"Mohammed ist eine Projektionsfläche"

Muhammad Sven Kalisch im Gespräch mit Katrin Heise · 29.09.2008
Der Münsterraner Islamforscher Muhammad Sven Kalisch hat seine Zweifel an der historischen Existenz des islamischen Religionsstifters bekräftigt. Kalisch betonte, Mohammeds Geschichtlichkeit stehe nicht fest. "Ich halte sie weder für beweisbar noch für widerlegbar."
Katrin Heise: Es war eine heikle Mission von Anfang an. Muhammad Sven Kalisch hatte seit 2004 den ersten deutschen Lehrstuhl zur Ausbildung von islamischen Religionslehrern inne. "Die Zeit" schrieb damals, Zitat: "Vielleicht ist Muhammad Sven Kalisch auch deshalb gut geeignet für seinen wackligen Stuhl, er hat an jeder Seite etwas zu kritisieren, und jede Seite hat an ihm etwas auszusetzen. Weil er es keinem ganz recht macht, können sich alle auf ihn einigen." Zitat Ende. Vor zwei Wochen nun konnten sich alle nur noch darauf einigen, dass er keine Religionslehrer mehr ausbilden darf. Dafür wird zurzeit ein neuer Professor gesucht. Kalisch hat die Existenz des Propheten Mohammed angezweifelt, öffentlich. Die Existenz Mohammeds ist aber so etwas wie ein Dogma im Islam. Beim gläubigen Kalisch gingen die Muslime davon aus, dass er dieses Dogma teile. Ich begrüße nun Muhammad Sven Kalisch, Islamwissenschaftler an der Universität Münster. Schönen guten Tag!

Muhammad Sven Kalisch: Guten Tag!

Heise: Was hat Sie so überzeugt, als Sie als Jugendlicher aus völlig freien Stücken zum Islam konvertierten, auf welchem Fundament ruht Ihr Glaube?

Kalisch: Ich bin als Jugendlicher nach Beschäftigung mit dem Islam aus theologischen Gründen, der klare Monotheismus beispielsweise, zum Islam übergetreten, und ich sehe mich auch heute noch nicht als Apostat.

Heise: Das heißt, Ihr Glaube ruht ganz fest auf dem, was Sie auch damals glaubten?

Kalisch: Nein, nicht mehr ganz fest auf dem, was ich damals geglaubt habe. Ich kann bestimmte Dinge so nicht mehr glauben. Das ist völlig klar. Wenn man zu dem Ergebnis gelangt, und dazu bin ich nun mal gelangt und deswegen muss ich das als Hochschullehrer auch klar ausdrücken und auch ausdrücken dürfen, ich bin zu dem Ergebnis gelangt, dass in der Tat die Geschichtlichkeit Mohammeds nicht feststeht. Ich halte sie weder für beweisbar noch für widerlegbar. Und das muss man den Studenten dann auch so sagen. Ich kann mich als Professor ja nicht hinstellen und Dinge lehren, von denen ich nicht überzeugt bin. Da haben sich natürlich einige Sachen verschoben. Und als islamischer Theologe muss man sich dann fragen, wie kann man in der Theologie mit solchen Erkenntnissen umgehen.

Heise: Wie haben Sie sich also entschieden, als islamischer Theologe?

Kalisch: Als islamischer Theologe habe ich mich dafür entschieden, die Dinge insofern weiter zu hinterfragen und sich mal genauer anzuschauen, was ist es denn eigentlich mit dem historischen Mohammed? Wenn wir uns anschauen, wie die Muslime mit der Person Mohammeds umgehen, dann wird man, bei genauerem Hinschauen, feststellen, dass Muhammed ohnehin nur die Projektion für sozusagen das Bild eines idealen Menschen ist. Schauen Sie sich an, wie die Fundamentalisten, die Dschihadisten ihren Mohammed zeichnen und wie die liberalen Muslime oder die sogenannten Modernisten Mohammed zeichnen. Das sind zwei völlig unterschiedliche Mohammed-Bilder, die aus einer großen Tradition von Überlieferungen herausgenommen werden. Das heißt, wenn man sich das mal ehrlich eingesteht, ist Mohammed ohnehin nur eine Projektionsfläche für theologische Ideen. Und insofern hat der historische Mohammed, glaube ich, ohnehin kein allzu großes Interesse in diesem Bereich. Und insofern denke ich, wenn man sich das eingesteht, kann man auch weiterhin islamische Theologie betreiben. Im Übrigen, man hat ja keine Wahl. Wenn man zu dieser Erkenntnis gelangt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man tut so, als hätte man diese Erkenntnis nicht, heuchelt sich selbst an und auch andere und macht so weiter, oder aber man muss versuchen, damit umzugehen. Christliche Theologie hatte ähnliche Probleme, als sie angefangen hat mit der historisch-kritischen Theologie. Und da hat es auch ähnlich gescheppert an den Universitäten.

Heise: Fühlen Sie sich eigentlich manchmal ein bisschen wie eine gespaltene Persönlichkeit, so gespalten zwischen Wissenschaftler und Gläubigem?

Kalisch: Nein, das nicht. Deswegen mache ich das ja auch so, weil ich das gerade nicht will. Ich will nicht aufspalten zwischen meiner Person als Gläubiger und als Wissenschaftler. Wenn ich nur wissenschaftlich zu einer bestimmten Ansicht gelange, dann muss ich auch sehen, wie ich das miteinander vereinbaren kann. Genau gerade das will ich ja vermeiden. Ansonsten könnte ich ja einfach sagen, business as usual, ich denke mir meinen Teil, und vor meinen Studenten erzähle ich dann das, was allgemein gewünscht wird.

Heise: Welche Reaktionen, Herr Kalisch, hatten Sie eigentlich erwartet, als Sie sich öffentlich so äußerten, denn es gibt eine Mehrheit der kritischen Islamwissenschaftler, die ebenfalls natürlich davon ausgeht, dass es keine unzweifelhaft aus der Zeit stammenden Originaldokumente gibt, aber man einigt sich doch eigentlich immer darauf, dass Mohammed keine fiktive Gestalt, sondern schon eine historische Gestalt, die ungefähr an dem Ort, ungefähr zu der Zeit gelebt hat. Sie sind ja weiter gegangen. Welche Reaktion hatten Sie erwartet?

Kalisch: Dass das heftige Reaktionen auslöst, das war mir völlig klar. Und da war ich auch immer bereit, meinen Kopf dafür hinzuhalten. Ich denke, das ist auch die Aufgabe eines Hochschullehrers zu forschen, zu lehren und dann auch für die Dinge, zu denen man kommt, einzustehen und diese dann auch in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Insofern war ich da auf einiges gefasst vor diesem Hintergrund. Was das Problem angeht, dass die meisten meiner Kollegen weiterhin daran festhalten, dass es da bestimmte Eckdaten gibt und dass das wohl historisch ist, das sehe ich auch so. Die Frage ist nur: Macht das Sinn, so vorzugehen? Was ja normalerweise gemacht wird, ist, dass man sich die Quellen anschaut, im Prinzip unterstellt, da wird schon historischer Kern sein, dann zieht man alle Wundergeschichten ab und alles, was sonst offensichtlich unmöglich ist, und sagt, der Rest muss irgendwie Geschichte sein. Ich glaube, das kann man so nicht machen. Mein zentrales Argument ist, und das ist auch der Grund oder das ist der Punkt, wo ich mit den Kollegen Ohlig und Popp übereinstimme, die auch im Zusammenhang sehr stark immer wieder zitiert werden. Ich glaube, dass es sowohl innerhalb der islamischen Quellen ganz große Ungereimtheiten gibt als auch, wenn man sie mit den archäologischen Daten und mit nicht islamischen Quellen vergleicht. Und daraus komme ich zu dem Schluss, dass die islamische Geschichtsschreibung konstruierte Heilsgeschichte ist. Und das wiederum bedeutet, ich kann nicht einfach davon ausgehen, dass hinter diesen Quellen wirklich ein historischer Kern stecken muss. Und das wiederum führt letztlich zu dem Ergebnis, das bei mir persönlich so ist, dass ich eigentlich sehr viele offene Fragen habe. Ich habe ganz viele Fragen, die ich noch überhaupt nicht für mich selbst beantwortet habe, aber das muss ich dann auch so machen.

Heise: Haben Sie mit Ihrer Ehrlichkeit nicht aber dem islamischen Religionsunterricht einen Bärendienst erwiesen, denn der kann ja nur funktionieren, wenn auch streng gläubige Eltern dem Lehrer an dieser staatlichen Schule, wo ihr Kind unterrichtet werden soll, auch vertrauen. Das werden die aber wahrscheinlich nicht, wenn dieser Lehrer aus Ihrer kritischen Schule kommt?

Kalisch: Das kann in der Tat sein, nur dann muss man sich wiederum fragen, was wird eigentlich gewollt, was will man eigentlich? Wenn es darum geht, die Kinder aus den Koranschulen herauszuholen, kann es ja wohl keine Lösung sein, die Koranschulen an die Schulen zu holen, an die staatlichen Schulen zu holen. Ich denke, ein moderner Religionsunterricht muss für ganz bestimmte kritische Fragen auch für eine Erziehung zu einer kritischen Religionsmündigkeit geeignet sein. Und dazu gehört es selbstverständlich, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.

Heise: Vielleicht aber Stück für Stück, vielleicht sind wir einfach noch nicht so weit?

Kalisch: Wann sollen sie denn so weit sein? Irgendwann muss die Diskussion ja mal angestoßen werden. Irgendwann muss es auch mal ein Moslem machen.

Heise: Zeigt sich in dieser Frage Ihrer Meinung nach, dass der gewählte Weg, eben der staatlichen Kooperation in Glaubensdingen, so eigentlich nicht wirklich zu gehen ist? Der sollte ja eigentlich dieses Dilemma eben lösen. In Glaubensfragen muss der Staat neutral sein, andererseits muss er den Religionsunterricht gewährleisten, auch den muslimischen.

Kalisch: Da gibt es eine ganze Reihe von Problemen in dieser Konstruktion. Ich würde sagen, das ist gangbar, grundsätzlich gangbar, wenn aufseiten derjenigen Verbände oder Institutionen, wer auch immer, die im Sinne des Grundgesetzes Religionsgemeinschaften sind und damit auch letztlich verantwortlich für den Religionsunterricht, wenn dort ganz bestimmte Grundauffassungen vorhanden sind, die sich mit dem Grundgesetz nicht im Widerspruch befinden und die eine ganz bestimmte Offenheit gegenüber der wissenschaftlichen Forschung aufweisen, dann funktioniert das.

Heise: Ihre Kritiker, zum vom Koordinationsrat der Muslime, die freuen sich, dass sie nun quasi mitgeredet haben bei der Besetzung eines Lehrstuhls. Das wollten Sie ja nun eigentlich auch nicht.

Kalisch: Nein, aber hier sage ich auch ganz deutlich, zunächst mal, ich bin Demokrat. Und wenn eine demokratisch gewählte Regierung, wie etwa Nordrhein-Westfalen, jetzt einen ganz bestimmten Entschluss fasst, dann habe ich das zu akzeptieren, selbstverständlich. Meine Aufgabe ist, eine bestimmte Position zu formulieren und auch argumentativ dafür einzutreten. Das tue ich. Und ich warne vor dem, was im Moment gemacht wird. Mehr kann ich nicht tun. Wenn Politik sich anders entscheidet und auch wenn die Mehrheit der Muslime in diesem Land sich im Übrigen anders entscheiden sollte, dann muss ich das akzeptieren und dann werde ich das auch akzeptieren. Ich werde aber nicht aufhören, davor zu warnen, weil ich glaube, dass die Entscheidung für einen Islam, der definiert wird von Verbänden, die ganz klar sagen, für uns gibt es keine historisch-kritische Methode im Islam. Ich glaube, dass eine solche Entscheidung weder für die Mehrheitsgesellschaft noch für die Muslime insgesamt auf Dauer gesehen gut und tragbar ist.

Heise: Sie haben gesagt am Anfang unseres Interviews, dass Sie auch bereit waren, durchaus Ihren Kopf hinzuhalten, so nannten Sie es, und jetzt, ja jetzt haben Sie sozusagen die Aufgabe, Religionslehrer ausbilden zu können, verloren. Sind Sie da nicht doch sehr enttäuscht und traurig drüber?

Kalisch: Ja, klar. Das ist etwas, was ich gerne getan habe, was ich auch gerne weiter tun würde, selbstverständlich. Nur die Dinge sind so, wie sie sind, und man muss sich selbst treu bleiben und man muss das tun, was man tun muss in dieser Angelegenheit. Ich kann ja weiterhin forschen und lehren, insofern kann ich meinem frei gewählten und auch sehr geliebten Beruf als Hochschullehrer weiter nachgehen, aber ich würde natürlich auch gerne weiterhin die Lehrer ausbilden selbstverständlich.

Heise: Muhammad Sven Kalisch, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch.

Kalisch: Ich bedanke mich auch