Mit Yoga zum Frieden?

Vom Kampfruf zur Entspannungsphilosophie

Yoga am Morgen in Vietnam.
Meditation am Morgen: Hotelgäste in einem Yoga-Resort. © dpa / picture alliance / Thomas Uhlemann
Mathias Tietke im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 22.06.2015
Am Wochenende war Welt-Yogatag. Yoga sei wohltuend, aber nicht automatisch friedensstiftend, meint der Yogalehrer Mathias Tietke. Ihn stört, dass die indische Regierung Yoga für ihre nationalistische Politik einspannt.
""Ommmm...." - dieser Laut erklingt in Deutschland regelmäßig aus Millionen Kehlen zu Beginn oder am Ende einer Yoga-Stunde. Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber nach Schätzungen haben sich bis zu fünf Millionen Bundesbürger dem meditativen Sport für Körper und Geist verschrieben, der bei uns als Sinnbild für Friedfertigkeit und Entspannung wahr genommen wird.
Das sei nicht immer so gewesen, stellte der Yogalehrer Mathias Tietke im Deutschlandradio Kultur richtig. Wenn man sich die Jahrtausende alte Geschichte des Yoga anschaue, dann werde deutlich, dass es „einen permanenten Wandel" der Bedeutung des Wortes Yoga gegeben habe:
"Als das Sanskrit-Wort zum ersten Mal auftauchte, vor etwa 3000 Jahren im Rigveda, war es gleichbedeutend mit 'Auf in den Kampf'."
Verwendet hätten es die Reiternomaden, wenn sie ausgezogen seien, um Dörfer zu überfallen. Erst viel später habe "Yoga" die Bedeutung erlangt, die es heute habe.
Die Palette der Yoga-Arten ist vielfältig: Sie reicht von Hatha Yoga über Kundalini Yoga bis TriYoga. Und ebenso vielfältig seien die Yoga-Anhänger, sagte Tietke. Für einige stehe Yoga vor allem stellvertretend für einen bestimmten Lebensstil oder einfach für Fitnessübungen, andere suchten Lebenssinn, Entschleunigung und körperliches Wohlbefinden.
In Indien, dem Ursprungsland, werde Yoga zunehmend politisch instrumentalisiert, kritisierte Tietke mit Blick auf den rechtskonservativen, hindu-nationalistischen indischen Premierminister Narendra Modi, der Yoga zum Nationalheiligtum erklärt habe.


Das Inteview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Frieden und Harmonie, so wünscht es sich der indische Premierminister Modi. Im Studio ist jetzt der Yogalehrer und Buchautor Mathias Tietke, Autor des Buches "Yoga kontrovers – Zehn populäre Irrtümer in Bezug auf Yoga". Einen schönen guten Morgen!
Mathias Tietke: Guten Morgen!
Frenzel: Wenn wir uns das noch mal anhören, vor Augen führen, Frieden und Harmonie. Das klingt einfach nur gut, oder?
Tietke: Ja, das ist gut. Ich war gestern Nachmittag auch am Brandenburger Tor. Auch die Atmosphäre dort war sehr entspannt, war friedlich. Es ist aus meiner Sicht auch nichts gegen den Inhalt zu sagen, aber es ist einiges Kritisches zum Veranstalter zu sagen.
Frenzel: Nämlich was?
Tietke: Zum einen sind gestern nur solche Yogaschulen zugelassen worden auf der Bühne und Anleitungen zu präsentieren, die an einen indischen Guru geknüpft sind, also es waren keine westlichen, angepassten Yogaschulen zugelassen. Organisiert wurde das ja von der indischen Botschaft, und der Veranstalter oder der Initiator ist ja Modi als Premierminister. Und Premierminister Modi hat halt in der Vergangenheit ziemlich deutlich gemacht, wo er steht.
Als Vertreter des Hindu-Nationalismus vertritt er sehr konservative Positionen und ist auch mitverantwortlich für die Ausschreitungen im Gudscharat, also Pogrome. Da habe ich auch noch mal nachgeschaut, es gibt Untersuchungen von Amnesty International, dass er da direkt involviert war. Das heißt, der Hintergrund ist doch aus meiner Sicht nicht ganz so friedlich und harmonisch.
Frenzel: Ich hatte jetzt erst einmal ganz naiv gedacht, bei so etwas wie Yoga, da kann eigentlich gar nichts Ungutes dahinterstecken. Aber offenbar gibt es ja eine Spur Nationalismus, die darin stecken kann, wenn man will.
Tietke: Ja. Also, wenn man sich die Entwicklung des Yoga anschaut über 5.000 Jahre, ist es auch ein permanenter Wandel des Begriffes, also der Bedeutung. Und es beginnt ja damit, dass dort, wo der Begriff das erste Mal auftaucht, also vor circa 3.000 Jahren im Rigveda, dass das Wort, das Sanskrit-Wort Yoga gleichbedeutend mit "Auf in den Kampf", das heißt, wenn die Reiternomaden ihre Siedlung verlassen haben und sich entschlossen haben, halt wieder aufzubrechen, um die nächsten Siedlungen zu überfallen, dafür war der Begriff Yoga, also Anschirren, um halt auszureiten und die nächsten Orte zu überfallen.
Das war Yoga, und als Gegensatz: Man siedelt – grama. Dieser Begriff hat sich dann natürlich gewandelt, die Bedeutung Anschirren hat sich dann zu einem Synonym entwickelt im Sinne von Anbindung, und erst 1.000 Jahre später, also um die Zeitenwende, hat dann Patanjali daraus einen Begriff gemacht, das Zur-Ruhe-Bringen der Gedanken, und etwas, was dann in einen achtstufigen Yoga-Weg entwickelt wurde, auf den wir uns heute beziehen.
Körpertechnik mit Bewusstseinsschulung
Frenzel: Wenn Sie sagen, auf den wir uns heute beziehen – also Sie haben gerade schon über Indien gesprochen und wie politisiert diese ganze Yoga-Frage dort ist – wenn wir zu uns schauen, nach Deutschland, in den Westen, ist Yoga da einfach nur das entspannte Yoga, oder gibt es hier eigentlich auch so ein bisschen die Problematik, dass da Sachen vermengt werden?
Tietke: Man muss das halt differenzieren. Es gibt natürlich ein sehr breites Spektrum von Yoga-Schulen und -Stilen. Es gibt solche, die einfach nur im Sinne der Fitness Übungen anbieten, die den Körper, den Zustand des Körpers verbessern, aber es gibt eben auch solche, die den Yoga-Gedanken verbinden mit der Lehre des Hinduismus, wo halt Rituale des Hinduismus oder Götter damit verknüpft werden, was man zum Beispiel sehr gut sehen kann an dem jährlich stattfindenden Yoga-Festival in Berlin, was jetzt in Kürze wieder sein wird, wo ein Großteil der Referenten halt Mönche sind oder Chajas, also geistige Führer, die ja nicht über Yoga reden, sondern die über Krischna und Ganesha und Shiva, also Götter des Hinduismus reden und dies halt auch entsprechend vermitteln. Das heißt, da wird in der Tat das, was wir unter Yoga verstehen, eine Körpertechnik oder Bewusstseinsschulung, wird dort verknüpft mit einer Religion.
Frenzel: Was ist es für Sie? Eine Körpertechnik ohne Religion?
Wie viel "Om" braucht Yoga? Yogafestival Nachspiel 8.12.2013
Yoga als Massenphänomen: Yogis bei einem Open Air-Festival.© Marianne Allweiss
Tietke: Es ist ein Komplex, zu dem auch die Körperübungen gehören. Das ist ja etwas, was sich erst im Mittelalter in Indien entwickelt hat, also der Hatha-Yoga, also der Yoga der Anstrengung, zu dem dann auch Körperübungen gehört haben. Wenn man nun zurückgeht wiederum auf das Yoga-Sutra des Patanjali, vor 2.000 entwickelt, da ist halt die Körperübung eine Stufe. Es gehört dann halt eine Ethik dazu, es gehören Atemübungen dazu, Meditation. Das ist dann ein mehr komplexer Begriff, was unter Yoga zu verstehen ist, mit dem Zielaspekt, es geht darum, künftiges Leiden zu vermeiden. Und das ist so auch, wo ich dann den Yoga als Ganzes auch eher sehe.
Frenzel: Man könnte sich natürlich eines fragen: In unseren Kulturkreisen gibt es ja auch körperliche Betätigung, Entspannungsübungen – warum turnen wir nicht einfach?
Tietke: In der Tat, das ist eine gute Frage. Man kann natürlich auch turnen, aber das Bewusstsein wird beim Yoga ja anders justiert. Das heißt, ich bin mehr auf mein Selbst zurückgeworfen, auf eine Kontrolle und auch Bearbeitung der Atemtechnik und auf einen Zielaspekt, der eben genau dazu führt, dass das Gedankenkarussell, dieses ständige Hin- und Herspringen gerade in der heutigen Gesellschaft, dass man das halt bearbeitet.
Und das ist beim Turnen vielleicht auch möglich, auch beim Laufen. Ich sehe da jetzt auch keine besondere Stellung des Yoga. Es gibt ganz einfach auch andere Möglichkeiten, und Yoga ist eben eine, das Bewusstsein zu schulen oder besser mit Stress umzugehen oder eben etwas für die Gesundheit zu tun.
Um vier Uhr früh der Sonnengruß
Frenzel: Haben Sie denn den Eindruck, dass das Yoga, das die meisten Menschen hierzulande so betreiben in vielen Yoga-Kursen oder auch privat zu Hause, dass es das erfüllt, was Sie da gerade beschrieben haben, oder ist das so eine Art, na ja, Lifestyle-Geschichte, die gerade Mode ist, die aber auch letztendlich nicht bis zur letzten Konsequenz richtig betrieben wird?
Tietke: Also, von der Yoga-Szene, die ich so in Deutschland kenne, beobachten kann, ist es, würde ich sagen, geteilt. Es gibt die einen, die mehr suchen, also auch ein Refugium, die den Ashram-Charakter, den weltanschaulichen Hintergrund des Hinduismus, also die Exotik mit dazu haben möchten. Und es gibt auch die anderen, die einfach etwas für die Gesundheit, also etwas Präventives für ihre Gesundheit machen möchten oder einfach für ihre Fitness. Es ist, würde ich sagen, geteilt.
Frenzel: Sie sind ja jetzt in aller Herrgottsfrühe zu uns hier ins Studio gekommen. Eine Frage zum Abschluss? Waren Sie heute Morgen schon auf der Matte?
Tietke: Ich war heute Morgen nicht auf der Matte, aber auf dem Teppich. Ich bin auf dem Teppich geblieben und habe eine kurze Übung gemacht, um die Wirbelsäule zu bewegen. Aber es ist kein, so wie das auch gerne vermittelt wird, dass man morgens um vier Uhr schon für anderthalb Stunden den Sonnengruß macht oder Übungsabläufe. Das ist eben auch, wenn man in Indien war – ich war vier Monate in Indien – ist das etwas, was dort klimatisch einfach passt.
Für die westlichen Verhältnisse, da bin ich eben auch bewusst ein skeptisch denkender Westler, finde ich, muss man das an den Alltag anpassen. Und insofern reichen mir auch die kürzeren Sequenzen.
Frenzel: Der Yoga-Lehrer und Buchautor Mathias Tietke. Ich danke Ihnen ganz herzlich für den Besuch bei uns im Studio!
Tietke: Ja, danke für die Einladung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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