Mit oder ohne "NS"?

Von Susanne Lettenbauer · 05.04.2011
Im Sommer beginnt der Bau des Dokumentationszentrums zur NS-Geschichte in München. Dass das Haus "NS-Dokumentationszentrum. Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus" heißen soll, entschied kürzlich der Stadtrat. Jetzt sorgt das Kürzel "NS" für eine Kontroverse bis hin zu einem Disziplinarverfahren.
Marian Offman steht ratlos vor der Münchner Synagoge am Jakobsplatz.

"Ich bin der Meinung und die Mehrheit des Münchner Stadtrates, dass es kein Nazijargon ist, sondern dass dies die Abkürzung des Wortes nationalsozialistisch ist."

Der CSU-Stadtrat und Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde ist eigentlich stolz: dass endlich auf dem ehemaligen Standort des Braunen Hauses, Hitlers Machtzentrale in München, ein Dokumentationszentrum stehen soll, dass in einem Kraftakt von Bund, Land und Stadt endlich ab 2013 in einem der wichtigsten Neubauten Münchens an die Geschichte des Nationalsozialismus erinnert wird.

Aber: Darf man den Begriff "nationalsozialistisch" heute noch im Namen dieses Dokumentationszentrums verwenden? Oder spielt man damit den Rechten in die Hände? Wird das NS-Thema heute nur noch parteipolitisch genutzt, wie es die Gründungsdirektorin des Dokumentationszentrums Irmtrud Wojak dem jüdischstämmigen CSU-Stadtrat Offman vorwirft?

"Ich habe von ihr verlangt eine Entschuldigung. Wenn sie mir unterstellt, ich würde Zeitzeugen gegeneinander ausspielen – ich lebe, seit ich denken kann, mit Zeitzeugen – ich spiele hier keine Zeitzeugen aus, das mir zu unterstellen ist unsäglich."

15 Jahre lang diskutierte Münchens Stadtspitze intensiv über einen angemessenen Erinnerungsort an die Gräuel der Nazizeit. Immer mit dem Arbeitstitel "NS-Dokumentationszentrum München". Für die meisten Stadträte deshalb keine Frage: Das Projekt muss auch offiziell "NS-Dokumentationszentrum" heißen: CSU, Grüne, Linke, FDP - in seltener Eintracht. Ein griffiger Titel, seit Jahren bekannt, in Köln ähnlich verwendet, so Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker:

"Wir aber waren der Meinung: Es muss bereits in der Kurzfassung deutlich werden, worum es hier geht: Einfach das Dokumentationszentrum München zu verwenden, fanden wir zu neutralisiert. Deswegen hielten wir es für richtig, NS hier reinzunehmen."

Der Konter Gründungsdirektorin Irmtrud Wojak: Die Zeitzeugen, die sie befragt habe und die sich gegen das NS-Kürzel ausgesprechen, würden heute "kein Gehör mehr finden". Die Diskussion sei ein "Lehrstück zu parteipolitischen Überlegungen" gewesen. Eindeutig habe sie sich gemeinsam mit dem Kulturreferat, Oberbürgermeister Christian Ude und der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Charlotte Knobloch gegen die Verwendung des Kürzels "NS" ausgesprochen und sei übergangen worden. Die Sprecherin des Kulturreferenten Hans Georg Küppers:

"Wir haben einfach Bedenken von Holocaust-Überlebenden in den Stadtrat und in die Diskussionen hineingetragen, bei denen das Kürzel 'NS' Assoziationen auslöst mit Einrichtungen, die damals das Kürzel vor dem Namen trugen."

Immer wieder müsse sich die Gründungsdirektorin Wojak im Ausland Bedenken zu der Bezeichnung "Nationalsozialistisches Dokumentationszentrum" anhören, so Jennifer Koszarevicz. Das Haus werde durch Inhalte überzeugen müssen und nicht durch die bloße Bezeichnung, so das Argument auch der wissenschaftlichen Mitarbeiter Wojaks. Grünen-Fraktionschef Benker hält dagegen:

"Ich halte das für Unsinn, einen solchen Begriff wegzulassen. Die Nationalsozialisten haben auch den Begriff Nationalsozialismus verwendet oder den Begriff Hitlerjugend. Man kann die doch nicht weglassen. Entscheidend ist, wie die Begriffe besetzt werden. Ich bin mir ganz sicher, dass auch der blödeste Neonazi mitbekommt, es geht hier nicht um die Verherrlichung, sondern um eine Aufarbeitung des NS-Terrors. Deshalb sollte man es nicht weglassen, sondern inhaltlich klar besetzen."

"Diese Diskussion lasse das Schlimmste fürchten für die künftige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus", schreibt die Verantwortliche Direktorin Wojak an den empörten Stadtrat. Ihr ahnungsloser Chef, Kulturreferent Küppers, fühlt sich überfahren. Denn noch hat nicht einmal die Diskussion um das inhaltliche Konzept des "Wie- auch-immer-Dokumentationszentrums" begonnen.

Personelle Konsequenzen will das Kulturreferat dennoch nicht ziehen. Auch zu dem angekündigten Disziplinarverfahren gegen die Gründungsdirektorin hält sich das Kulturreferat bedeckt. Derzeit ist Wojak drei Wochen im Urlaub. Wie es danach weitergeht, weiß keiner.