Mohammed-Karikaturen in Frankreich

Der schwierige Neuanfang von "Charlie Hebdo"

Das Titelbild des neuen "Charlie Hebdo"-Heftes
Die Redaktion von "Charlie Hebdo" hat bis heute Schwierigkeiten, geeignete Nachfolger für die Opfer des Anschlags zu finden. © Ian Langsdon, dpa picture-alliance
Von Änne Seidel · 29.09.2015
Im Januar 2015 löschten radikale Islamisten fast die gesamte Redaktion der Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" aus. Dennoch versuchen Frankreichs Karikaturisten weiterzumachen. Dazu gehört auch die Frage: Darf ein Karikaturist wirklich alles zeichnen?
"Bonjour, je cherche 'Charlie Hebdo' ..."
"Vous l'avez là-bas, sur le présentoir!"
Kioskbesitzer Jean Besnard hat "Charlie Hebdo" ein prominentes Plätzchen gegeben: Auf dem Zeitungsständer vor seinem Laden, zwischen dem deutschen "Spiegel" und einem französischen Fußballmagazin. Das hellblaue Cover der jüngsten Charlie-Ausgabe ist kaum zu übersehen.
Besnards Kiosk steht mitten auf den Champs-Elysée. Massen von Touristen kommen vorbei – und kaufen eifrig das Satire-Blättchen:
"Früher haben wir 'Charlie Hebdo' nie an Ausländer verkauft. Aber das Attentat hat die Zeitung im Ausland bekannt gemacht. Und jetzt kaufen sie das Blatt, die Italiener, die Südamerikaner, Menschen aus der ganzen Welt kaufen 'Charlie Hebdo'. Franzosen kaufen die Zeitung dafür kaum noch, nein, das ist vorbei.
Die Welle der Solidarität für "Charlie Hebdo", die sich auch in den sprunghaft angestiegenen Verkaufs- und Abozahlen ausdrückte – die habe gerade mal ein, zwei Monate angehalten:
"Ca n'a pas duré très longtemps, peut-être un mois, ou deux, mais après ca a été fini."
Geldsegen mit Nebenwirkungen
Aber es hat gereicht, um "Charlie Hebdo" ungekannten Reichtum zu bescheren. Das Geld war allerdings nicht nur ein Segen, sondern sorgte auch für heftigen Streit in der Redaktion. Ein Teil der Mitarbeiter sprach vom "Gift der Millionen". Sie haben Angst, dass eine kleine Chefetage in Zukunft alleine über das Geld und den Inhalt des Blattes entscheidet.
Es ist ein holpriger Neuanfang für "Charlie Hebdo": Die Redaktion tut sich schwer, neue, gute Mitarbeiter zu finden. Die wären umso wichtiger, da zwei langjährige Redaktionsmitglieder angekündigt haben, die Zeitung zu verlassen. Karikaturist Luz geht bereits in diesen Tagen, Kolumnist Patrick Pelloux möchte Anfang Januar aussteigen. Luz, Pelloux, aber auch die, die weitermachen – alle hadern sie mit dem eigenen Heldenstatus.
"Innerhalb weniger Minuten sind wir zu einem weltweiten Symbol geworden. Zum Inbegriff der Meinungsfreiheit und der Freiheit des Gewissens. Aber ich sage Ihnen was: Das ist nicht unsere Aufgabe! Keiner bei 'Charlie Hebdo' hat einen Vertrag unterschrieben, in dem steht, dass er ein Held sein soll."
Sagte Chefredakteur Gérard Biard vor Kurzem bei einer Rede in Deutschland.
Vorerst keine Mohammed-Karikaturen
Trotz allem: Inhaltlich versucht Charlie Hebdo weiterzumachen, wie zuvor – provokant und respektlos gegenüber Autoritäten aller Art. Zwar haben sowohl Luz, also auch der leitende Redakteur Riss angekündigt, vorerst keine Mohammed-Karikaturen mehr zu zeichnen. Sie haben ihre Entscheidung aber künstlerisch begründet – nicht mit Angst vor Islamisten. Vergangene Woche auf einem internationalen Karikaturisten-Treffen in Paris sagte Riss klipp und klar:
"Wir dürfen uns von diesen Typen nicht beeindrucken lassen, von ihrer debilen Denke, von ihrer Gewalt, von ihren dämlichen Argumenten. Wir müssen weitermachen, mit dem, was wir tun!"
Selbstzensur – das ist für Riss nach wie vor keine Option.
"Nous, on n'arrête pas de faire de l'autocensure, toi tu fais de l'autocensure"
"Ah non, toi peut-être, mais pas moi. Non."
Neben Riss saß Plantu, einer der wichtigsten politischen Karikaturisten im Land. Seit Jahrzehnten zeichnet er für die Tageszeitung "Le Monde" und ist der französische Gegenentwurf zu den Machern von "Charlie Hebdo". Nie hat er Mohammed gezeichnet und ist überzeugt: Karikaturisten müssen immer den Kontext berücksichtigen, in dem sie eine Zeichnung veröffentlichen:
"Als der Jyllands-Posten damals die Mohammed-Karikaturen gedruckt hat, bin ich sofort nach Kopenhagen gefahren, um zu sehen, wie die dänischen Karikaturisten die Aufstände in der islamischen Welt erleben, wie sie mit den Morddrohungen umgehen. Und da habe ich verstanden: Was den dänischen Karikaturisten passiert, wird uns allen passieren. Also habe ich meine Karikaturisten-Freunde gewarnt: Hört auf, zu glauben, dass das, was ihr hier im Pariser Quartier Latin zeichnet, nur eure Leser aus dem Quartier Latin interessiert. Aber sie haben es nicht verstanden, obwohl ich sie gewarnt hab. Ich wollte ihnen helfen."
Dialog statt Anarchismus
Anders als die anarchischen Zeichner von "Charlie Hebdo" setzt sich Plantu schon seit Jahren aktiv für den Dialog ein. Regelmäßig besucht er Schulen, um Kindern und Jugendlichen seine Arbeit zu erklären. Das, sagt Plantu, sei der einzige Weg, um weitere Attentate zu verhindern:
"Wir müssen den jungen Leuten zuhören, denen, die Charlie sind genauso wie denen, die nicht Charlie sind. Mir ist es lieber, wenn sie uns Karikaturisten in den Schulen kritisieren, uns dann am Ende aber doch applaudieren, weil sie unsere Arbeit verstanden haben. Das ist mir lieber, als wenn sie irgendwann mit Kalaschnikows durch die Straßen laufen."
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