Moderner Märchenerzähler

Von Cornelius Wüllenkemper · 10.01.2012
Der Österreicher Berthold Bock verbindet Film, Malerei und Musik, um mit seiner Kunst Märchen über die moderne Welt zu erzählen. Angefangen hat er als Punkmusiker in Salzburg. Später hat er in Dresden Malerei studiert und lebt jetzt in Berlin.
"Wir hatten so eine Zweimann-Band, das war ne sehr punkige Nummer, hat aber auch sehr viel Spaß gemacht. Und wir waren eingeladen zu einer Diplomparty, bei der Hochschule für bildende Künste in Dresden zu spielen. Und da hab ich mir das erste Mal gedacht: Ok, das wär vielleicht noch was, ein Kunststudium dranzuhängen."

Berthold Bock steht in seinem Atelier in einer ehemaligen Schule im Prenzlauer Berg und erzählt, den Pinsel in der Hand, wie er Maler wurde. Es riecht nach Farbe und Lösungsmittel, die Neonröhren brummen, der Künstler trägt Jeans, ein löchriges Oberhemd, Turnschuhe, die Kleidung übersät von Farbklecksen. Er klemmt sich die blonden Locken hinters Ohr und schaut auf seine Leinwand.

"Tja, man muss sich ja immer entscheiden, was lässt man stehen, was nicht. Das ist ja das eigentlich Interessante. Details, in die man sich verliebt hat, die müssen dann wieder weg. Das sagt man ja auch beim Film, wenn man schneidet: Kill your darlings!"

Bock ist Maler, Musiker und Filmemacher. Sein künstlerisches Thema: der Platz des Menschen in einer gnadenlos modernen Welt. Bock malt Gemälde von ratlosen Menschen in hypermodernen Wohnhäusern. In seinem ersten Kurzfilm "Jenseits des Sees" hat er eines seiner Bilder eins zu eins im Filmstudio nachgebaut. Ein Paar in einer Luxusvilla am See blickt wie leblos durch eine Panoramascheibe in die Natur.

Der dazugehörige Film erzählt die Vorgeschichte des Bildes: die Lieferung eines dunklen, bedrohlich wirkenden Gemäldes und die verstörende Wirkung, die es auf das scheinbar perfekt geordnete Leben der modernen Menschen hat.

"Ja? ... Nein, ich hatte einen Albtraum ... Das neue Bild? .... Das Bild? ... Ja, das Bild, es ist dunkel!"
(Film-O-Ton)

Am Ende wird das Filmpaar selbst zur Malerei, ein Standbild verwandelt sich zurück in Bocks Gemälde. Ein gemalter Film, oder: gefilmte Malerei? In Bocks Filmen übernehmen seine Gemälde die Rolle eines Protagonisten:

"Ich saß irgendwann mal im Atelier und hatte so ein Bild gemalt von einem vereinsamten Paar an einer Panoramascheibe. Und da hab ich dann gedacht, jetzt wär's doch mal total interessant, dieses Bild zu verfilmen, also zu fragen: Wie kamen die dahin? Da ging's mir einfach darum, darzustellen, was ich wahrnehme, dass die Beziehungslosigkeit extrem zunimmt. Dass das wahrscheinlich ein Problem ist, unserer Gesellschaft, ein Dekadenzproblem, weil jeder sich sein eigenes Haus bauen kann und dann da alleine stirbt in seinem Sarkophag."

Schaut man aus dem Fenster von Bocks Atelier, sieht man moderne Luxus-Townhouses, die an seine "Wohnsarkophage" erinnern. "Meine Kunst hat mich eingeholt", sagt er und lacht. Immerhin hat er in dieser gefragten Gegend ein 60 Quadratmeter großes Atelier ergattert. Hier malt er, wenn er nicht gerade Ausstellungen oder Filmvorführungen in Berlin, Dresden, oder in Salzburg organisiert, seinen nächsten Film vorbereitet, oder als Bassist und Sänger der Indierock-Band Cayoon am nächsten Filmsoundtrack arbeitet:

"Das künstlerische Handeln, das Tun so zu sagen, immer wieder aus dem Nichts versuchen, was zu schöpfen, das ist was, was ich halt nicht aufhören kann. Bei mir ist das ja auch immer verschränkt mit der Musik. Ich hätte auch Musiker werden können, ja so …"

Sagt Bock und wendet sich wieder seiner Staffelei zu. Der heute 44-jährige kommt im August 1989 nach West-Berlin, studiert Philosophie und Geschichte. Aus der Salzburger Heimat hatte der Sohn zweier deutscher Psychoanalytiker die Nähe zu den Geisteswissenschaften mitgebracht. Nebenbei malt er, macht Musik und filmt, knüpft Kontakte zur Ostberliner Künstlerszene.

"Die Mauer ging auf, und ich muss ehrlich sagen, dass das für mich auch so eine Art Befreiung war. Ich war sehr beeindruckt von den Menschen, die ich da kennengelernt habe. Von dieser Offenheit, von diesem 'nur in den Tag Leben', nicht ans Morgen denken. Das war das Gegenteil von dieser westlichen Sicht aufs Leben, in Zyklen zu denken und zu sagen: Jetzt muss ich dies machen, jetzt muss ich das schaffen, dann kann ich das machen, und so weiter."

Mit 29 Jahren macht Bock schließlich seine Leidenschaft zum Beruf, bricht sein Studium ab und schreibt sich an der Kunsthochschule Dresden für Bildende Künste ein. Mittlerweile hat er sich mit seinen Bildern der kalten Moderne einen Namen gemacht, und außerdem zwei Kurzfilme gedreht, in denen auch seine Frau als Bühnenbildnerin und sein 9-jähriger Sohn als Schauspieler mitwirken.

Derzeit malt Bock die Bilder, die in seinem dritten Film die Hauptrolle spielen sollen. Dafür hat er sein Thema einfach vom Kopf auf die Füße gestellt: Nicht mehr verlorene Menschen in anonymen Wohnhäusern sind zu sehen, sondern wilde Natur in Großformat, statt grauer Architektur leuchten lichte Grünfarben. Eine nackte Frau allein im überbordenden Wald.

"Das könnte eine Verlorenheit haben, aber ich will, dass sie eher eine Geborgenheit ausstrahlt. Die Moderne als Märchen. Das ist genau das, daran arbeite ich mich ab. Das sind Märchen zur Moderne, ja!

Der Hauptpunkt, warum ich das mit dem Film mache, ist, dass es die einzige Chance ist, mein Interesse für Narration umzusetzen. Weil für mich Malerei durch die Erfindung des Films nicht mehr die Aufgabe hat, mir eine Geschichte zu erzählen."

Service:
Berthold Bocks Malerei und Filme sind im Buch "Berthold Bock - Verloren ist in mir/ Jenseits des Sees" versammelt, der im Verlag Kerber (Edition Young Art) erschienen ist, und Interviews, Texte, Bilder, Poster und eine Film-DVD enthält.
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