Modernes Leben

Digitale Helfer und analoger Ärger

Menschen kommunizieren mit drahtlosen Technologien
Verdammt nochmal, warum funktioniert das nicht? Der digitale Ärger sollte nicht in analoge Dünnhäutigkeit ausarten. © imago / Icon Images
Von Hans Rusinek · 05.06.2018
Mit dem Fortschritt der digitalen Welt wächst ganz analog unser Ärger und unsere Ungeduld. Doch das hat auch etwas Gutes und erinnert uns an unser Menschsein, gibt Innovationsberater Hans Rusinek zu bedenken.
Wann haben Sie sich das letzte Mal digital geärgert? Der Akku leert sich, wenn das Telefonat gerade wichtig wird, statt Spotify kommt Stotterrap, der Routenvorschlag von Google Maps geht hartnäckig in Richtung Steinhuder Meer. Während andere schwerelos durch ihre digitalen Clouds schweben, fuchteln Sie am Smartphone herum wie ein alter Analoger.
Die Wut wächst, das Endgerät mutiert zur Person: "Was macht er denn jetzt?" – "Er will das einfach nicht." Der Ausdruck "Befehl" wie in Suchbefehl ist hier irreführend: Denn Anbrüllen bringt nichts. Und wenn dann alles schief geht, beginnt eine Freundin immer von der Mondlandung zu dozieren: "Wir brachten Menschen auf den Mond. Vor 50 Jahren. Und ich kann hier keine Mail abschicken oder was?" Was aber sagt uns all diese gegen das Digitale gerichtete Wut?

Die Erwartungskrise: Ain’t nobody got time for that!

Noch vor wenigen Jahren mussten wir uns stundenlang durch Bibliotheken graben, um an Informationen zu kommen. Heute zücken wir unser Smartphone und googeln mal kurz. Doch wehe, dies dauert Sekundenbruchteile länger als sonst. Zehn Sekunden werden zu gefühlten zehn Minuten. Wir verlieren die Nerven.
Der Innovationsforscher Jessie Stettin nennt dies die "Erwartungskrise". Unsere Erwartungen sind so schnell gewachsen, dass keine Realität, nicht mal die digitale, mithalten kann. Stettin zitiert eine Studie: Zwischen 2006 und 2012 ist unsere Geduld für die Ladezeit von Webseiten von 4 Sekunden auf 250 Millisekunden gefallen.
Objektiv leben wir in einer unglaublich spannenden Zeit, in der digitale Innovationen unser Leben nach vorne katapultieren wie selten zuvor. Subjektiv geht es uns noch lange nicht schnell genug.
Dies einmal eingelernt, fehlt uns auch auf anderen Interaktionsfeldern die Geduld. In zwischenmenschlichen Beziehungen zum Beispiel. Diese brauchen eigentlich viel davon. Wachsende Ungeduld macht uns sehr dünnhäutig und am Ende vielleicht auch ziemlich einsam.
In Beziehungen können wir nämlich nicht über entgangene "wertvolle Hundertstel" klagen. Wie wäre es also, aus der nächsten digitalen Ladehemmung eine Übung in Geduld zu machen?

Die Zukunft ist keine One-Click Solution

Eine anderer Grund für digitalen Ärger ist der "Solutionism": Mit dem richtigen Tool lassen sich alle Probleme von ganz alleine lösen, reibungslos. Von Freien Wahlen bis zum Frisörbesuch! Ein Irrglaube, der uns gefährlich passiv macht. Denn die Zukunft ist keine One-Click-Solution. Sie muss sich durch unsere aktive Teilnahme mitgestalten lassen. Sonst entpuppen sich Lösungen schnell als Probleme.
Freuen sollte sich dann also der fluchende User: Bei jeder digitalen Enttäuschung darüber, dass der Scheiß nicht funktioniert, geht ein Punkt an den Menschen und nicht an den Code.

Machtdiskurse: Wer will schon "digital abgehängt" sein?

Aber mal ehrlich: Oft sitzt die Quelle des digitalen Ärgers vor dem Bildschirm. Uns alle überfordert der digitale Wandel. Doch niemand mag es zugeben. "Du weißt nicht, wie man die Festplatte defragmentiert?" – "Du kannst nicht Rebooten?" Herrschaftswissen wird vorgegaukelt. Niemand will zu den digital Abgehängten gehören. Wie so oft ist der Großteil des Ärgers ein Ärger über sich selbst.
Es braucht da wahre Größe, um zu sagen: "Ich verstehe das nicht". Dies gab der chinesische Internet-Milliardär Jack Ma zuletzt beim Thema Blockchain zu. Die meisten Menschen schmücken sich stattdessen mit Labels wie "digital native" als sei dies die Insignie für ein geheimes Übermenschentum.
Der digitale Diskurs ist ein Macht- und Einschüchterungsdiskurs, er schürt ein Gefühl der Ohnmacht – und des Ärgers.
Das ist sehr schade. Wenn wir von derzeit drei Milliarden mobilen Geräten zu bald fünf Milliarden übergehen, dann wird nicht nur digitale Bildung immer wichtiger, sondern auch gegenseitige Hilfe beim Umgang mit dieser Technologie.
Statt individuellem Ärger sollten wir eine Haltung der Geduld und gegenseitigen Hilfsbereitschaft kultivieren. Sie würde nicht nur das Menschliche in einer technisierten Welt erhalten, sondern auch gut sein für unsere Nerven. Denn wenn eins klar ist, dann das: wie digital unsere Welt auch wird, was ganz analog und echt bleibt, ist der Ärger.

Hans Rusinek arbeitet als Organisationsberater und ist Mitglied im ThinkTank30 des Club of Rome.




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