Karl-Markus Gauß: "Die fröhlichen Untergeher von Roana"

Mit freundlicher Distanz

27.02.2009
Karl-Markus Gauß ist bekannt geworden für seine Reportagen, die er wenig erforschten Minderheiten Europas gewidmet hat. In seinem Buch "Die fröhlichen Untergeher von Roana" spürt der Autor dem Schicksal dreier vom Aussterben bedrohter Kulturen nach: den Assyrern, Zimbern und Karaimen - und beweist aufs Neue seinen Sinn für skurrile Details.
Södertälje, eine Stadt mit 60.000 Einwohnern im Süden von Stockholm, bildet das geistige Zentrum für Hunderttausende in der Diaspora lebende Assyrer. In Södertälje steht ein assyrischer Fernsehsender, der per Satellit in 84 Ländern empfangen werden kann. In Södertälje ist der Fußballklub Assyriska Fotbollföreningen zu Hause, gegründet 1971 von assyrischen Flüchtlingen aus dem Libanon.

Der Verein hat sich im Verlaufe von drei Jahrzehnten aus der untersten Kreisliga in die erste Profiliga Schwedens hochgearbeitet und gilt heute als inoffizielle Nationalmannschaft einer über die Kontinente und Länder versprengten Nation ohne gemeinsamen Staat. Vor vier oder fünf Jahrzehnten wanderten die Assyrer, eine von ihrer islamischen Umgebung unterdrückte christliche Gemeinschaft aus der Türkei, dem Irak oder dem Libanon aus, um sich im Zuge der allgemeinen Arbeitsmigration als überwiegend ungelernte Arbeitskräfte dort auf der Welt zu verdingen, wo man sie gerade brauchte.

In seinem neuesten, bei Zsolnay erschienenen Buch "Die fröhlichen Untergeher von Roana" spürt der Schriftsteller, Verleger und Publizist Karl-Markus Gauß dem Schicksal der Assyrer in Schweden nach und schildert dabei ein Beispiel für gelungene Integration ohne Aufgabe der eigenen Kultur. Dieses Beispiel erteilt Gauß eine geradezu paradox anmutende Lehre: Die Stärkung der eigenen Identität durch Integration in eine andere.

Als die Assyrer kamen, beherrschten sie ihre in den jeweiligen Herkunftsstaaten seit Langem verdrängte assyrische Sprache nur rudimentär. Erst Schweden, ein Staat mit großzügiger Förderung der Zweisprachigkeit für Einwanderer und einem weit verzweigten Netz von Gemeindezentren und Volkshochschulen, sorgte dafür, dass die Assyrer im Verlaufe einer Generation nicht nur das Schwedische, sondern auch das der semitischen Sprachgruppe angehörende Assyrische auf Mutterspracheniveau beherrschten.

Drei Beispiele für das Weiterleben vom Aussterben bedrohter Kulturen in Europa hat Karl-Markus Gauß in seinem neuen Buch gewählt und sich ihnen jedes Mal in der Form einer essayistischen Reisereportage genähert. "Die fröhlichen Untergeher von Roana" führen in entlegene Bergdörfer Oberitaliens. Dort leben immer noch einige Hundert Zimbern, die ihre dem Althochdeutschen verwandte Mundart bis heute bewahrt haben und dadurch eine Attraktion für Sprachforscher in aller Welt darstellen.

In Litauen begegnet der Autor wiederum den letzten Karaimen, angeblich die Nachfahren eines der ältesten jüdischen Stämme, deren Judentum allerdings seit Langem und von vielen angezweifelt wird, nicht zuletzt von den Karaimen selbst. Mit freundlicher Distanz und ausgeprägtem Sinn für das skurrile Detail schildert der 1954 in Salzburg geborene Karl-Markus Gauß den Alltag und die Lebensphilosophie seiner Helden - so wie man das bereits aus vielen seiner den wenig bekannten Minderheiten und Ethnien Europas gewidmeten Reportagen kennt.

Zugleich fällt besonders seine den Assyrern gewidmete "Orientalische Reise durch Schweden" aus dem erprobten Muster heraus. Denn hier erzählt Gauß die Geschichte einer gerade in der Diaspora aufblühenden Kultur, auch wenn auf sie ein Schatten aus jüngster Zeit fällt. Nach seiner Reise, erfährt man, fiel einer seiner wichtigsten Gesprächspartner, der assyrische Soziologe Fuat Deniz im schwedischen Örebro einem Mordanschlag zum Opfer.

"Die fröhlichen Untergeher von Roana" bieten spannende Einblicke in kaum bekannte Kapitel aus Kulturgeschichte und gesellschaftlicher Gegenwart.

Rezensiert von Martin Sander

Karl-Markus Gauß: Die fröhlichen Untergeher von Roana. Unterwegs zu den Assyrern, Zimbern und Karaimen
Mit Fotografien von Kurt Kaindl
Zsolnay Verlag & Deuticke
158 Seiten, 17,80 Euro