Mit Haut und Haar

06.10.2009
Michaels Sims verfügt über eine seltene Begabung. Er erklärt uns die Funktionen des Körpers so bildhaft, dass wir keinerlei Mühe haben, sie sofort zu verstehen. Nie wirkt er trocken oder belehrend, vielmehr witzig und heiter.
Er ist ein alter Bekannter und uns gut vertraut: unser Körper. Wir glauben ihn zu kennen und haben zahlreiche Sprichworte, Anspielungen und Metaphern parat, die seine Funktionen ins Alltagsleben übertragen. Doch wie viel wissen wir wirklich über Arme und Beine, Lippen und Ohren, Haare oben und unten, Finger und Zehen, Nabel und Brustwarzen? Ziemlich wenig, das zumindest macht der amerikanische Autor Michael Sims in seinem Buch "Adams Nabel und Evas Rippe" rasch klar.

Sein Streifzug über das Körperäußere erkundet das Sichtbare, berichtet von dessen evolutionärer Herkunft, schildert seine Funktionen und erzählt von den zahlreichen Bedeutungen, die der Mensch den verschiedenen Ausformungen seiner Körperhülle gegeben hat, von Mythen und Märchen.

Zum Beispiel das Haar, das in jeder Kultur eine bedeutsame Rolle spielt. Spätestens seit Samson mit seinem Haar auch seine Kraft verlor, wissen wir um die Symbolik. Hexen, so glaubte man, lösten durch Kämmen Blitze und Stürme aus. Alte Frauen in irischen Dörfern verstauten ihr abgeschnittenes Haar in den Strohdächern, weil sie glaubten, am jüngsten Tag für jedes einzelne Rechenschaft ablegen zu müssen. Mit Haaren kann man zudem Politik machen: Der Afrolook amerikanischer Schwarzer war ein Zeichen erwachten Selbstbewusstseins.

Erstaunlich auch, was Michael Sims über unser Gesicht herausgefunden hat. Er bezeichnet es als eine "vielbeschäftigte, mit raffinierten Informationsbeschaffungsgeräten ausgestattete Oberfläche." So amüsant das klingt, es ist, wie er dann anhand der Augen, Ohren, Nase und Lippen detailliert ausführt, tatsächlich faszinierend, welche uns gar nicht bewussten Fähigkeiten sie besitzen. Die Sinnesorgane sind allesamt High-Tech-Geräte zur Erkundung der Welt und zur zwischenmenschlichen Kommunikation.

Michaels Sims verfügt über eine seltene Begabung. Er erklärt uns die Funktionen des Körpers so bildhaft, dass wir keinerlei Mühe haben, sie sofort zu verstehen. Nie wirkt er trocken oder belehrend, vielmehr witzig und heiter. Mit leichter Hand verknüpft Michael Sims immer wieder wissenschaftliche Erkenntnisse mit Ausflügen in die Kulturgeschichte. Er zeigt dabei nicht nur die Sprachwurzeln vieler Begriffe, sondern verblüfft uns immer wieder mit Exkursionen in Sitten und Gebräuche.

Beispiel Hände. Sie sind ein äußerst sensibler Körperteil, dessen überragende Wichtigkeit sich im Gehirn dadurch widerspiegelt, dass sie eine Menge Platz auf seiner Festplatte beanspruchen. In der Sprache drückt sich ihre symbolische Bedeutung in zahlreichen Redewendungen aus: So wäscht man seine Hände in Unschuld, beißt nicht die Hand, die einen füttert, hält sich für in guten Händen, legt Hand an oder gerät eine Sache leicht in falsche Hände.

Michael Sims lockere Herangehensweise an den Körper erlaubt es dem Autor auch, eine Region unverkrampft zu behandeln, die noch in alten Lexika ausgespart wurde: den Intimbereich, also Vagina und Penis. Auch hier triumphiert das amüsante Staunen über schamhaftes Drumherumreden. Das Buch ist eine höchst vergnügliche Reise um und über den Körper. Selten hat Dazulernen so viel Spaß gemacht.

Besprochen von Johannes Kaiser

Michael Sims: Adams Nabel und Evas Rippe - Eine Erkundung des menschlichen Körpers
Aus dem Amerikanischen von Christine Schmutz und Frithwin Wagner-Lippok
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009
367 Seiten, 19,90 Euro