Mit detektivischem Interesse

03.02.2009
Der 2005 verstorbene Richard A. Popkin war ein hochrenommierter Ideengeschichtler und der größte historische Experte für die Tradition des Skeptizismus. Jetzt liegen seine Memoiren auf Deutsch vor. Sie zeigen ein Gelehrtenleben, das sich zwischen Philologie und Philosophie, Alkoholismus und Depression, Detektivspielen in der amerikanischen Politik sowie einer manischen Konferenzteilnahme bewegte.
War Christoph Kolumbus ein Jude? Warum hat Spinoza nur den Wunderglauben der Bibel attackiert, aber nicht den aktuellen Messias seiner Zeit, den zum Islam konvertierten Sabbatai Zevi? Gab es hinter Lee Harvey Oswald noch einen zweiten Mann, der auf John F. Kennedy schoss? Waren die Indianer Nordamerikas jüdischen Ursprungs? Was hat das Bombenattentat von Oklahoma City 1999 mit den Endzeiterwartungen der Frühen Neuzeit zu tun?

Fragen über Fragen, die alle ziemlich nach Spökenkiekerei klingen, nach historischem Geistersehen, Verschwörungstheorie und nach der Überzeugung, alles hänge insgeheim mit allem zusammen. Gestellt hat sie ein hochrenommierter Ideengeschichtler der Neuzeit, der 2005 verstorbene Richard A. Popkin. Und was angesichts dieser Fragen wie ein Scherz klingt: Popkin war der größte historische Experte für die Tradition des Skeptizismus. Wie kann das gehen - ein Experte für Skepsis und diese Hingabe an die Vermutung, es stecke immer etwas dahinter?

Jetzt liegen die Memoiren Popkins auf deutsch vor. Sie zeigen ein Gelehrtenleben, das sich zwischen Philologie und Philosophie, Alkoholismus und Depression, unablässigen Reisen auf der Suche nach neuen historischen Details, Detektivspielen in der amerikanischen Politik sowie einer nachgerade manischen Konferenzteilnahme bewegte. Wer diese Erinnerungen liest, muss bedauern, dass so wenige Gelehrte ihr Leben festhalten. Denn die Öffentlichkeit glaubt immer, die Showstars, die Politiker - insbesondere wenn sie Verbrecher sind - und die Künstler hätten die seltsamsten Biographien. Aber das stimmt nicht. Die Forscher sind viel interessanter.

Und das auch dann, wenn sie, wie Popkin, gar keine Verbrechen, erotischen Affären und politischen Einflussnahmen zu bieten haben. Popkin wurde 1923 in der New Yorker Bronx geboren. Die Großeltern waren litauische Einwanderer, die Eltern hatte sich vom orthodoxen Judentum abgewandt, verdienten ihr Geld mit Auftragspublizistik und verkehrten im linken intellektuellen Milieu. "Als der Zweite Weltkrieg ausbrach", schreibt Popkin, "war ich, mit knapp sechzehn, Ex-Kommunist". Er studiert Mathematik, dann Philosophie, entdeckt die Tradition des Skeptizismus und hat damit eines seiner lebenslangen Themen gefunden. In einer Zeit, als an den amerikanischen Universitäten die analytische Philosophie, Sprachtheorie und Logik dominierten - man erfährt viel über die damalige akademische Welt -, liest Popkin die Schriftsteller der Aufklärung und der Renaissance und sucht bei ihnen nach Einflüssen der Antike. Im Kern geht es dabei um die Frage, was man wissen kann und was man glauben muss. Was Popkin interessiert, ist die Einbettung von Philosophen, die heute als Inbegriff von strenger, manchmal auch enger Rationalität gelten, in die Religionsgeschichte.

Er selber wendet sich auch seiner jüdischen Herkunft wieder zu, ohne aber wirklich gläubig zu werden; er beschließt nur irgendwann, nicht von sich aus Schweinefleisch zu bestellen.

Dabei fasziniert ihn immer wieder die Zone des Doppellebens und der Verschwörung. So beschäftigen ihn etwa die Marranen, jene in Spanien und Portugal unter katholischem Zwang zum Christentum übergetretenen Juden, die aber verborgenerweise ihrem Glauben treu blieben. Popkin hält Kolumbus für einen solchen Marranen. Als 1963 John F. Kennedy erschossen wird und im staatlichen Untersuchungsbericht Widersprüche bemerkbar waren, stürzt sich Popkin mit derselben philologischen Energie auf den Fall und stellt die Hypothese der Existenz eines "zweiten Oswald" auf, der unter dem Namen des erste aufgetreten sei. Als sie in der "New York Review of Books" abgedruckt wird, macht das den Spezialisten für die Frühneuzeit zum New Yorker Partygespräch. Später widmet er sich "Watergate" mit ähnlich detektivischen Interessen.

Anders als bei seinen ideengeschichtlichen Investigationen, bleibt völlig offen, ob es sich gelohnt hat. Aber wer auch nur eine Stunde darauf verwendet, im Internet der Hypothese vom "zweiten Oswald" nachzugehen, kann nicht abstreiten, wie eng Philologie und Polizeiarbeit zusammenhängen und wie anregend die Suche nach einem Täter, nach Kausalitäten und Alibis und wahrscheinlichen Tathergängen ist. Gewiss, dies sind Memoiren mit einem sehr speziellen thematischen Zuschnitt. Denn geben Sie, lieber Leser, schon zu: Ob Spinoza Quäker war, das hat Ihnen bislang keine schlaflosen Nächte bereitet! Mir auch nicht. Aber Richard A. Popkin berichtet darüber so, dass man es danach für eine ziemlich wichtige Frage halten muss.

Eine Rezension von Jürgen Kaube

Richard H. Popkin, Erinnerungen eines Philosophiehistorikers.
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2008, 228 Seiten, 18,80 EUR