Mohammad-Porträts als eine Art Heiligenbildchen

14.11.2007
Bildliche Darstellungen sind aus der christlich-abendländischen Kultur nicht wegzudenken. Dagegen ist im Zusammenhang mit dem Islam immer wieder von einem "Bilderverbot" die Rede. Was es damit auf sich hat, erklärt die Schweizer Professorin Silvia Naef in ihrem Buch "Bilder und Bilderverbot im Islam".
Diese Bilder haben wir noch klar vor Augen: Die Statuen der Buddhas von Bamyan in Afghanistan werden im März 2001 von radikalen Koranschülern gesprengt. Knapp zweitausend Jahre altes Weltkulturerbe fällt innerhalb von Sekunden in sich zusammen.

Auch das erinnern wir: vor zwei Jahren druckt eine dänische Tageszeitung Karikaturen des Propheten Mohammed, woraufhin sich in Teilen der islamischen Welt größte Empörung Bahn bricht. Im Streit um das Für und Wider des Abdruckens wurde - ebenso wie im Zusammenhang mit der Sprengung der Buddhastatuen - von Kommentatoren häufig auf das islamische "Bilderverbot" verwiesen.

Existiert aber tatsächlich ein solches Bilderverbot? Wie kommt es dann, dass im Alltag islamischer Länder - ebenso wie anderswo auf der Welt - Bilder ständig präsent sind?

Aufklärung verspricht die Schweizer Professorin Silvia Naef. Sie unterrichtet Kulturgeschichte der arabischen Welt an der Universität Genf und ist Spezialistin für islamische Kunst. In ihrem Buch "Bilder und Bilderverbot im Islam. Vom Koran bis zum Karikaturenstreit" geht sie der durchaus widersprüchlichen Geschichte des Bildes in arabischen Ländern nach. Anhand zahlreicher Beispiele widerlegt sie das Vorurteil, der Islam sei per se bilderfeindlich.

"Bilder hat es im Islam immer gegeben, nur hatten sie eine andere Funktion als im Westen, vor allem auf religiösem Gebiet. Von Anfang an hat die islamische Religion es abgelehnt, Bilder als Kultgegenstände zuzulassen. Dennoch hatte das Bild von Anfang an seinen Platz im privaten und profanen Leben der Menschen."

Naef gibt eine chronologische Übersicht zum Umgang mit Bildern im Islam. Sie begibt sich zuerst ins 7. Jahrhundert, überprüft die Quellentexte. Häufigster Ausgangspunkt für ein Bilderverbot ist ein Koranvers, in dem der Gläubige aufgefordert wird, neben Wein und Losspiel auch "Opfersteine" zu meiden. Diese, erklärt Silvia Naef, wurden im vorislamischen Arabien für Kulthandlungen genutzt. Es konnten kleine Statuen sein oder auch bloße Steine. Nach Ausbreitung des Islam galten sie als Götzenbilder.

Dass Allah, der neue, monotheistische Gott keine Konkurrenz mehr zulassen wollte, müsste auch Christen leicht nachvollziehbar sein. Ebenfalls als "Bild" gelten im Islam Darstellungen von Wesen "mit Lebensodem", also Menschen und Tiere. Wer sie erschafft, begibt sich streng genommen in Konkurrenz zu Allah, dem alleinigen Schöpfer. Das sollte ausgeschlossen werden.

Silvia Naef betont, dass Allahs und des Propheten Worte von der islamischen Geistlichkeit jedoch immer schon unterschiedlich interpretiert wurden. So waren bildliche Darstellungen beispielsweise an Wänden und auf Vorhängen - in der Höhe also, wo etwas angebetet werden kann - verboten. Auf Kissen und Teppichen waren sie hingegen erlaubt. Was man mit Füßen tritt, kann toleriert werden.

"Die meisten Geistlichen haben, statt das Bild zu bekämpfen, eher versucht, die Quellen neu auszulegen, um das Bild im Alltagsleben erlauben zu können. Verurteilungen sind in der Regel moralischer Art: das Bild gehört verboten, wenn es gegen bestimmte Regeln verstößt oder wenn an das Tabu der Darstellung des Propheten und seiner Angehörigen gerührt wird."

Eine ausgesprochene "Theorie des Bildes" kann die Autorin jedoch in den Grundlagentexten des Islam ebenso wenig ausmachen wie grundsätzliche Bilderfeindlichkeit. Sie verweist auf Fakten: die mit figürlicher Malerei und Mosaiken reich ausgeschmückten Paläste der arabischen Herrscherdynastien der Umayyaden oder Sassaniden.

Darauf, dass man bereits um 900 begann, Keramikgefäße mit tierischen und menschlichen Figuren zu bemalen und Manuskripte mit hochkünstlerischen Illustrationen versah. Auf die Miniaturmalerei und den Einfluss europäischer Kunst ab dem 15. Jahrhundert. Porträts, Selbstporträts, Schlachtszenen, Historienmalerei setzen sich durch, gefördert von mäzenatischen, muslimischen Herrschern.

Auf 160 Seiten gibt Sylvia Naef eine erhellende Übersicht über 1400 Jahre Bildergeschichte des Islam. Ihr Fazit: Islamisch geprägte Gesellschaften gehen anders mit Bildern um, schließen sie von der religiösen Praxis aus, erlauben sie vielfach im profanen Bereich - wobei die Grenzen fließend sind. Besonders anschaulich macht das die Abbildung eines Mohammad-Porträts, das sich nach Auskunft der Autorin besonders in der islamischen Republik Iran als eine Art Heiligenbildchen größter Beliebtheit erfreut. Dass die bildliche Darstellung des Propheten einem Bild der deutsch-österreichischen Fotografen Lehnert und Landrock vom Beginn des 20. Jahrhunderts nachempfunden ist, scheint keinen Gläubigen zu stören. Silvia Naef schließt ihre erhellende Untersuchung mit einer optimistischen Aussicht:

"Wenn man den realen Platz den das Bild inzwischen in der islamischen Welt innehat, mit dem religiösen Theoretisieren über das Bild vergleicht, müsste man überprüfen können, ob, wie vielfach behauptet wird, die Meinung der Gelehrten die Gesellschaft formt oder ob nicht vielmehr die Entwicklung der Gesellschaft die islamischen Gelehrten zwingt, das religiöse Gesetz neu zu formulieren, um das, was in die allgemeinen Sitten und Gebräuche längst Einzug gehalten hat, wenigstens teilweise zu legitimieren."


Rezensiert von Carsten Hueck


Silvia Naef: Bilder und Bilderverbot im Islam
Aus dem Französischen von Christiane Seiler.
C.H. Beck Verlag, München 2007, 160 Seiten, 19,90 Euro