Mobilitätsexperte über Luftverschmutzung

Fahrverbotszonen für Dieselautos − "das ist schwachsinnig"

Schilder an einer Straße in Stuttgart weisen auf für Januar 2019 geplante Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge hin.
Schilder an einer Straße in Stuttgart weisen auf für Januar 2019 geplante Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge hin. © dpa / picture alliance / Christoph Schmidt
Andreas Knie im Gespräch mit Annette Riedel · 24.11.2018
Ein paar hundert Meter Straße zu sperren, damit dann Menschen Umwege fahren und so ein Vielfaches an Emissionen erzeugen − das bringe "keinen Deut" bessere Luft, sagt der Verkehrsexperte Andreas Knie. Und erst recht keine echte Verkehrswende.
Fahrverbote machten nur dann Sinn, wenn ganze Innenstädte für Diesel, die nicht der geforderten Abgasnorm entsprächen, gesperrt würden, sagt Andreas Knie, Sozialwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin und Professor für Soziologie an der TU Berlin.
Dass Gerichte mittlerweile das einklagen, was die Politik in Deutschland seit fast zweieinhalb Jahrzehnten bei der Luftreinhaltung versäumt hat, sei grundsätzlich zu begrüßen. Die Urteile zu Fahrverboten und der Diesel-Skandal hätten den Druck auf die Politik erhöht, zu handeln und in der Verkehrspolitik umzusteuern, so Knie.

Neue Mobilitätskultur gefragt

Die Autos der Zukunft werden kleiner, leiser, sauberer sein. Aber die eigentliche Herausforderung besteht darin, eine "andere Kultur der Mobilität" zu verankern. Sonst wird der Autoverkehr weiter zunehmen und nicht abnehmen. Das heißt: Weitgehender Abschied vom privaten Fahrzeug ("nutzen statt besitzen"). Um dafür gesamtgesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen, müssen sämtliche Fortbewegungsmittel und -formen flächendeckend, komfortabel, kostengünstig verfügbar und vernetzt sein: Der öffentliche Nahverkehr, Fahrräder, Mini- Shuttle-Busse auf Abruf, E-Bikes, Fahrgemeinschaften, Car-Sharing.

Fliegen verbieten?

Man müsse für den Klimaschutz auch über Verbote von Inlandsflügen nachdenken, findet Andreas Knie. Und über eine Obergrenze für internationale Flügen für jeden. In einem ersten Schritt aber müsse Fliegen erheblich teurer werden, indem beispielsweise Kerosin besteuert wird.

Das Interview im Wortlaut:

Deutschlandfunk Kultur: Herr Knie, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat in der vergangenen Woche angeordnet, dass jetzt auch die Stadt Essen ab nächstem Sommer wegen zu hoher Belastung mit Stickoxiden für ältere Diesel Fahrverbotszonen einrichten muss – inklusives eines Abschnittes der Autobahn A40. Gerichte schaffen Fakten. Sinnvolle Fakten?
Andreas Knie: Ja, man muss ja leider feststellen, dass Gerichte das einklagen, was die Politik in den letzten – man kann fast sagen – 25 Jahren versäumt hat, nämlich Grenzwerte umzusetzen, die wir für Schadstoffe festgelegt haben, nicht nur wir, die Europäische Union hat das getan, nach langem Prozess. Dann hat man sich auf Grenzwerte festgelegt. Und seit 2010 gelten die. Und die deutsche Politik, auch die Kommunalpolitik, hat aber auch gar nichts getan, damit diese auch dann auch eingehalten werden.
Deutschlandfunk Kultur: Versteckt sich die Politik da ein bisschen hinter den Gerichten? Denn Richter müssen nicht gewählt werden. Und wenn die unangenehme Entscheidungen fällen, zeigt sich das nicht auf dem Wahlzettel.
Knie: Ja, es waren ja einige Politiker so ehrlich, das auch zuzugeben, dass sie ja jetzt gar keine Chance mehr hätten. Und jetzt müssten sie ja die Gerichtsurteile vollziehen. Das heißt jetzt müssen sie tatsächlich das tun, was sie eigentlich vor drei, vier, fünf Jahren schon hätten tun müssen. Jetzt müssen sie schauen: Wie kriegen wir die Schadstoffgrenzwerte reduziert? Und jetzt ist das letzte Mittel, was Gerichten jetzt noch möglich war, eben Fahrverbot. Das hätte man vermeiden können, wenn man früher das Thema angegangen wäre. Und jetzt ist es tatsächlich so, dass die Kommunalpolitiker, auch die Landespolitiker letztendlich sagen: Ja, wir können ja eh nix tun. Jetzt müssen wir nur die Gerichtsurteile vollziehen.
Deutschlandfunk Kultur: Die müssten ja aber auch, wenn es um Luftreinhaltung schlussendlich ja geht, sinnvoll sein. Da stellen sich ja schon Zweifel ein. Denn wenn ich da nicht mehr fahren darf mit meinem alten Diesel, fahre ich dort.
Knie: Man kann das wirklich sagen: Es ist schwachsinnig. Denn das Erste, was wir hatten in Hamburg, diese paar hundert Meter zu sperren, damit dann Menschen Umwege fahren, die dann das Doppelte und Dreifache, fast das Vierfache an Emissionen letztendlich erzeugen, ist natürlich nicht wirklich sinnvoll. Die Hamburger haben es ja auch nur getan, um zu zeigen: Ja, es geht. Wir können Straßen sperren. Das Abendland geht nicht unter. Aber es ist natürlich keinen Deut bessere Luft dabei entstanden.
Deutschlandfunk Kultur: Also müssten wir im Grunde viel großflächiger sperren, wenn es tatsächlich einen Effekt für die Qualität der Luft haben soll.
Knie: Genau. Kurzfristig, wie das ja auch jetzt für die Stadtautobahn in Berlin diskutiert wird, vielleicht für den ganzen Innenstadtring in Berlin, wie für andere Städte auch, muss großflächiger gesperrt werden. Und es muss natürlich ganz grundsätzlich nachgedacht werden: Ist der Verbrennungsmotor, ist der Dieselmotor noch das Mittel der Wahl für städtische Verdichtungsräume? Ist das der Antrieb, den wir zukünftig noch haben wollen?

Götterdämmerung für den Diesel

Deutschlandfunk Kultur: Zum Grundsätzlichen gleich noch viel, viel mehr. Aber man kann schon sagen, dass der Diesel-Herbst angebrochen ist. – Brauchen wir aber saubere Diesel nicht noch, wenn wir unsere Emissionsreduktion, die wir uns vorgenommen haben, in Deutschland einhalten wollen?
Knie: Wir haben tatsächlich Götterdämmerung beim Diesel. Das kann man schon so sagen. Und wir brauchen Dieselmotoren, die das Versprechen auch halten, was sie in ihren Fahrzeugscheinen und Fahrzeugbriefen ausweisen. Das haben wir schon mal nicht. Selbst wenn wir jetzt ein Dieselverbot genereller Art aussprechen würden, hätten wir noch eine ganze Reihe von Diesel über längere Jahrzehnte im Verkehr. Das heißt also, die Ankündigungen, was übrigens andere Städte in Europa längst getan haben, tatsächlich ab sofort keine neuen Diesel mehr zuzulassen, wäre längst überfällig. Und dann müssten die Diesel, die wir noch haben, so nachgerüstet werden, dass sie die Emissionsgrenzwerte einhalten.
Hier haben sie die Möglichkeiten in der Kommune, alles, was in eine Kommune hineinfahren will, auf Grenzwerte hin zu überprüfen. Das heißt, die Kommunen haben viel, viel mehr Möglichkeiten, wenn sie sich denn trauen.
Deutschlandfunk Kultur: Wie soll das praktisch funktionieren? Allein in Essen sind 42.000 Diesel angemeldet, die unter die Fahrverbote fallen könnten. Will ich jetzt jeden einzelnen, der in die Zone einfährt, anhalten und überprüfen, wie sauber bist du?
Knie: Zurzeit wird ja versucht, das über Kameras zu lösen. Das wird natürlich auch nicht gehen, sondern es gibt da natürlich ein einfaches probates Mittel: Das ist die sogenannte berühmte blaue Plakette, dass also die Diesel, die tatsächlich Grenzwerte einhalten, die im Moment noch ansatzweise akzeptabel wären, eine solche Plakette bekommen. Die hätten dann freie Fahrt.
Das hieße umgekehrt: Alle Dieselfahrzeuge, die diese Plakette nicht haben, dürfen nicht rein. Es gibt natürlich immer Ausnahmen - der berühmte Handwerker, der dann fahren darf, oder vielleicht auch derjenige, der kein anderes Auto hat, weil ihm ein Bein fehlt. Diese Ausnahmen wird es weiterhin geben. Aber alle, die dreckige Fahrzeuge fahren, müssen wissen, dass sie nicht mehr in die Stadt kommen.
Deutschlandfunk Kultur: Würden Sie sagen, dass diese schlechten Nachrichten über Dieselbetrugsskandal, über die Fahrverbotszonen letztendlich gute Nachrichten sind für die Luftreinhaltung, weil sie eine Art von Druck produzieren, der es jetzt wirklich endlich nötig macht, dass reagiert wird, das gehandelt wird?

Autohersteller zum richtigen Handeln zwingen

Knie: Zynisch formuliert könnte man das tatsächlich so sagen. Faktisch ist es so, dass die moralische Qualifikation der Autohersteller sich damit eigentlich aufgelöst hat. Also, der Glaube, dass die Hersteller doch selber ein hohes Interesse hätten, saubere Fahrzeuge in den Markt zu bringen, der ist einfach vom Tisch. Man sieht, dass die Autohersteller nur dann etwas tun, was Gutes tun, wenn sie dazu vom Staate gezwungen werden. Und selbst das, was sie getan haben, haben sie zum Teil manipuliert. Das heißt, der Staat muss genauer hinschauen. Und wenn der Staat keine Regeln setzt, werden sich auch die Hersteller nicht dran halten.
Das heißt, wir brauchen strengere Regeln, die auch noch besser überwacht werden.
Deutschlandfunk Kultur: Kern einer echten Verkehrswende, abgesehen davon, dass der Verkehr sauberer werden muss - darüber reden wir gleich noch - aber Kern einer echten Wende wäre ja tatsächlich, dass die Mobilität von morgen anders aussehen muss, dass beispielsweise der Individualverkehr zurückgeführt werden muss. Da reden wir ja von dem Bohren eines richtig dicken Brettes! Denn da geht’s dann um die vielleicht schwierigste Innovation überhaupt - nämlich innovatives Verhalten, Verhaltensänderung. Trauen Sie das den Deutschen zu?
Knie: Ja, klar. Wir haben uns ja schon verändert. Wir rauchen hier nicht im Studio. Das ging früher auch. Wir trinken nichts. Das hat man im Studio auch schon mal gemacht. Klar, im Verkehr gibt es Routinen. Und Routinen ändert man nicht so gerne. Aber wenn es eine Veränderung gibt oder eine Notwendigkeit zur Veränderung, dann sind Menschen bereit, sich neu einzustellen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber das mit dem Rauchen ist natürlich ein Beispiel, was arg hinkt. Auf das Rauchen sind nicht ganze Steuergesetze, ganze Straßenverkehrsordnungen, Verkehrsrechte, ganze Stadtplanungen ausgerichtet worden wie bei uns in den letzten fünfzig, sechzig Jahren, was den Autoverkehr angeht,.
Knie: Ja, aber das Rauchen war ein identitätsbildendes Ding. Meinen Vater ohne Zigarette hätte ich mir gar nicht vorstellen können und er sich selber auch nicht. Aber Sie haben natürlich völlig Recht. Es ist im Verkehr so, dass wir seit Ende der 20er Jahre gesagt haben: Der Traum vom guten Leben ist ein eigenes Haus, ein eigener Garten, eine eigene Familie natürlich und das dazu gehörende Auto. Und wir haben dafür alles getan; Sie haben es schon aufgezählt. Wir haben Straßen gebaut. Wir haben dem Auto immer eine Bevorrechtigung gegeben. Wir haben das Wort Gemeingebrauch erfunden, damit Autos überall nicht nur fahren, sondern auch abgestellt werden können, dass es auch möglichst gar nichts kostet. Das heißt, wir haben viele Jahrzehnte voll auf das private Auto gesetzt. Davon müssen wir uns jetzt verabschieden. Denn wir haben zu viele und wir können die Beweglichkeit auch anders und schlauer machen.
Deutschlandfunk Kultur: Dann greift letztendlich das böse Wort vom Verzicht. Ganz ohne Verzicht wird’s nicht gehen. Verzicht auf ein eigenes Auto? Wenn man die Deutschen fragt, sagen acht von zehn, sie können sich Car Sharing-Modelle - kein eigenes Auto zu haben, aber eins zur Verfügung, wenn man es braucht - vorstellen. Das ist die blanke Theorie.

Stehende Autos vermüllen unsere Städte

Knie: Ich würde nicht sagen, es ist Verzicht. Es ist eine Veränderung. Denn ich habe ja das Auto natürlich vor der Tür stehen, weil ich es ja nutzen könnte. Nehmen wir jetzt mal die Städte. Da merken Sie das ja überall. Die Autos stehen. Etwa 93, 94 Prozent der Zeit, die ein Auto da ist, steht es. Und wenn wir uns alle mal überprüfen, dann haben wir das Auto auch deshalb, weil wir es ja jederzeit nutzen könnten. Und das hat dazu geführt, dass wir zum Teil zwei oder drei Autos haben. Und die vermüllen, das muss man so deutlich sagen, im wahrsten Sinne des Wortes die Stadt.
Das können wir anders machen. Wir haben intelligente Techniken. Wir haben sowas wie Smartphones. Damit könnten wir die Fahrzeuge, die wir brauchen, auch intelligent bevorraten und müssten sie nicht einfach dumpf auf der Straße rumstehen haben.
Deutschlandfunk Kultur: Sharing-Modelle sind ja darauf angelegt, dass ich mir kurzfristig ein Auto reservieren kann, nachdem ich auf einer App gefunden habe, wo das nächste steht. Aber ich muss natürlich tatsächlich mein Verhalten ändern. Ich muss anders planen. Ich muss mir vorher überlegen, aber auch nicht zu viel vorher. Und dann muss ich losgehen, kann die Zeit nicht in dem Maße planen, weil ich ja nicht weiß, ob es nun bei mir direkt an der Ecke oder zwei Blocks weiter steht. Ich muss bereit sein, mehr Zeit einzuplanen, wenn ich individuell von A nach B will.
Knie: Also, ich selber zum Beispiel hatte auch ein Auto, auch ein Dieselauto. Das habe ich aber schon 1992 wieder abgeschafft. Und da hatte ich natürlich auch das berühmte ausgelagerte Wohnzimmer. Ich habe viel Sport gemacht. Da lag natürlich die Sporttasche drin. Alles, was man so in der Wohnung nicht haben wollte, das lag im Auto.
Ich habe kein Auto mehr. Ich habe auch keine Sporttasche mehr im Auto. Es geht auch anders. Und natürlich ist es erst mal ein Mehraufwand. Das ist aber ganz kurzfristig. Denn man gewinnt viel mehr. Man hat viel mehr Optionen. Man hat nicht immer dasselbe Auto. Mal möchte man selber fahren. Mal möchte man gefahren werden. Mal möchte man abends in die Kneipe. Man möchte vielleicht was trinken, kann man das Auto nicht wieder mit zurücknehmen, muss es stehen lassen. In Städten wie Berlin, Hamburg, München oder Frankfurt können wir erkennen, dass die Vielfalt der Möglichkeiten - das sind ja umfassende Modelle - mehr Komfort, bessere Qualität des Lebens bieten als ein Auto, was man vor der Tür stehenhat. Oder vielleicht bald auch nicht mehr vor der Tür hat, weil nämlich alle ihr Auto vor der Tür stehen haben wollen. Deshalb muss man ja oft mit dem Auto um mehrere Häuserblocks fahren, damit man es irgendwo abstellen kann.

Privatbesitz von Autos nicht mehr ökonomisch unterstützen

Deutschlandfunk Kultur: Bedürfte es noch anderer Formen von Sanktionen oder auch Subventionen oder Rahmengesetzen durch die Politik, um Car Sharing noch attraktiver zu machen?
Knie: Unbedingt. Da waren wir alle zu blauäugig, weil wir gedacht haben, ja, das mit dem Sharing setzt sich schon durch, weil es eben doch das bessere und auch qualitativ höherwertige ist. Und die Menschen sind auch vom Gewissen her dann entlasteter. Aber so ist es eben nicht.
Das gute Beispiel: Nehmen wir mal Berlin. Ich wohne mitten in Berlin an einer großen Straße. Ich könnte, hätte ich ein eigenes Auto, es vor die Tür stellen. Und ich müsste nichts bezahlen. Selbst in einer parkraumbewirtschafteten Zone müsste ich mal gerade zehn Euro im Jahr bezahlen. Während, wenn ich ein Car Sharing-Anbieter wäre, müsste ich 84,00 Euro im Monat bezahlen, damit ich den öffentlichen Raum nutzen kann. Das heißt also, ökonomisch unterstützen wir nach wie vor das private Auto mit allen erdenkbaren Möglichkeiten und alles, was Sharing angeht, erschweren wir.
Das heißt, unter diesen Bedingungen kann sich diese Alternative, die wir gerade diskutiert haben, tatsächlich ökonomisch gar nicht durchsetzen. Wenn wir eine Verkehrswende haben wollen - und wir brauchen sie – dann müssen wir auch einen völlig anderen Regelansatz nehmen. Wir müssen tatsächlich alle Verkehrswenderegulierung auch dann haben.
Deutschlandfunk Kultur: Sind solche Sharing-Modelle letztendlich auch nur eine Übergangsform? Denn in dem Moment, wo autonomes Fahren sich vielleicht schneller als wir denken durchsetzt, wird es autonom fahrende Taxis geben, die dann natürlich ungleich billiger sind als heute, sich per App bestellen lassen. Und dann steht das Ding genau vor meiner Tür, wenn ich aus derselben trete. Das wäre ja das attraktivere Modell.
Knie: Ja, davon träumen wir alle, dass sich Flotten selber disponieren, also da, wo man sie braucht, und dass das dann auch ökonomisch vielleicht auskömmlich ist und dass es vom Bequemlichkeitsfaktor Aussichten hat, hohe Akzeptanz zu gewinnen.
Deutschlandfunk Kultur: Wenn es das dann gibt - und es ist ja absehbar - dann würde doch der Individualverkehr sogar nochmal zunehmen und nicht abnehmen. Und es gäbe auch noch mehr Leerfahrten. Also von dem Ansatz zu sagen, es geht nicht mehr, dass nur 1,4 Personen im Durchschnitt in einem Auto sitzen, sondern es müssten mindestens 2,8 sein, damit es überhaupt noch halbwegs einen Sinn macht, kämen wir dann eher weg.
Knie: Das Revolutionäre an dem autonom fahrenden Auto ist ja nicht nur, dass es selbst fährt, sondern dass es auch selbst schlau fährt. Das heißt, es weiß, wo die Menschen wohnen, wo sie hin wollen. Und das kann das Auto viel besser kombinieren und eben Leerfahrten vermeiden.
Zweite Chance ist natürlich, was wir jetzt schon erleben: Muss man denn noch allein in dem Auto fahren? Das kann man. Dann muss man aber einen viel höheren Preis zahlen. Es ist viel schlauer, drei oder vier Leute in ein Auto zu packen. Das geht heute auch viel einfacher, weil Menschen heute ihre gesamte Privatheit als Smartphone verkleidet, in der Tasche mitnehmen und dementsprechend wir uns viel leichter vorstellen können, was im Moment auch erkennbar ist. Wir haben ja schon diese Shuttle-Dienste, dass wir mit vielen Leuten in ein und demselben Auto fahren. Und dann wird es schon ein bisschen schlauer, wenn wir drei Leute in ein Auto packen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber nochmal: Wenn ich die Wahl habe, dass ich mir per App ein nicht fahrerbestücktes Taxi - nennen wir es so - ordere, was mich genau vor der Haustür abholt, genau zu dem Zeitpunkt, wo ich will, oder aber zu einer Shuttle-Bus-Haltestelle oder zu öffentlichem Nahverkehr zu gehen, dann weiß ich doch, was ich wähle. Und dann bekommen wir eine Zunahme von Individualverkehr.
Knie: Das regelt sich natürlich in unseren marktkapitalistischen Staaten ganz einfach über den Preis. Denn diese Dienstleistung habe ich ja jetzt schon.

Fahrgemeinschaften lohnen sich

Deutschlandfunk Kultur: Ja, aber das kostet, weil es Personalkosten mit sich bringt.
Knie: Und das kostet 1,70 oder 1,85 Euro pro Kilometer. Und wenn ich davon mehrere Kilometer fahre, dann ist das sehr, sehr teuer. Und selbst wenn es keinen Chauffeur mehr hat, dann wird es immer teurer sein. Wenn ich tatsächlich ein Verkehrsgerät alleine für mich habe, dann wird dieses Verkehrsgerät teuer sein in der Nutzung. Und da würde ich mir hundertmal überlegen, ob ich das jetzt alleine nehme oder nicht doch mit drei oder vier Leuten zusammen. Das ist deutlich billiger, oder noch viel billiger, dann doch vielleicht nur zur nächsten U-Bahn und S-Bahn fahre und dann den nächsten Schritt mit S-Bahn und U-Bahn fahre. Also, wenn wir das schlau kombinieren, wird es auf jeden Fall eine Entlastung sein.
Deutschlandfunk Kultur: In der Mobilität der Zukunft wird es weiter Autos geben, aber es werden andere Autos sein: sauber, kleiner, leichter, leiser, zunehmend genutzt, aber nicht besessen, zunehmend ohne Fahrer auskommend und auf alle Fälle elektrischer. Im Moment ist aber Elektromobilität letztendlich noch was für gut und besser Verdienende.
Knie: Ja. Das ist so. Ein elektrisches Auto zu kaufen, kostet mal schlapp das Doppelte, wenn nicht sogar das Dreifache eines vergleichbaren Autos. Die Lieferfristen sind enorm lang. Das heißt also, der Wille elektrische Autos in den Verkehr zu bringen, um das mal ganz drastisch zu sagen, ist von der deutschen Autoindustrie zurzeit überhaupt nicht erkennbar, jedenfalls nicht in Deutschland. Sie müssen dann auf japanische, französische, jedenfalls ausländische Produkte zurückgreifen.
Deutschlandfunk Kultur: Und da ist natürlich Huhn und Ei. Die einen sagen, solange es nicht die Infrastruktur, also leicht zugängliche, möglichst kompatibele, schnell ladende Ladestationen gibt, wollen die Leute keine E-Autos fahren, weil es kompliziert ist. Und die Anbieter von E-Autos sagen: Wir verkaufen die E-Autos nicht, weil es ja die Infrastruktur nicht gibt.
Knie: Ja, das ist natürlich ein Scheinargument. Denn wir wissen alle - jetzt nehmen wir mal den privaten Automarkt - da lädt man natürlich zu Hause. Jeder hat zu Hause Strom. Die Mehrheit der Leute, die ein elektrisches Auto kaufen, wohnt in Siedlungsgebieten, wo man das locker machen kann. Und dann, wenn man selbst das nicht könnte, fahren Leute irgendwo hin - sei es zu Supermärkten oder zur Arbeit. Da gibt es jetzt schon genügend Infrastruktur.
Städte wie Berlin zum Beispiel haben schon fast mehr Ladepunkte als Autos. Also, dieses Argument, dass wir keine Infrastruktur hätten, ist nicht wirklich schlüssig. Das heißt, es fehlt ganz klar, das muss man eindeutig sagen, bei der deutschen Autoindustrie bis heute der Wille, tatsächlich Antriebe umzustellen und elektrische Autos in den Verkehr zu bringen.

"Nutzen statt besitzen" ist die Zukunftsformel

Deutschlandfunk Kultur: Wenn es denn in Gang kommt, dann könnte der Erfolg zum Problem werden. Denn eines der Anreizsysteme, was wir haben - wahrscheinlich hier, heute sinnvoll - ist ja, dass E-Autos kostenfrei parken können, jedenfalls an den Ladestationen. Wenn es derer aber in absehbarer Zeit Zehntausende in unseren Städten gibt, dann kann man das auch nicht mehr machen.
Knie: Das wäre ohnehin zu kurz gesprungen, wenn man sagen würde, der Wechsel des Antriebs alleine würde die Welt retten. Es ist schon mal ein erster Schritt. Also, ich sagte, die Fahrzeuge sind leiser und sie haben auch beim lokalen Verkehr weniger Emissionen. Aber sie sind immer noch Blechbüchsen, die dann, wenn sie privat genutzt werden, neunzig Prozent auch stehen. Das müssen wir ändern. Das heißt also, nicht nur der Antrieb muss sich ändern, sondern es muss auch die Nutzungsform des Autos sich ändern.
Wir sind eine moderne demokratische Gesellschaft. Die ist immer bewegungsintensiv, sollte sie auch bleiben. Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe ist immer auch mit Autos verbunden. Aber man muss diese Autos nicht mehr besitzen, um sie als Mobilitätsreserve vor der Tür stehen zu haben. Nutzen statt Besitzen ist eine Formel, die tatsächlich auch eine Zukunftsformel werden sollte.
Deutschlandfunk Kultur: Jetzt sind wir wieder bei der Verhaltensänderung. Letztendlich ist es wirklich eine andere Kultur der Mobilität, die wir brauchen, damit die Blechlawinen von der Straße kommen, die vielleicht irgendwann sauber rumstehen, aber noch immer die Straßen und die Autobahnen verstopfen. Da hilft eigentlich nur der Stau. Unter dem Motto, ob ich nun sauber oder weniger sauber im Stau stehe, wenn ich individuell mit dem Auto nicht mehr vorankomme, erst dann lasse ich es stehen?
Knie: Das Auto hatte ja seine Faszination aus der Knappheit. Wir können uns sicherlich alle noch an die Zeiten erinnern, wo es nicht selbstverständlich war, überhaupt ein Auto zu haben. Und wenn man eins hatte, dann war man froh und begeistert und stolz. Ich hatte auch einen Rallye-Kadett und habe ihn gepflegt und gehegt. Es durfte kein Mensch an das Steuer gehen.
Die Zeiten sind aber lange vorbei. Wir haben zu viel von diesen Autos. Das heißt, sie sind wie eine Commodity, eine Selbstverständlichkeit geworden, wie Gas, Wasser, Strom. Es ist eine immer da seiende Dienstleistung, die dann auch ihren Reiz verliert und auch die Funktionalität verliert, den Reiz: Wir stehen in einem Stau. Das heißt, die wirklichen tollen Zeiten des Autos sind tatsächlich vorbei. Das heißt, um das Auto zu retten, muss man es wieder verknappen. Das wird man nur tun, wenn man mehreren Leuten ein Auto gibt. Das können die sich wunderbar selber teilen. Das sind nicht immer nur die Pullunder tragenden Ökos. Das sind ganz moderne Formen der Dienstleistung. Das kennen wir von allem, was wir tun. Wir bestellen bei Amazon. Wir wohnen in Airbnb. Das kann man auch mit dem Gerät Auto tun. Man muss es nicht selber kaufen, um ein teures Gerät vor der Tür stehen zu haben.

Privilegien für das Auto zurückschrauben

Deutschlandfunk Kultur: Wir haben vernetzte Mobilität schon angesprochen, dass es wahrscheinlich zukünftig so sein wird, dass man nicht alternativ den Bus oder das Auto oder das Fahrrad nimmt, sondern ein Stück weit das Fahrrad und dann bisschen Bus und dann steht irgendwo ein Auto über Car Sharing da. Und dann gibt’s vielleicht noch E-Bikes und E-Roller, also eine Vernetzung. Und natürlich gehört der Öffentliche Nahverkehr dazu.
Den attraktiver zu machen, wäre das eine. Wie das geht, wissen wir – höhere Taktung, Verlässlichkeit, Sicherheit, Beschleunigung usw. Aber muss man nicht viel mehr letztendlich das individuelle Autofahren unattraktiver machen, indem man zum Beispiel tatsächlich, wie einige Städte international das ja schon tun, eine City-Maut erhebt?
Knie: Ich würde es nicht unattraktiver nennen, sondern man muss die Privilegien, die wir dem Auto eingeräumt haben, zurückschrauben …
Deutschlandfunk Kultur: Das macht es ja dann unattraktiv.
Knie: Ja, also, man hat hier ein Privileg eingeräumt bekommen, hatte freie Fahrt für freie Bürger. Das war ein Slogan nicht nur des ADAC, das war die verkehrspolitische Grundformel. Die muss man wieder zurück schrauben. Man muss sagen, es gibt andere Verkehrsmittel. Es gibt Fußgänger. Es gibt Fahrradfahren. Es gibt eben die Öffentlichen Nahverkehre. Das Privileg, alleine mit einem Auto durch die Stadt zu fahren, muss wieder eingebunden werden in die gesamte Situation des Verkehrs.
Das heißt natürlich, dass die Freiheitsräume des Autos eingegrenzt werden. Und das Autofahren muss auch endlich mal wieder so viel Geld kosten, wie es tatsächlich auch von der Bereitstellung her notwendig wäre, dieses zu finanzieren.

Straßenbenutzung braucht einen gerechten Preis

Deutschlandfunk Kultur: Aber das Wort City-Maut nehmen Sie nicht in den Mund?
Knie: Doch. Wir sprechen sogar generell von Road-Pricing. Also, die ganz radikale und auch die ganz ehrliche Form wäre, dass diejenigen, die öffentliche Straßen nutzen, genau so viel bezahlen, wie sie sie nutzen. Fahre ich viel auf Straßen, auf Fernstraßen, Nahverkehrsstraßen, muss ich auch mehr bezahlen. Fahre ich vielleicht gar nicht auf Straßen, bin mit dem Rad unterwegs, zahle ich halt weniger.
Das kann man als City-Maut verkleiden. Das kann man als Straßenbenutzungsgebühr, als Maut, wie auch immer beschreiben. Das wäre die radikalste Form der gerechten Bepreisung des Verkehrs.
Deutschlandfunk Kultur: Berlin versucht ja tatsächlich einen Schritt von diesem Vorrang für Autofahrer wegzugehen, hat im Juni ein Mobilitätsgesetz verabschiedet. Da wird viel fürs Fahrradfahren getan. Ich will jetzt die einzelnen Maßnahmen nicht aufzählen. Trotzdem hat man das Gefühl, dass das immer nur so kleine Tropfen auf einen heißen Stein sind. Also, der Ruck, der da durch die Gesellschaft zu gehen hätte, der bleibt noch aus. Oder ruckelt es sich dort hin?
Knie: Erstmal ist es ja schon mal ein Fortschritt, dass man ein Mobilitätsgesetz hat, ein erstes Landesmobilitätsgesetz. Aber bei genauerem Hinsehen, da haben Sie völlig Recht, ist das eigentlich Pritzelkram. Es zeigt, man muss Verkehr grundsätzlich neu durchdenken. Denn man kann dem Fahrrad nicht mehr Raum einräumen, wenn man einem anderen Verkehrsmittel, dem Auto, nicht den Raum nimmt. Wir können nicht zweistöckig unterwegs sein.
Die Berlinerinnen und Berliner wollen jetzt mehr Fahrrad fahren. Das sollen sie auch. Dafür brauchen sie mehr Raum auf der Straße, nicht an irgendwelchen Fahrradstreifen, die völlig unübersichtlich sind. Es muss der ruhende Verkehr zurückgestuft werden. Das heißt, wir brauchen eine Parkraumbewirtschaftung, die den Namen verdient. Das Mobilitätsgesetz hat einen ersten Schritt getan, muss aber zwingend den zweiten auch tun und muss natürlich das gesamte Ökosystem Verkehr neu denken. Das heißt, weniger Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Das heißt, mehr Raum für Fußgänger und Fahrradverkehr.
Deutschlandfunk Kultur: Aber was die Berliner natürlich auch nicht machen können - und sie wollen ja schon gefährliche Kreuzungen entschärfen, sie wollen Stellplätze für Fahrräder, Fahrradschnellstraßen schaffen zum Beispiel. Das wollen sie alles machen, aber sie können das Wetter nicht verändern. Will sagen: Wenn es nass, dunkel und kalt ist, ist das Fahrrad halt nach wie vor einfach ein wenig attraktives Fortbewegungsmittel.
Knie: Ja, das stimmt. Ich selber fahre auch lieber im Sommer, gebe ich ehrlich zu. Aber die Zahl der Allwetterfahrer nimmt deutlich zu, gerade in Berlin. Wir haben das letztes Jahr gemessen oder der Berliner Senat hat es an seinen Fahrradzählstationen gemessen. Allein in den letzten fünf Jahren haben wir etwa 50.000 Fahrradfahrende mehr auch im Winter. Das heißt also, es gibt immer mehr Menschen, die sagen: Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung.
Aber natürlich wird das Fahrrad, wenn es ganz gut wird, ein Viertel aller Wege abdecken können, aber auch nicht mehr. Das heißt, nur Fahrradstadt können wir auch nicht werden.

Verbote und Kontingente im Flugverkehr

Deutschlandfunk Kultur: Städte wie Kopenhagen haben mittlerweile mehr Fahrräder als Autos in ihrem innerstädtischen Verkehr. Aber dann kommen wir zu dem netten Phänomen, dass wir von einer fahrradgerechten Stadt zur nächsten fliegen können – Kurzurlaub, Wochenende in Kopenhagen, in Bilbao, wo auch immer. Gehört zu einer echten Verkehrswende auch, dass das Fliegen in irgendeiner Form begrenzt wird? Kontingente für den Einzelnen beispielsweise?
Knie: Also, um nach Kopenhagen zu kommen, kann man natürlich auch mit der Bahn fahren. Aber natürlich ist das Fliegen im Moment das probate Mittel, weil Fliegen ja so billig ist! Und das Dumme ist, es machen natürlich viele. Das heißt, da haben wir natürlich ein ganz dickes CO2-Problem.
Deutschlandfunk Kultur: Wie kommen wir da ran? Verbote? Kontingente - jeder darf im Jahr nur fünf Mal fliegen?
Knie: Also, ich würde sagen, man kann drei Schritte machen. Erstens muss man gerechte Preise aufrufen. Das heißt also, Kerosin wird ja überhaupt nicht besteuert. Man könnte mal mit der Kerosinsteuer anfangen und dann vielleicht auch eine Mehrwertsteuer erheben. Dann würden die Flugtickets schon mal doppelt und dreifach so teuer.
Dann muss man überlegen, ob man nicht tatsächlich den Inlandsverkehr völlig verbietet. Kann man nicht darüber nachdenken, dass das Fliegen innerhalb Deutschlands einfach verboten wird, weil es Alternativen gibt. Es gibt die Bahn. Es gibt natürlich auch Autos. Es gibt Busse. Wir könnten es tun. Dann hätten wir diesen CO2-Ballast zumindest dort reduziert.
Und dann kann man noch weiter nachdenken: Der internationale Verkehr soll ja nicht ganz abgeschafft werden. Völkerverständigung ist gut. Wenn die Leute sich kennen lernen, dann hauen sie sich nicht die Köpfe ein. Das wäre nicht schlecht. Aber muss das so unendlich viel sein? Da gibt’s die Idee, jeder darf im Jahr drei Flugpaare machen, also dreimal hin und herfliegen. Dann sagen natürlich viele, das reicht mir gar nicht. Ja, dann muss er eben einen finden, der ihm vielleicht seine Kontingente abtritt. Da werden einige Leute sagen: Ich kann aber nicht von A nach B fliegen. Dann wird er plötzlich interessant als Ware, denn dann kann er seine Kontingente vielleicht verkaufen. Dann hätten wir zumindest eine Begrenzung.

Menschen sind zur Routineveränderung bereit

Deutschlandfunk Kultur: Sehen Sie denn irgendwo den politischen Willen irgendeiner Partei, so etwas durchzusetzen? Selbst die Grünen haben sich seinerzeit - man erinnert sich - furchtbar die Finger verbrannt, als es nur darum ging zu sagen: Ein Liter Benzin soll fünf Mark – damals noch – kosten.
Knie: Das stimmt, weil die Politiker natürlich den Eindruck haben, der Mensch, gerade der deutsche Mensch, würde noch immer beim Auto hängen. Es gibt ja auch viele Medien, die das auch gerne aufgreifen. Also, die BILD-Zeitung ist sich nicht zu blöd, Kampagnen wie "BILD kämpft für den Diesel" und solche Sachen zu machen. Und der rechte Rand wirbt ja auch so: "Hände weg vom deutschen Auto".
Das verkennt aber die tatsächliche Stimmung. Denn das, über das wir gerade reden, ist überall, in jedem Haushalt im Moment Thema. Ob ländlicher Haushalt oder ob städtischer Haushalt - die Leute denken darüber nach: Wie soll ich mich zukünftig bewegen. Ich brauche noch ein Auto, aber ich würde es gerne anders haben. Also die Bereitschaft, auch verkehrliche Maßnahmen zu akzeptieren, die eine Routineänderung hervorrufen, ist viel, viel größer.
Das heißt, wir glauben, dass die Politik endlich das nachvollziehen sollte, was im sogenannten Volk schon längst gärt. Die Menschen wissen, dass das, was wir bisher haben, so nicht weitergehen kann. Also, Maßnahmen würden eine hohe Akzeptanz bekommen.
Deutschlandfunk Kultur: Man müsste dann aber trotzdem viel Geld in die Hand nehmen. Sie haben den ländlichen Raum gerade angesprochen. Da ist die öffentliche Anbindung natürlich nach wie vor katastrophal. Da wird’s vielleicht auch erst 2030, was die Bahn angeht, Änderungen geben. Denn die wollen ja tatsächlich ihre Politik ändern. Dazu soll auch gehören, dass stillgelegte Strecken wiederbelebt werden bzw. dann eben mit Shuttle-Systemen die Anbindung von Orten, die nicht an den Schnellverkehr angeschossen sind, zu verbessern.
Knie: Das ist eine ganz bittere Wahrheit, denn in Deutschland sind 63 Prozent der Fläche Land. Da haben wir fast 800 zugelassene Autos auf eintausend Einwohner. Das heißt, da hat jeder statistisch zwei oder drei Autos. Da können wir jetzt nicht einfach sagen: Fahrt aber mal Busse, die da entweder gar nicht kommen oder zu Zeiten, wo man eh nicht kann, also wo sie jedenfalls keine attraktive Alternative sind. Deshalb sagen wir alle: Im Land muss man wieder etwas tun, was man früher auch hatte. Andere Leute nehmen andere Leute mit. Der Bürger kann ja den Bürger mitnehmen. Und das reizen wir ein bisschen an, indem man nämlich dafür auch ein Entgelt in Aussicht stellt.
Das ist natürlich im Moment verboten, weil jeder, der einen anderen gewerblich mitnehmen will, eine Lizenz braucht. Das muss man ändern. Damit können wir den Besetzungsgrad der Fahrzeuge deutlich erhöhen. Wir glauben, dass Menschen gerne andere Menschen mitnehmen, weil sie dann nämlich günstiger fahren. Dann kann man sie tatsächlich zu Bus und Bahn bringen, wo sie dann weiter mit Schnellverkehren unterwegs sind.
Das ist alles digital durchgängig. Dann ist es auch kein Komforteinbruch: keine Tickets mehr, man checkt morgens ein, checkt abends aus. Es ist ganz bequem. Man muss über nichts nachdenken. Man ist dennoch von A nach B möglichst individuell und dann unterwegs, wenn man es auch sein möchte.

Transport wird vielfältiger werden

Deutschlandfunk Kultur: Verlierer wäre die Taxi-Zunft.
Knie: Die Taxizunft muss sich auf das konzentrieren, was sie tatsächlich gut kann: Es kommt einen ein gut qualifizierter Mensch, mit gutem technischen Gerät, servicefreundlich von der Tür abholen, trägt vielleicht sogar noch das Gepäck, und fährt einen dorthin, wo man sonst nicht hinkommt. Diese Kernkompetenz – sehr individuell, sehr exklusiv – wird weiter das Taxi haben. Aber wir werden uns da dran gewöhnen müssen, dass der Transport von Menschen vielfältiger wird, mehrteiliger wird, mit mehreren Geräten, auch viel mehr Menschen in einem und demselben Gerät. Da werden viele Menschen auch zu Transporteuren werden, die heute noch gar nicht glauben, dass sie das könnten.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben schon gesagt, Sie haben selbst kein Auto mehr. Wie sind Sie denn jetzt zu uns ins Funkhaus zu diesem Gespräch gekommen?
Knie: Ja, das war eine typisch intermodale Wegekette. Ich bin zu Fuß zur Straßenbahn, dann zur S-Bahn. Dann bin ich, weil ich kein Leihfahrrad fand, auf elektrisches Auto gestiegen und habe die letzten zwei Kilometer mit diesem elektrischen Car Sharing noch vollbracht. Mit dem fahre ich nachher wieder an den Bahnhof und fahre dann weiter mit der Fernbahn.

Andreas Knie ist Sozialwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin und Professor für Soziologie an der TU Berlin. Er ist seit 2010 Mitglied der Arbeitsgruppe Rahmenbedingungen der Nationalen Plattform Mobilität. Knie ist Gründer und Co-Geschäftsführer der InnoZ GmbH, die seit 2006 praxisnahe Untersuchung von Innovationsprozessen im Mobilitätssektor durchführt.

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