Mit doppeltem Nein und fünffachem Boden

Von Gerd Brendel · 15.11.2009
Auf die Plätze fertig los. Der literarische Nachwuchs geht in Startposition und lässt zum ersten Mal seine Muskeln spielen. Am Ende winken ein Preisgeld von ein paar Tausend Euro, eine Lesereise nach Frankfurt am Main und nach Wien und vielleicht ein Vertrag mit einem Verlag.
Aber davor muss er oder sie mit 15 Minuten Schaulesen, die dreiköpfige Jury überzeugen. Zwei Jurymitglieder, Kathrin Röggla und Jens Sparschuh, durften vor ein paar Jahren auf der gleichen Bühne ihre Erstlingstexte lesen.

Wenn die Kandidaten dann mit wackligen Knien auf die Bühne kommen, haben sie die erste Hürde schon genommen. Denn ihr Text wurde bereits aus 700 eingesandten Manuskripten ausgewählt.

"Was wir wollten","

erklärt Christiane Lange von der Literaturwerkstatt, die den Wettbewerb veranstaltet,

""und was sich hergestellt hat, ist der Versuch, Literaturbetrieb zu simulieren, indem man unaufgefordert eingesandte Manuskripte Lektoren gibt und darüber ne Vorauswahl trifft."

Nicht Literaturkritiker wie in Klagenfurt wählen aus und stellen ihre Kandidaten vor, sondern sechs Verlagslektoren, die die Texte anonymisiert zugeschickt bekommen.

"Es sind sehr viele Texte, die mit Familiengeschichten zu tun hatten, die in WGs spielen, die mit Selbstfindung zu tun haben","

kommentiert Klaus Siblewski, im Hauptberuf Lektor bei Luchterhand, die eingesandten Manuskripte. Die Tendenz zu Geschichten aus dem intimen Raum tatsächlicher oder erdachter Familien schlägt sich auch in der Auswahl nieder, die er und seine fünf Kollegen getroffen haben. Fünf Prosatexte erzählen allein von den Großeltern.

Siblewski: ""Ich glaube deshalb ist die Großeltern-Generation für die jetzt jungen Autoren sehr wichtig, weil sie dort ein Familien-Modell finden, was sie bei ihren Eltern nicht mehr vorgefunden haben, und an dem sie sich in irgendeiner Form abarbeiten."

Für Matthias Senkels Text: "Peng, peng ,peng ,peng" gilt das, und gilt auch wieder nicht.

Senkel: "Die Pistole meines Urgroßvaters Franz Gründel war bisher in den Tod folgender Personen verwickelt."

Senkels Text sprengt den Rahmen der literarischen Familienchronik und erinnert in seinen phantastischen Zufallsbegegnungen an einen modernen Schelmenroman, mit doppeltem Nein, mindestens fünffachem Boden.

Senkel: "Ich bin zu Besuch bei Leonard in Cincinatti. Da er sich seit seiner Kopfverletzung nicht mehr auf Buchstaben konzentrieren kann, erzähle ich ihm von meinem neuen Roman. Das Ungetüm heißt: 'Winkelzüge des Schicksals'"."

Das Stück überzeugt auch die Jury. Einer der beiden Prosapreise geht an Senkel. Den zweiten Preis gewinnt Inger-Maria Mahlke mit einem Text über den ersten Arbeitstag einer polnischen Haushaltshilfe bei einem alten Mann, für dessen Einsamkeit sie eindringliche Bilder findet.

""Korn war richtig. Ein Glas zu benutzen war falsch. Er hatte sich an den Küchentisch gesetzt, das Radio angestellt. Brahms, den mochte er nicht. Brahms war auch richtig. Er hatte sich gelangweilt."

Bei den Prosa-Texten fällt Auswahl-Lektor Wolfgang Farkas vom Blumenbar-Verlag eine Tendenz auf:

"Die Texte sind handwerklich gut gemacht, aber sie zielen schon sehr auf eine spätere Veröffentlichung ab. Ist wie die Vorstufe zu nem gedruckten Buch. Das hat zur Folge, dass relativ wenig gewagt wird."

Neue ungewohnte Töne, Mut zum Experiment hört man auf diesem Openmike-Wettbewerb von Lyrikern wie Constantin Ames, dem Preisträger in der Sparte Poesie.

"Elegie um ein Haar. Ich sehe am Waschbeckenrand ein Haar Haare."

Zur Siegerehrung stehen die drei Jungautoren verlegen auf der Bühne, bis der Fotograf die Regie übernimmt und Juroren wie Preisträger zum Abschlussbild gruppiert. Dann kommen Blumen, Händeschütteln, Umarmungen. Im Saal warten die Freunde und zwei Literaturagenten. Vor der Garderobe räumt die Buchhändlerin die Bücher der ehemaligen Preisträger weg. Wer weiß, vielleicht hat sie im nächsten Jahr auch Seibels Erstlingsroman im Sortiment.