"Mit der Zensur aufgewachsen von Geburt an"

Asghar Farhadi im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 14.07.2011
Warum sein preisgekrönter Film "Nader und Simin" die staatliche iranische Zensur passieren konnte, erklärt sich Regisseur Asghar Farhadi damit, dass er für keinen seiner Charaktere Partei ergreife. Er stelle nur Fragen, die letztlich durch den Zuschauer beantwortet werden müssten.
Asghar Farhadi: Die Begeisterung war seitens der Menschen sehr ergreifend. Sie haben sich natürlich sehr, sehr gefreut, und die Reaktion, die ich dann nach dem Film bekommen habe, war auch sehr groß gewesen. Seitens der Regierung war es unterschiedlich: Eine Gruppe hat ihn mit offenen Armen aufgenommen, hat sich darüber auch gefreut und positiv geäußert, eine andere Gruppe hingegen hat sich gegen die Preisverleihung gestellt, denn deren Ansicht nach muss man generell jede Tat seitens der westlichen Regierungen - die müssen das eben verneinen.

Liane von Billerbeck: Sie haben es schon erwähnt, die Menschen, das iranische Publikum haben Ihren Film gefeiert. Eine Million Menschen haben den Film gesehen, und noch mal fast doppelt so viele haben ihn dann auf DVD angeguckt. Wie kam das? Wie ist Ihnen das gelungen? Hat Ihre Geschichte da so einen Nerv getroffen der Gegenwart, dieser Konflikt, diese Geschichte eines Paares, das sich eigentlich gut versteht, aber sich trotzdem trennen will?

Farhadi: Die Zahl der Zuschauer hing auch damit zusammen beziehungsweise der Rezipienten, dass das Publikum bereits meine vorigen Filme kannte. Aber was glaube ich entscheidend ist, dass die Zuschauer so eine Beziehung zu dem Film aufbauen konnten, liegt an der Tatsache, dass das, was auch im Film gezeigt wird, nicht sehr fern von deren Leben liegt. Sie können sich mit dem Film identifizieren, als ob ein Stück deren Leben gerade gezeigt worden ist.

von Billerbeck: Das sind ja Konflikte, die in der Mittelschicht spielen. Aber auch diese Mittelschicht kann ihre Schwierigkeiten nur bis zu einem bestimmten Punkt austragen, dann stößt sie an eine Grenze. Welche Rolle spielt denn diese Schicht für die Zukunft Ihres Landes, für die Zukunft des Iran?

Farhadi: Die Mittelschicht beansprucht eine große Anzahl der iranischen Bevölkerung, speziell in den Großstädten, und sie ist die, die letztendlich die Zukunft des Landes bestimmt. Und sie steht nicht passiv der Zukunft gegenüber, sondern ist immer aktiv beteiligt und sehr sensibel gegenüber der Zukunft des Landes.

Ein zweiter Grund, warum diese Schicht für mich wichtig ist, ist dieser, dass ich selbst dieser Schicht angehöre und mit den Problemen und den Komplikationen dieser Schicht bestens bekannt bin. Und deshalb ist es mir auch lieber, von dem zu erzählen, was mir nicht fremd ist, sondern vertraut.

von Billerbeck: Es gibt in dem Film so eine kleine Geschichte, da beschuldigt der Ehemann dieses Mittelschichtpaares eine sehr streng religiöse Hausangestellte eher aus den unteren Schichten des Diebstahls. Für die ist das ein großes Problem, weil Diebstahl natürlich Sünde ist. Was interessiert sie an diesem Konflikt? Was wird an so einer kleinen Geschichte erzählt?

Farhadi: Die Geschichte spiegelt die Konflikte, die innere Auseinandersetzung zweier Familien wider, die zwei verschiedenen Schichten angehören. Und die Verständnisse beider Schichten basieren auf einem Missverständnis, das ich als Unkenntnis bezeichnen würde. Beide beschuldigen sich gegenseitig. Nader beschuldigt die Dame, die Putzfrau, dass sie das Geld gestohlen hat, und die Dame beschuldigt einfach Nader, dass er keine Prinzipien, keine moralischen Prinzipien hat, an denen er festhalten kann. Und das spiegelt dann im Großen und Ganzen auch die Tatsachen wider, die wir auch in großem Maße in der Gesellschaft vorfinden.

von Billerbeck: Das Interessante und auch das Schöne an Ihrem Film ist aber, dass sie nicht richten über ihre Figuren, Sie verurteilen sie nicht. Sondern Sie haben eigentlich für jede Haltung Verständnis, selbst wenn die sich widersprechen. Woher kommt diese offene Haltung bei Ihnen?

Farhadi: Um ein Urteil abzugeben und jemanden verurteilen zu können, braucht man einen Maßstab. Nur, das hinterfrage ich einfach in meinem Film. Wenn ich selbst keinen Maßstab habe, damit ich sagen kann, ob das jetzt richtig oder falsch ist, kann ich auch die Figuren meines Filmes nicht verurteilen, beziehungsweise kein Urteil über sie abgeben. Das habe ich auch in meinen frühen Filmen nicht getan.

von Billerbeck: Es gibt in Ihrem Film eine unglaubliche Wut. Schon in der ersten Szene, da sieht man, wie wütend die Frau auf ihr Land ist, weil es ihrer Familie keine Zukunft bietet. Ist der Iran ein wütendes Land, sind die Iraner wütende Menschen?

Farhadi: Ich würde anstelle von Wut Sorge nennen und Stress. Die Menschen sind sehr besorgt, die sind mit verschiedenen Stresssituationen konfrontiert, und sie sind natürlich nicht erfreut über die Lage, in der sie leben. Aber da sie auch nicht genügend Kraft besitzen, diese Situation zu verändern, führt das natürlich zu Auseinandersetzungen, die auch im Film wiedergegeben worden sind.

von Billerbeck: Wie bekommt man denn so eine Szene wie diese Anfangsszene durch die Zensur?

Farhadi: Es gibt nur einen Grund, nämlich, weil ich – wie schon vorhin gesagt – kein Urteil abgebe, und dass ich für keinen meiner Charaktere Partei ergreife. Und ich stelle nur Fragen, die letztendlich durch den Zuschauer beantwortet werden müssen. Und daher kommt es, dass ich in der letzten Zeit viel Glück gehabt habe.

von Billerbeck: Gehört eigentlich der Umgang mit der Zensur im Iran zum täglich Brot eines Regisseurs? Lernt man das oder ist es eben doch sehr willkürlich, heute so, und heute so? Mal Regen und mal Sonnenschein?

Farhadi: Ich muss noch bemerken, dass, wenn wir von der Zensur sprechen, die Zensur nicht nur die Zensur des Systems ist, sondern wir sind quasi mit der Zensur aufgewachsen von Geburt an, in der Familie, in der Schule. Und diese Art der Zensur ist viel, viel schlimmer, denn sie ist versteckt. Hingegen ist noch anzumerken, dass die Zensur des Systems sich dauernd ändert. Es hängt von der Gruppe ab, die zurzeit regiert, und da diese Gruppierungen sich dauernd ändern, haben wir es nicht mit stabilen Maßstäben zu tun, sondern sie sind variabel. Einerseits ist das nicht so toll, andererseits ist das gut, weil man da immer seinen Verhandlungsraum hat.

von Billerbeck: Sie leben jetzt im Rahmen eines Stipendiums in Berlin vom Deutschen Akademischen Austauschdienst. Inwiefern kann der Blick von außen Ihre Sicht auf den Iran verändern und was erhoffen Sie sich von dieser Zeit in Deutschland?

Farhadi: Ich glaube nicht, dass mein Blick sich generell ändern wird, weil ich bin in meinem Leben schon viel gereist. Was mich sehr interessiert und sehr wichtig ist, dass ich während meines Aufenthalts hier in Berlin mich mehr mit dem alltäglichen Leben der Menschen auseinandersetzen will, mich ihnen annähern will, damit ich die Details im Leben ausfindig machen kann für meine nächsten Projekte. Denn alles was ich bislang vom alltäglichen Leben der Menschen erfahren habe, war nur durch die Medien oder durch Filme gewesen. Jetzt habe ich die Gelegenheit, unverbindlich mich mit den Leuten zu unterhalten.

Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
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