoverkehr. Sie geht lediglich auf Feinstaub ein, der indirekt gebildet wird, durch chemische Folgereaktionen in der Atmosphäre. Diesel- und auch Benzin-Pkw stoßen Partikel aber bekanntlich auch direkt aus. Dazu die Atmosphärenchemikerin Jessica Gilman. Sie arbeitet bei der nationalen Fachbehörde für Ozean und Atmosphäre in den USA.
    "Autos sind heute viel, viel schadstoffärmer. Aber immer noch der Hauptproduzent von schädlichen Stickoxiden, aus denen auch Ozon entsteht. Und sie sind auch unverändert eine wichtige Quelle für Feinstaub-Partikel in der Stadtluft."
    Umweltpolitische Maßnahmen empfehlen die Forscher allerdings nicht. Es sei noch zu wenig über die vielen verschiedenen VOC-Vertreter und ihre Reaktionen bekannt. Übrigens auch, was ihre Wirkung in Häusern und Wohnungen betrifft. Dort werden sie häufig freigesetzt und kommen in viel höheren Konzentrationen vor. Prinzipiell sind die Ergebnisse aus Kalifornien wohl auf Deutschland übertragbar. Auch hier ist der VOC-Ausstoß von Autos stark zurückgegangen. Farben, Kosmetika und Reinigungsmittel sollten als Auslöser für dicke Luft in der Stadt also auch bei uns zunehmend wichtiger geworden sein.