Modernes Gesicht für die Türkei

Von Reiner Scholz · 03.03.2009
Am 3. März 1924 verkündete die türkische Nationalversammlung in Ankara die Abschaffung des Kalifats. Mustafa Kemal, genannt Atatürk, war der Überzeugung, dass alleine die Verfassung, nicht der Koran, Grundlage für eine Regierung sein könne, die im Namen des Volkes handelt.
"Das Amt des Kalifen ist abgeschafft. Alle Mitglieder des Hauses Osman sind des Landes zu verweisen. Die Ministerien für geistliche Angelegenheiten und geistliche Stiftungen sind aufgehoben."

Noch in derselben Nacht wurden der Kalif Abdülmecit II, zwei seiner vier Frauen, sein Sohn und eine seiner Töchter über die bulgarische Grenze abgeschoben. Für Mustafa Kemal, genannt Atatürk, den Staatsgründer, hatte sich das Kalifat historisch überholt, sagt Asim Kilic vom Verein zur Förderung des Gedankenguts Atatürks in Hamburg, eine von 34 Initiativen dieser Art allein in Deutschland.

"Atatürk halkin ..."

"Atatürk glaubte an die Republik, in der das Volk selbst die Gesetze schafft. Künftig sollte nur noch die Verfassung maßgebend sein: Nur sie könnte auch vom Volk verändert werden. Der Koran hingegen sei starr und könnte nicht Grundlage für eine Regierung sein, die im Namen den Volkes handle."

Mit der Abschaffung des Kalifats beendete Atatürk eine 1300-jährige Geschichte. Sie begann mit Mohammed. Der Prophet hatte als religiöses und politisches Oberhaupt die arabischen Stämme geeint. Als er 632 starb, folgte ihm Abu Bakr als Stellvertreter auf Erden. Er war der erste Kalif, was nichts anderes heißt als "Nachfolger". Er hatte für die Einhaltung der religiösen Vorschriften zu sorgen und war oberster Feldherr aller Muslime. Mit Demut trat Abu Bakr sein Amt an:

"Ich habe die Macht erhalten, ohne der Beste unter Euch zu sein. Wenn ich es gut mache, so folgt mir. Wenn ich Fehler mache, so berichtigt mich."

Schon bald folgten allerdings blutige Konkurrenzkämpfe. Über die Nachfolge des von seinen Widersachern getöteten vierten Kalifen Ali etwa spaltete sich 661 der Islam in die Schiiten mit den Ayatollahs und die Sunniten mit den Kalifen an der Spitze.

Der bekannteste Kalif ist, nicht nur wegen der Geschichten aus "1000 und einer Nacht", Harun Al Raschid. Er machte Bagdad zum goldglänzenden Zentrum der Welt. Damals erstreckte sich das Muslimen-Reich über ganz Arabien, Syrien, Palästina, den heutigen Irak, Iran, Ägypten und Nordafrika. Dann kam das Jahr 1258, ein Schicksalsjahr. Die Turkologin Petra Kappert:
"Da wurde nämlich Bagdad von den Mongolen eingenommen, zerstört. Der letzte abbassidische Kalif wurde hingerichtet. Er hatte keine direkte Nachkommen, aber es gelang zwei seiner Verwandten, das Land gerade noch zu verlassen und zu fliehen zu den ägyptischen Mamluken nach Kairo. Und sie nahmen den Kalifentitel sozusagen mit."

Als die Osmanen ihrerseits 1517 das ägyptische Mamlukenreich unterwarfen, eignete sich Selim der Eroberer nicht nur die heiligen Stätten von Mekka und Medina an, der Sultan machte sich auch gleich noch selbst zum Kalifen und entführte den Titel nach Istanbul.

In der Folge waren viele Herrscher im Topkapi-Palast dem hohen geistlichen Amt nicht gewachsen. Zwar gab es immer wieder auch vereinzelte Reformversuche, doch im 19. Jahrhundert war die Erosion des Osmanischen Reiches nicht mehr aufzuhalten. 1909 putschten die Offiziere, 1923 wurde die türkische Republik ausgerufen, der neue starke Mann war nun Mustafa Kemal:

Als der geistliche Kalif zum Gegenspieler der atatürkischen Reformen zu werden schien, schaffte die Nationalversammlung das Kalifat am 3. März 1924 dann kurzerhand ab. Die Türkei trennte - als erstes muslimisches Land - Staat und Religion und war nunmehr laizistisch. Für strenggläubige Muslime, so Petra Kappert, war dies keine große Überraschung:

"Gerade im Vergleich zu anderen islamischen Staaten hat das Osmanische Reich eine Sonderentwicklung genommen, was sich am besten zeigt in der Tatsache, dass es nicht nur eine religiöse Gesetzgebung gab, die Scharia, sondern dass man seit dem 15. Jahrhundert energisch auch daran ging, weltliche Gesetze zu schaffen."

Seit der Abschaffung des Kalifats gibt es keine einheitliche geistliche Führung des sunnitischen Islam mehr.