Mit Gottes Hilfe

Von Karl Hoffmann · 26.02.2013
Viel Zeit haben die Kardinäle nicht, die das Konklave zur Papstwahl bilden: Spätestens zwischen dem 15. und dem 20. Tag nach dem Rücktritt des Papstes am Monatsende muss das neue Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gefunden sein - ein Posten mit Macht und Einfluss, um den im Vatikan hart gerungen wird.
Prachtvoll wie selten zuvor war die letzte Messe des scheidenden Papstes am Aschermittwoch. Die Verkündigung des Amtsverzichts sorgte schlagartig für neues Interesse bei den Bürgern. Und für Wohlwollen: Dem Papst, der keiner zum Anfassen war, schlug mit einem Mal eine Welle von Sympathie entgegen, an der es acht lange Jahre gefehlt hatte. Selten hat man auf dem Petersplatz so viel öffentliche Begeisterung für Benedikt XVI erlebt, wie bei seinem letzten Segen am vergangenen Sonntag.

Man sah Plakate und Spruchbänder - "du fehlst uns" und "Danke" - noch trauert ihm die Menge nach. Aber in den Bars und auf der Piazza ist längst eine heiße Diskussion über die Frage nach Nachfolgern entbrannt.

"Der Nächste wird ein Afrikaner sein, kein Weißer.
Ich glaube, sie werden sich auf einen italienischen Papst einigen.
Ich hoffe, es wird ein Franziskaner, ein Urchrist, ein ganz aufrechter, der die Kirche mitsamt all ihrem Reichtum in den Dienst des Volkes stellt.
Ich glaube, es wird der Kardinal von Mailand.
Scola, der Kardinal von Mailand. Der ist mir sympathisch."

Auch hinter den Kulissen ist man längst auf der Suche nach dem neuen Papst. Der unvermittelte Verzicht wirkte wie ein plötzlicher Tod. Anders als vor acht Jahren:

"Liebe Brüder und Schwestern, um 21.37 Uhr ist unser über alles geliebter Heiliger Vater Johannes Paul II in Gottes Reich eingegangen."

Tiefe Trauer herrschte in dieser ungewöhnlich kalten Nacht des 2. April 2005 auf dem Petersplatz, obwohl Karol Wojtyla, der polnische Papst ein langes Siechtum hinter sich hatte und sein Tod wie eine Erlösung schien, die psychologisch betrachtet immer auch gleichzeitig einen Neuanfang darstellt.

Wahrscheinlich wird der neue nicht so sein wie der jetzt Verstorbene. Aber hoffen wir, dass es trotzdem ein guter Papst wird.

Die Proklamation von Joseph Ratzinger war für viele Gläubige eine Überraschung, auch wenn er während des kurzen Konklave schon als einer der "papabili", der möglichen Nachfolger von Karol Wojtyla gehandelt wurde. Denn letztlich konnte seine Wahl ja von langer Hand vorbereitet werden. Einerseits habe er zwar nie Papst werden wollen, hat Ratzinger erklärt. Andererseits ist nicht abzustreiten, dass er über erheblichen Einfluss auf viele Kardinäle verfügte, als diese ihn zum Papst ernannten. Zu viele Zügel hatte er im Vatikan in der Hand, als dass ein Außenstehender ohne sein Plazet hätte, Kandidat werden konnte. Vielleicht ohne es zu wollen, lief doch alles auf seine Person zu.

Solch eine Konstellation ist im kommenden Konklave undenkbar. Es gibt keine herausragende Führungskraft mehr. Im Gegenteil. Die katholische Kirche scheint nach acht Ratzingerjahren geschwächt, zerstritten, von Skandalen erschüttert und erschrocken über die einzig wirklich sensationelle Neuerung, die Benedikt XVI in die verkrustete vatikanische Routine einbrachte: den Rücktritt zu Lebzeiten. Kommentiert der Vatikankenner und Schriftsteller Corrado Augias:

"Der Beruf des Papstes ist grausam, man würde ihn seinem schlimmsten Feind nicht wünschen, vor allem in diesen Zeiten. Die kirchliche Lehre interessiert niemanden mehr, die jungen Leute haben andere Interessen. Die Kirche wieder in Gang zu bringen, ist ein heilloses Unterfangen. Um das fertigzubringen, müsste einer gewählt werden, der eine übermenschliche Energie hat. Aber wer weiß, ob sie das schaffen."

Viele Beobachter sprechen von einer Zeitenwende in der Katholischen Kirche, die nach acht langen Jahren die Chance hat, die konservative Politik des Vatikans, die der Kirche viele Gläubige, und viel Nachwuchs bei Priestern und Nonnen gekostet hat, zu erneuern. Aber Vieles steht dem entgegen: Die Probleme fangen schon mit der Papstwahl an, sagt Corrado Augias:

"Die Rituale, die Doktrin, all die Prozeduren im Vatikan sind völlig veraltet. Es müsste eine Revolution geben, noch heftiger als jene des Zweiten Vatikanischen Konzils im Jahr 1965. Das Wort Konklave zum Beispiel kommt aus dem Lateinischen und heißt 'mit dem Schlüssel', also eingeschlossen in der Sixtinischen Kapelle. Das ist doch heutzutage nicht mehr zu vertreten."

Ein Mann mit beinahe übermenschlichen Kräften also, das erste Indiz für den künftigen - idealen - Papst. Da scheiden viele, vor allem die älteren der 117 wahlberechtigten Kardinäle unter 80 Jahren, schon mal aus. Der Mailänder Kardinalerzbischof Carlo Maria Martini, ein Gegenspieler Ratzingers, modern, aufgeschlossen und kritisch gegenüber den Traditionalisten, die ihn behinderten, wo es ging, war lange im Gespräch. Der damalige Kanzler Helmut Kohl traf vor genau 20 Jahren Martini in Mailand. Kohl war derart beeindruckt, dass er ihn fortan für den idealen Nachfolger Wojtylas hielt. Es kam anders im Jahre 2005.

Martini hat den Rücktritt seines Konkurrenten nicht mehr erlebt. Er starb im vergangenen Jahr. Ein durchsetzungsfähiger Kardinal soll es sein, nicht allzu alt. Und nach Meinung der Italiener, die mit 28 Kardinälen die stärkste nationale Gruppe im Konklave sind, soll nun, nach zwei Ausländern, endlich wieder ein Landsmann ans Ruder kommen.

Ganz vorne auf der Liste wird derzeit von Insidern Martinis Nachfolger platziert, der Mailänder Kardinal Angelo Scola, 71 Jahre alt. Er gilt als Wunschkandidat von Benedikt dem XVI. Auch ein möglicher Kandidat ist Gianfranco Ravasi, 71 Jahre alt, bislang zuständig für die Kultur im Vatikan. Ähnlich wie Ratzinger beim Ableben von Karol Wojtyla verbreitet Ravasi heute das Vermächtnis des scheidenden Papstes und damit auch die eigene Rolle, ein deutliches Zeichen, wird gemunkelt.

"Besonders wichtig ist die Bedeutung, die er dem Verhältnis zwischen Glauben und Ratio gegeben hat. Und auch die Kultur war für ihn ein unverzichtbares Instrument, an dem sich sein Pontifikat erklären lässt. Etwa der Dialog mit der Wissenschaft, die Beschäftigung mit der Jugend und ihrer Kultur, alles Dinge, die auch der neue Papst in seinen seelsorgerischen Plan mit einbeziehen wird."

Wer sonst, als er selbst wäre also der ideale Kandidat, könnte man meinen, wenn man nicht aus Erfahrung wüsste, dass die Favoriten der ersten Stunde in der Regel auf der Strecke bleiben. Ein dritter Italiener, der sich gerne hervortut, ist der Staatssekretär des Vatikans, Tarcisio Pietro Evasio Bertone, 78 Jahre alt, aber noch in Bestform und ein mächtiger Drahtzieher. Vatileaks und der Skandal des Vatikanischen Geldinstituts IOR sollen auf sein Konto gehen. Er ist kompromittiert, sagt Marco Politi. Autor detaillierter Bücher über die Geheimnisse des Vatikans:

"Kardinal Bertone hat vielleicht Hoffnungen, als Kandidat gesehen zu werden, aber zu viele Kardinäle vor allem im Ausland, sind eben unzufrieden mit den vielen Krisen, die es in diesen Jahren gegeben hat , als er Staatssekretär war. Und sind vor allem sehr unzufrieden mit der ganzen Vatileaks-Affäre und über die zerrüttete Situation in der Vatikanbank, das wird eben alles auf Bertone geschoben, deswegen hat er ganz bestimmt nicht Chancen , ein Spitzenkandidat zu sein."

Die endlose Skandalgeschichte um die vatikanischen Finanzen war auch einer der Gründe für das Ende von Joseph Ratzinger. Und das - da ist sich Marco Politi sicher - wird eine dringende Chefsache auch für den Nachfolger sein.

"Es ist schon vor Gericht bestätigt worden, dass Schmiergelder durch die Vatikanbank gekommen sind und dass auch Mafiagelder durch die Vatikanbank reingewaschen worden sind. Ganz bestimmt muss der nächste Papst weiter auf dem Weg der Transparenz arbeiten, aber auch über die Sachen der Vatikanbank hinaus gibt es große Probleme, die im nächsten Konklave angepackt werden müssen."

Als da wären: die Rolle der Frauen in der Kirche, der Priestermangel vor allem in den großen katholischen Ländern Südamerikas und der Dritten Welt, drängende Fragen der Sexualität und der Geburtenregelung. Probleme, die im Vatikan allzu lange Zeit auf die lange Bank geschoben wurden. Wo man sich stattdessen mit Problemen herumschlug, die vor allem lokaler, das heißt, italienischer Natur sind. Und das ist einer der Gründe, warum im Konklave eine starke nicht italienische Fraktion dafür kämpfen wird, den neuen Mann auf dem Papstthron auch zum dritten Mal infolge außerhalb Italiens zu suchen. Erklärt der katholische Historiker Agostino Giovagnioli

"Was in den letzten Jahren in der römischen Kurie geschehen ist, hat nicht wenige nicht-italienische Kardinäle verärgert, für die die Probleme des Vatikans eine rein italienische Angelegenheit sind.''"

Was darauf hindeutet, dass man sich nach einem Kandidaten umsehen könnte, der noch nicht einmal aus dem Kreis der besonders zahlreichen Europäer kommt. Solche Überlegungen gab es schon früher, sagt Agostino Giovagnoli, und sie könnten heute entscheidende Auswirkungen im Konklave haben:

""Schon Johannes Paul II hat in seinen letzten Jahren immer wieder von einer Priorität in Asien gesprochen, wo das Christentum noch wenig verbreitet ist."

Ein starker, ein nicht allzu betagter, Nicht-Italiener, der die lästigen inneritalienischen Probleme der Kurie schnell endlich vom Tisch bringt. Und möglicherweise ein Kirchenmann aus Asien, wo das Christentum noch neue Märkte eröffnen könnte - der Kreis der möglichen Kandidaten wird enger.
Da wäre zum Beispiel der Erzbischof von Manila Luis Tagle, einer der Newcomer der katholischen Kirche und eben - ein Asiat.

Statt im Orient könnte sich das Kardinalskollegium aber auch nach Süden orientieren. Für ausgeschlossen halten viele Beobachter einen afrikanischen Papst, wie etwa den Nigerianer Arinze: Ein Papst mit schwarzer Hautfarbe, das halten viele noch für zu früh. Dann eher schon einen Südamerikaner. Alleine Brasilien ist mit fünf Kardinälen vertreten. Und ihre Sprachverwandtschaft mit den Italienern könnte diese versöhnen, wenn kein Landsmann eine qualifizierte Zweidrittel-Mehrheit.

Für nicht wenig Wirbel hat die Forderung US-amerikanischer Gläubiger in der letzten Woche im Vatikan gesorgt, Roger Mahony, der ehemalige Erzbischof von San Francisco solle auf seine Teilnahme am Konzil verzichten. Wegen des Vorwurfs, er habe 120 Missbrauchsfälle in seiner Diözese gedeckt, wurde er letztes Jahr in den Ruhestand versetzt. Was ihn aber nicht davon abhält, trotz der Proteste aus den USA, von seinem Stimmrecht im Konklave Gebrauch zu.
Die Peinlichkeiten für die derzeit führungslose Kirche nehmen auch in Italien zu. Die Tageszeitung La Repubblica veröffentlichte Ende letzter Woche eine Zitatesammlung von Joseph Ratzinger aus den letzten Monaten seiner Amtszeit. Darin kommende mahnende Worte über Diebstahl und unmoralisches Verhalten vor.

Daraus ziehen Beobachter den Schluss, hohe Prälaten im Vatikan würden wegen homosexueller Verfehlungen und illegaler Geldgeschäfte erpresst. Einer der Hauptgründe für den Rücktritt des jetzigen Papstes. Der Vatikan ist außer Kontrolle geraten und deshalb ist die Nachfolgefrage noch völlig offen, wie auch der Historiker Corrado Augias bestätigt.

"Ich persönlich habe keine Ahnung, und ich garantiere ihnen, dass keiner genau weiß, wer der nächste Papst wird. Denn das Machtspiel zwischen den einzelnen Fraktionen im Konklave ist derart kompliziert, dass es viel leichter ist vorherzusagen, wer neuer Kanzler in Deutschland wird, als wer neuer Papst."

Nur darin sind sich die allermeisten einig: Schnell muss es gehen. Jeder neue Tag ohne klare Führung könnte neue peinliche Enthüllungen über die Missstände im Vatikan bringen und die schon jetzt schwierige Aufgabe des künftigen Papstes zum Spießrutenlauf machen. Im Vatikan ist man bereits derart nervös, dass hohe Prälaten nun ausgerechnet die Presse beschuldigen, sie wollten mit ihrer Enthüllungskampagne das Konklave beeinflussen.

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