Mölln: 25 Jahre nach dem Brandanschlag

Wenn Opfer nicht mehr schweigen wollen

Blick auf das ausgebrannte Haus in Mölln, in dem in der Nacht zum 23. November 1992 drei Menschen ums Leben gekommen sind.
Blick auf das ausgebrannte Haus in Mölln, in dem in der Nacht zum 23. November 1992 drei Menschen ums Leben gekommen sind. © dpa / picture-alliance
Von Johannes Kulms  · 06.11.2017
Als Neonazis am 23. November 1992 das Haus der Familie Arslan in Mölln in Brand steckten, verlor der siebenjährige Ibrahim Arslan in den Flammen seine Schwester, Cousine und Großmutter. Heute ist er 32 und kämpft dafür, Rassismus-Opfern eine Stimme zu geben.
Ibrahim Arslan sitzt in einem Café im Hamburger Stadtteil Horn. Jahrelang hat der 32-Jährige in der Kaffeebranche gearbeitet. Seit 2014 nun macht er etwas anderes, ist für seine Arbeit viel auf den Straßen der Hansestadt unterwegs: Er schreibt Strafzettel.
"Also, in anderen Städten würde man dazu Politesse sagen oder Politeur. Wenn das Wetter schön ist, macht das Spaß, weil du ja draußen spazieren gehst. Es macht Spaß, die Leute darauf hinzuweisen, was passieren kann, wenn man in einer Feuerwehrzufahrt parkt, weil wir das spüren mussten, als unser Haus gebrannt hat."

Arslans Großmutter rettete den Enkel und starb in den Flammen

Arslan hat es am eigenen Leib gespürt. Sieben Jahre war er alt, als in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1992 plötzlich das Haus der türkischen Familie in Mölln lichterloh brennt. Zwei Neonazis hatten Molotowcocktails in das Gebäude in der Mühlenstraße 9 geworfen.
"Ich kann mich daran erinnern, dass ich zwischenzeitlich aufgewacht bin. Ich hab gesehen, dass im Hintergrund Töpfe gebrannt haben. Ich gehe davon aus, dass meine Oma mich in die Küche gebracht hat. In nassen Handtüchern und neben den Kühlschrank gestellt hat und meine Schwester und meine Cousine retten wollte, weil wir im gleichen Zimmer geschlafen haben. Aber dann selber ums Leben gekommen ist."

Bei dem Brandanschlag auf ihr Haus wurden die 51-jährige Bahide Arslan und zwei ihrer Enkel in der Nacht zum 23. November 1992 getötet.
Bei dem Brandanschlag auf ihr Haus wurden die 51-jährige Bahide Arslan und zwei ihrer Enkel in der Nacht zum 23. November 1992 getötet. © picture-alliance / dpa
Auch seine Schwester und seine Cousine sterben in den Flammen. Erst nach mehreren Stunden wird Ibrahim Arslan von der Feuerwehr gefunden. In der Küche kauernd, noch immer eingewickelt in die Handtücher.
"Ich kann mich dann halt nur noch erinnern, weil ich ja ein Kind war mit Fantasie bisschen, dass mich Aliens entführt haben. Was aber letztendlich Feuerwehrleute mit Masken waren, die kommuniziert haben. Und nur noch an den ersten Moment, wo ich dann meine Mama gesehen habe, liegend neben mir im Krankenhaus."

Eine Stadt wird zum Symbol für Ausländerhass

Die Bilder vom Möllner Fachwerkhaus in Flammen – sie gehen im November 1992 um die Welt. Über Nacht wird die kleine Stadt im Herzogtum Lauenburg zum Symbol für Ausländerhass. Jedes Jahr, wenn es auf den Jahrestag des Brandanschlags zugeht, kommen bei Ibrahim Arslan wieder die Erinnerungen hoch.
"Es ist für einen Überlebenden so, als wenn der Tag wieder jeden Tag neu geschieht, also ob diese Nacht noch mal passieren wird. Und weil wir nicht wollen, dass das noch mal passiert, sind wir jedes Jahr in Mölln."
Ibrahim Arslan, Überlebender des Brandanschlags in Mölln im November 1992, spricht am 26.08.2017 in Rostock.
Ibrahim Arslan, Überlebender des Brandanschlags in Mölln im November 1992, spricht am 26.08.2017 in Rostock.© dpa / picture-alliance
Arslan hat mehrere Therapien gemacht. Das hilft ihm, mit den Folgen des Brandanschlags besser umzugehen. Vor allem aber hat er Kraft gefunden. Und Mut. Über das zu sprechen, was ihm und seiner Familie widerfahren ist. Er geht in Schulen, spricht mit Jugendlichen über seine Geschichte.
Er will nicht nur Opfern eine Stimme geben – sondern auch ihre Rolle anders definieren. Erst recht bei Gedenkveranstaltungen. Arslan hat sich in den letzten Jahren mit den Opfern der NSU-Terrorserie solidarisiert und ist auf Veranstaltungen gemeinsam mit ihnen aufgetreten.
"Also, genau darum geht es in einem Gedenken. Dass einfach Betroffene viel mehr Mut sammeln sollen, um einfach zu erkennen, dass sie nicht die Statisten sind, dass sie nicht die Gäste sind, sondern dass sie die Hauptzeugen sind, dass sie die Hauptdarsteller sind in einer Gedenkveranstaltung, in einer Veranstaltung, wo sie eingeladen sind."

Arslan kritisiert, dass nur wenige Möllner zur Gedenkveranstaltung kamen

Auch in Mölln wollte Ibrahim Arslan nicht mehr länger Statist sein, wie er sagt. Noch heute steht bei YouTube ein kurzer Videoclip online von 2012, als sich der Brandanschlag zum 20. Mal jährte. Das Video ruft zur Demo in Mölln am 17. November zum Gedenken auf an Ibrahim Arslans getötete Schwester, seine Cousine und seine Großmutter. Am selben Tag fand auch Konzert statt, bei dem unter anderem Jan Delay und Sammy Deluxe auftraten.

Hunderte Menschen seien zur Demo und zum Konzert gekommen – aber nur wenige Möllner, sagt Arslan. An der Gedenkveranstaltung am Abend nahm Torsten Albig, Schleswig-Holsteins damaliger Ministerpräsident teil, ebenso der türkische Botschafter. Bei dieser Gedenkveranstaltung sei es zu einem Eklat gekommen, wird es später in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung heißen.
Faruk Arslan (2.v.r), der Sohn der getöteten Bahide Arslan und Vater der ebenfalls getöteten Yeliz Arslan, am nehmen am 17.11.2012 an der Demonstration "Mölln '92 - Gedenken und anklagen" teil.
Faruk Arslan (2.v.r), der Sohn der getöteten Bahide Arslan und Vater der ebenfalls getöteten Yeliz Arslan, am nehmen am 17.11.2012 an der Demonstration "Mölln '92 - Gedenken und anklagen" teil.© dpa / picture-alliance

Arslans Familie fühlt sich von den Politikern allein gelassen

Demnach machte Ibrahim Arslan seiner Wut auf Politik und Stadt Luft, die die Familie alleine gelassen hätte. Auch zwei weitere Mitglieder von Arslans Familie machten ähnliche Vorwürfe, zum Beispiel, dass es keine Hilfe vom Staat gegeben hätte. Vertreter von der Stadt und der Politik widersprachen. Möllns bis heute amtierender Bürgermeister Jan Wiegels schilderte, wie viele Bürger sich für das Gedenken einsetzten. Und sagte laut SZ mit Blick auf die Veranstaltung: "Das hier war ungerecht und respektlos". Ibrahim Arslan schildert es im Rückblick so:
"Ich würde sagen, das war ein Kettenbruch des Schweigens. Das war kein Eklat. Das war ein jahrelanges Schweigen, das sich aufgesammelt hat und irgendwann zum Platzen gekommen ist."
Der 32-Jährige will weiter kämpfen gegen Rassismus. Erst recht in einem Jahr, in dem die AfD mit 12,6 Prozent in den Bundestag eingezogen ist. Viele Parolen erinnern ihn an die Stimmungsmache gegen Ausländer zu Beginn der 90er Jahre. Stichwort "Das Boot ist voll."

Wenn Opfer rassistischer Gewalt nicht mehr schweigen

Arslan sagt, er habe in den letzten Jahren zu wenig getan, um andere Betroffene zu motivieren, aufzustehen und in die Öffentlichkeit zu gehen. Wahrscheinlich hätte er noch konfrontativer sein sollen, glaubt er.
Doch wie unbequem und wie konfrontativ darf, sollte oder muss das Gedenken an Opfer von rassistischer Gewalt sein?
"Das ist eine gute Frage. Ich sag das mal so aus der Betroffenenperspektive: Man muss einfach die Entscheidungsposition den Betroffenen überlassen. Man muss nicht in Diskussion mit den Betroffenen kommen, sondern Lösungswege finden, wie wir miteinander umgehen."
Die Gedenkveranstaltung 2012 hatte die Stadt Mölln noch zusammen mit der Familie Arslan organisiert. Das änderte sich im Jahr danach. Seitdem gibt es zwei Gedenkveranstaltungen: Eine von der Stadt – bei dieser soll laut Programm auch Ibrahim Arslan reden. Was genau dieses Jahr geplant ist, will er nicht sagen. Nur so viel: Er sei auf alles vorbereitet
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