Modeexpertin Barbara Vinken

"Ich habe keine Jogginghose"

35:12 Minuten
Literaturwissenschaftlerin, Modetheoretikerin und Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft Barbara Vinken.
Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität und Modetheoretikerin. © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Moderation: Ulrike Timm · 01.04.2021
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Als Modeliebhaberin hat man es im Land der Funktionskleidung nicht leicht. Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken will mit ihrer Arbeit der Mode mehr Wertschätzung zukommen lassen – und sie als intellektuelle Errungenschaft würdigen.
"In Frankreich und Italien gilt die Mode als Lebenskunst und Kulturgut wie auch das Essen. In Deutschland sind wir erst dabei, die Mode als Kulturgut zu entdecken", sagt Barbara Vinken, die viel Wert auf schöne Kleidung legt.
In ihrem Buch "Angezogen. Das Geheimnis der Mode" erzählt sie, dass bis zur Französischen Revolution die Männer das eitle Geschlecht waren, die gern ihre körperlichen Reize zeigten und auch überhöhten. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Mode zur Sache der Frauen – "ein Privileg und auch ein Stigma".

"Ich wollte vor allem lesen"

Für Barbara Vinken war Lesen immer ein Grundbedürfnis. Nie käme man der Wahrheit des Menschlichen so nahe wie durch die Literatur, meint die Romanistin. "Ich denke, dass Literatur das Medium ist, das uns mit uns selbst ins Benehmen setzt. Insofern habe ich diese Vorstellung nie verstanden, dass man sagt: Literatur ist nur Fiktion. Aber sie ist eine Fiktion, die uns einfach viel mehr Wahrheit, viel mehr Tiefe in die Seele gibt, als das irgendein anderes Medium tun kann."
Durch das Lesen wurde Barbara Vinken auch zur Feministin. Simone de Beauvoirs Buch "Das andere Geschlecht" las sie schon als Teenager und bekam dafür eine Flasche Champagner von ihrem Vater, der sich nicht vorstellen konnte, dass seine Tochter das gut 600 Seiten dicke Buch tatsächlich bis zu Ende lesen würde. "Ich würde sagen, dass ich dadurch Feministin geworden und geblieben bin – und dass es für mein Leben ein ganz entscheidendes Buch war."

Akademische Karriere, Mutter und Autorin

Im Leben von Barbara Vinken scheint alles zu gelingen. Sie wächst in einem offenen Elternhaus auf, kann ihre Interessen verfolgen, studiert erfolgreich und gefördert an fünf Universitäten in Deutschland, Frankreich und den USA, habilitiert sich mit 35 Jahren, hat Mann und Sohn und bald nach der Habilitation auch einen Ruf an eine Universität. Sie schreibt Bücher und hat ihren Weg immer zielstrebig verfolgt.
Wegen der Familie ihre Karriere aufzugeben, das kam nicht in Frage. So pendelte sie mit dem kleinen Sohn zwischen Deutschland und New York. Dort hatte ihr Mann einen Lehrstuhl an einer Universität.

Weg von Hannover

Zu Hannover, wo sie 1960 geboren wurde, hat Barbara Vinken ein gespaltenes Verhältnis. "Ich habe mich in Hannover immer wie im Exil gefühlt", sagt sie. Zwar verlebte sie dort in einem offenen und anregenden Elternhaus zusammen mit ihren vier Geschwistern eine schöne Kindheit, aber die Stadt sprach sie gar nicht an. Sie wollte weg.
Nach dem Abitur zieht sie nach Frankreich. Inzwischen lehrt Barbara Vinken französische und vergleichende Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Kritik an der deutschen Mutterrolle

2001 erscheint ihr umstrittenes Buch "Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos". Darin setzt sich Barbara Vinken kritisch mit der deutschen Mutterrolle auseinander. Eine Mutter, die zugleich versuche, beruflich erfolgreich zu sein, sei in Deutschland schnell als "Rabenmutter" betitelt worden.
In Frankreich hat sie das anders erlebt: Familie und Beruf zu vereinen, geht dort besser. Wie auch in Skandinavien.
Heute, so die Literaturwissenschaftlerin, sei man hier dank Krippenbetreuung und dem Ausbau der Ganztagsschulen aber auch etwas weiter. Denn nach der Wiedervereinigung sei etwas in Bewegung geraten. "Es ist ganz klar, dass sich die westdeutsche Familienpolitik von der ostdeutschen abgrenzen musste", meint Barbara Vinken.
"Die hatten Entfremdung der Kinder durch den Staat, und wir hatten die glückliche Kleinfamilie, wo die Mutter höchstens halbtags arbeitet und nur wenn sie muss. Es war eine Konkurrenz zwischen zwei ganz verschiedenen Familienmodellen im Osten und im Westen. Mit dem Augenblick, mit dem diese Konkurrenz weggefallen ist, konnte Deutschland sich norrmaleuropäisch entwickeln."
(svs)
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