Moderne Passionsmusik

Begegnung zwischen Christentum und Islam

Ein Derwisch im Lübecker Dom
Ein Derwisch im Lübecker Dom 2011. Das Ensemble Sarband verbindet wie hier ebenfalls westliche und arabische Musikelemente. © picture alliance / dpa / Foto: Markus Scholz
Von Olga Hochweis · 24.03.2016
Zu Ostern haben Bachs Passionsmusiken Hochkonjunktur. Mittlerweile gibt es immer mehr Musiker, die die Leiden Jesu' in Beziehung zu anderen leidvollen Erfahrungen der Menschheit setzen - oder zu persönlichen Schicksalen - so auch das Kammermusik-Ensemble Sarband.
Vladimir Ivanoff, Musiker und Musikwissenschaftler, wurde in Bulgarien geboren und wuchs in Deutschland auf. Seine Verwurzelung in beiden Kulturen hat ihn geprägt. Vor genau 30 Jahren gründete er das Kammermusik-Ensemble Sarband, dessen Name soviel bedeutet wie "Verbindung" – es ist zugleich Programm für Sarbands musikalische Begegnung zwischen Ost und West, zwischen Christentum und Islam.
Barock und Klassik, mittelalterliche Klänge, Ethno-Sounds und Jazz treffen aufeinander. Über Stil- und Kulturgrenzen hinweg schlägt Sarband zudem eine zeitliche Brücke zu Bachs Passionsmusik, die vor rund 300 Jahren entstanden ist: dessen Beschäftigung mit dem Leiden Christi wird neu und gegenwärtig gefasst: als Ausdruck für Leid und Elend vieler Menschen heute überall in der Welt. Sarbands Album mit dem Titel "The Arabian Passion according to J.S. Bach" appelliert an Frieden und Menschlichkeit – und setzt mit der Wahl der zentralen Interpretin ein ganz besonderes Zeichen der Versöhnung. Es ist die arabische Sängerin Fadia el-Hage.

Ein humanistisches Bekenntnis

Bachs "Erbarme dich" aus der Matthäus-Passion, arabisch gesungen, wird vom Sarband-Ensemble mit Mitgliedern aus Orient und Okzident interpretiert – mal notengetreu, dann wieder mit eigenen musikalischen Akzenten Richtung Jazz und Improvisation. Das Album ist ein humanistisches Bekenntnis: musikalisch wie politisch. Zum einen liefert es Klänge des Trostes für Menschen in Not, darüber hinaus nimmt es Partei für Opfer globaler Passionen unserer Gegenwart – für alle, die wegen ihrer Religion, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihres Geschlechts Unrecht erleiden.
Sehr viel persönlicher grundiert ist die Passionsmusik von Mikhail Alperin. Sie entstand nach seiner fast schon wundersamen Genesung von einem Hirntumor.
"Ich gehöre zu den vielen Menschen, die gläubig waren, aber es nicht wussten. Ich dachte eher, ich sei ein Mystiker, ich habe mich ja mein Leben lang mit esoterischen Dingen beschäftigt. Aber erst, nachdem ich dreimal an Krebs erkrankt war, habe ich endlich erkannt, wer ich bin."
"Ein Requiem für sein Ego" hat Mikhail Alperin sein neues Album genannt, "Prayers and meditations" – Gebete und Meditationen heißt es. Darin setzt er sich mit der eigenen Leidensgeschichte auseinander, mit dem langen "Weg durchs Dunkel", wie er sagt, ohne das die Helligkeit, die Erleuchtung, nicht möglich gewesen sei. Der ukrainisch-jüdische Pianist Alperin lebt seit 25 Jahren im norwegischen Oslo, wo er auch an der Musikhochschule unterrichtet. Mit dem Oslo Chamber Choir, einigen bulgarischen Sängerinnen und diversen Solisten nahm er seine Kompositionen in einer Kirche auf. Darunter auch sein Freund und einstige Kollege vom Moscow Art Trio, Sergej Starostin. Er singt Alperins Komposition "Apocalpysen" .

Annäherung an indische Raga-Musik

Russische Volksmusik bietet die Basis für die Kompositionen auf "Prayers and Meditations". Hinzu kommen die Akzente der bulgarischen und norwegischen Musiker: durch Klassik und Folk. Es gibt aber auch Titel, die sich indischer Raga-Musik nähern.
Die zentrale Idee von "Prayers and Meditations" ist es, alle Kulturen zu verbinden. Und der Menschheit zu zeigen: wir haben alle einen einzigen Vater, es gibt keine anderen Götter. Und dieser Vater ist für uns alle da. Wenn heute alle Religionen verschwinden würden, dann bliebe nur der reine Gott. Wissen Sie, Sie und ich und wir alle sind ein Spiegel Gottes..
Aus der Verbindung von Malerei, Musik und Lyrik ist über einen Schaffensprozess von mehreren Jahren die Passionsmusik des Jazz-Geigers Hannes Beckmann entstanden. Die "Kreuzweg-Stationen" wurden zu seinem tragischen Vermächtnis: am 17.März 2016 ist Hannes Beckmann im Alter von 65 Jahren an Kehlkopf-Krebs gestorben – nach langem Kampf gegen die Krankheit. 2014 hatte er dem Auftragswerk, das von der expressionistischen Malerei des Zeitgenossen Cäsar W. Radetzky inspiriert war, seine Komposition "Atmen" hinzugefügt. Das musikalische Thema entstand in der Intensivstation, nachdem ihm ein Teil der Lunge entfernt wurde. Die Komposition Atem folgt auf der CD einem Text von Susanne Breit-Keßler:
Ich höre meinen Atem
mir fremd geworden
durch Schläuche
sehe keine Wolken vor blinkenden Lichtern
nur meine Brust hebt sich
erschrocken gefesselt
an ein Bett mein Kreuz
das ich tragen muss
wie viele vor und nach mit leiden
mein Gott
warum hast du mich verlassen
So sehr die "Kreuzweg-Stationen" von Hannes Beckmanns persönlichem Schicksal gezeichnet sind, so universell ist doch seine Passionsmusik angelegt. Zugang zu ihr fand er in der Via Dolorosa in Jerusalem:

Zitat:
"Es gibt keine Momente der Meditation, der Besinnung, sondern druckvolles Leben und Kommerz. Mein jüdischer Freund sagte mir: ´Glaube nicht, dass die Situation vor 2000 Jahren anders war!`"
Ich sah auf einmal einen Menschen, der verhöhnt, gequält, durch Menschenmassen getrieben wird. Jemand, der ein politisches Problem verkörpert. Als Mensch ist er einsam, als Mensch leidet er unter Schmerzen, Erschöpfung und Erniedrigung, deren brutales Zeichen die Dornenkrone ist. Als Sohn Gottes aber ist er derjenige, der sich im Leiden erhöht, der auch in dieser Situation Trost spendet, dessen Aura auch in den schrecklichen Fällen unter dem Kreuz strahlt. Anders, als er nach außen erscheint, ist er der Sieger, seine Idee überlebt.