Mit der Raum-Arche in neue Welten

Ulrich Walter im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 20.07.2011
Flüge zum roten Planeten sind durchaus möglich, sagt der Astronaut Ulrich Walter. Und er hat noch eine andere Vision für die Erdbewohner. Sein Tipp: Wenn der Globus eines Tages unbewohnbar werde, sollten die Menschen vernünftigerweise auf einen erdähnlichen Planeten im All auswandern.
Stephan Karkowsky: Heute ist offiziell Weltraumforschungstag, denn heute vor 42 Jahren betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond – für Spaceshuttle-Fans ein trauriger Tag, denn morgen landet die "Atlantis" zum letzten Mal auf der Erde, dann wird der Oldie eingemottet. Ob dann auch beim Lehrstuhl für Raumfahrttechnik der TU München die Flaggen auf Halbmast wehen, das kann uns der deutsche Astronaut Professor Ulrich Walter verraten. Guten Tag, Herr Walter!

Ulrich Walter: Einen schönen guten Tag!

Karkowsky: Kalt lässt Sie das bestimmt nicht, oder?

Walter: Nein, das lässt keinen Astronauten kalt, der einmal mit dem Shuttle geflogen ist, klar. Das ist, wie wenn Sie so ein Auto, das Sie gerne gefahren sind, einfach abgeben müssen.

Karkowsky: Sie selbst sind 1993 mit der "Columbia" ins All geflogen, die dann zehn Jahre später tragisch verunglückt ist als zweites Shuttle nach der "Challenger". Sind Sie eigentlich durch diese Unglücke jemals ins Zweifeln gekommen, ob der Mensch nicht vielleicht doch zu hoch hinaus will mit seinen Weltraumträumen?

Walter: Nein, Unglücke gibt es überall, schauen Sie, auch im Straßenverkehr, 6000 Leute pro Jahr – da fragt keiner danach, ob wir deswegen den Verkehr auf den Straßen einstellen. Es ist halt wie immer im Leben: Wenn man was Besonderes will, muss man ein Risiko eingehen, und es ist die Frage, ob dieses Risiko das wert ist, was man da dafür bekommt.

Karkowsky: Und jetzt ist die Frage: Was macht denn die NASA eigentlich nach dem Ende der Shuttle-Flüge? Müssen die rund 18.000 Mitarbeiter sich einen neuen Job suchen?

Walter: Teilweise. Also nehmen wir mal die Astronauten: Viele der Astronauten sind in private Unternehmen, Raumfahrtunternehmen abgewandert, denn die NASA sponsert jetzt solche privaten Raumfahrtunternehmen, weil die in Zukunft Raketen und Kapseln bauen sollen, um die Internationale Raumstation zu versorgen. Ja, also teilweise findet so was statt. Auch die Mitarbeiter der NASA gehen teilweise zu solchen privaten Firmen über.

Karkowsky: Gibt denn die NASA jetzt auch Personal ab an das Projekt des britischen Milliardärs Richard Branson, der mit seinem "Spaceship" private Weltraumtouristenflüge ermöglichen will?

Walter: Nein, das nicht, denn er fliegt zwar in den Weltraum, aber nicht in den Orbit, und das ist ein feiner, aber sehr wichtiger Unterschied. Der Weltraum beginnt in 100 Kilometer Höhe. Wer einmal drüber fliegt oder ist, kriegt tatsächlich ein Zertifikat, und das macht der Branson, und da heißt es: Sie waren im Weltraum. Aber um die Erde fliegen auf der Raumstation, das ist was komplett anderes, das ist um eine Größenordnung mehr Aufwand, und nur die, also nur die Privaten, die wirklich in den Orbit fliegen, die unterstützt die NASA. Das andere ist nur Spaß.

Karkowsky: Aber was macht die NASA denn jetzt weiter? Wird jetzt überhaupt nicht mehr daran geplant, Menschen ins All zu schicken?

Walter: Also die NASA macht Folgendes: Sie unterscheidet in den Bereich der erdnahen Umlaufbahn, in der die Raumstation fliegt, und Exploration, also der Erkundung des tieferen Weltraums. All das, was jetzt mehr oder weniger kommerzialisiert werden kann auf der Raumstation, überlässt sie diesen kommerziellen Unternehmen, das heißt, die bauen jetzt Raketen und teilweise auch Kapseln, um die Raumstation zu versorgen. Da ist zum Beispiel diese berühmte Firma "SpaceX" mit diesem Eigentümer Musk, dem "PayPal" gehört. So, das heißt also, sie versucht, das wirklich zu privatisieren, und das ist eigentlich gar nicht so eine schlechte Idee, denn sie sagt: Jetzt ist die Zeit reif, jetzt sollen die Firmen Geld damit verdienen. Das ist der eine Teil. Aber die Exploration, also das Vordringen in die Tiefen des Universums, Neues ausprobieren – das können sie natürlich nicht einer privaten Firma überlassen, das ist sozusagen Nationalinteresse, und da wird die NASA weiterarbeiten. Aber jetzt kommt der Punkt: Dafür hat die NASA kein neues Konzept. Obama hat gesagt, ich möchte es nicht so machen wie der Bush – der hat gesagt, erst wieder zum Mond, und dann zum Mars –, sondern Obama hat gesagt, nein, wir waren schon auf dem Mars, hmm, ein bisschen weit und lang und möchte ich auch nicht, aber was er will, das hat er nicht gesagt.

Karkowsky: Dann ist die Mars-Mission, die angedachte, jetzt in so weite Ferne gerückt, dass man gar nicht mehr weiß, wann es losgehen könnte?

Walter: Genau so ist es. Man muss wissen: Man kann eigentlich optimal nur alle 18 Jahre zum Mars fliegen.

Karkowsky: Warum?

Walter: Das hat was mit der Stellung zwischen Erde und Mars zu tun, es ist ein bisschen Orbit-Mechanik. Es geht alle zwei Jahre, aber optimalerweise erst alle 18 Jahre. Die nächste optimale Möglichkeit wäre im Jahre 2032 gewesen. Diese Chance hat glaube ich jetzt die NASA vertan. Ja, und 18 Jahre später ist dann Mitte des Jahrhunderts, das ist ein bisschen weit hin, ja.

Karkowsky: Ich durfte lesen, ein Flug zum Mars dauert nach heutigem Stand der Technik 250 Tage. Stimmt das?

Walter: Ja, man kann es ein bisschen schneller machen, 200 Tage geht auch.

Karkowsky: Sie selbst waren zehn Tage im All. Halten Menschen 250 Tage aus?

Walter: Oh ja, der Weltrekord steht bei 456 Tagen. Rekordhalter ist ein Russe, der so lange auf der Raumstation "Mir" war.

Karkowsky: Ist denn die technische Entwicklung eigentlich langsamer geworden? Wir wissen ja: Von der Gründung der NASA bis zum ersten Mondflug hat es nur elf Jahre gedauert. Man sollte denken, zum Mars müsste es schneller gehen.

Walter: Nein. Es ist das Gleiche, als würden wir mit einer Jolle irgendwo auf dem Steinhuder Meer rumgurken und sagen, okay, wir können auf dem Meer fahren, in Anführungszeichen, und dann fahren wir jetzt mal über den Atlantik. Nein, das sind zwei vollkommen komplett unterschiedliche Sachen. Irgendwo im erdnahen Orbit rumfliegen ist wie eine Jolle auf dem Steinhuder Meer. Ich möchte nicht sagen, das kann jeder, aber der Anspruch ist nicht ganz so groß. Mars bedeutet: Wenn ich einmal einen Schuss zum Mars setze, dann bin ich nicht innerhalb von zweieinhalb Jahren zurück, das heißt, ich muss zeigen, dass ich zweieinhalb Jahre autonom leben kann. Wenn irgendwas passiert, bin ich auf mich allein gestellt. Wenn ich zum Mond fliege, da kann ich innerhalb von zwei, drei Tagen wieder zurück, dann sage ich, tschüss, das war es, und weg vom Mond, in zweieinhalb Tagen ist man wieder zurück. Aber zweieinhalb Jahre – das ist was komplett anderes. Und deswegen war es eigentlich gar nicht so schlecht, was der Bush gesagt hat, er hat gesagt: Jetzt schauen wir erst mal, ob wir auf dem Mond monatelang alleine leben können, autonom, und wenn wir das schaffen, wenn wir zeigen können technologisch, das haben wir im Griff, dann können wir auch zum Mars.

Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" den deutschen Astronauten Ulrich Walter, Professor für Raumfahrttechnik an der TU München. Herr Walter, was kommt nach dem Mars?

Walter: Tja, um ehrlich zu sein: Danach kommt nichts mehr. Der Grund ist folgender: Der Mensch kann ja nur in einen Bereich vorstoßen, wo er dann auch einigermaßen nicht leben kann, aber sich zurechtfinden kann, oder wo es einigermaßen lebenswert ist. Die Venus ist viel zu heiß, die hat eine Oberflächentemperatur von 400 Grad Celsius, also da hinzufahren macht überhaupt keinen Sinn. Über den Mars hinaus gibt es keinen erdähnlichen Planeten, denn dann kommt Jupiter, Saturn, und das sind alles Gasplaneten, die haben keine feste Oberfläche, die bestehen aus reinem Gas. Mit anderen Worten: Da gibt es keinen weiteren Planeten, zu dem man hinfliegen kann. Der Vorteil vom Mars ist außerdem, dass er in der sogenannten habitablen Zone liegt, das heißt, er hat Temperaturen, die irgendwo um die null Grad Celsius, ein bisschen drüber liegen, und deswegen ist es angenehm für den Menschen. Ja, es gibt keinen weiteren Planeten in unserem Sonnensystem, es gibt vielleicht ein paar Asteroiden, aber die kurven wirklich ganz quer durch unser Sonnensystem. Da kann man mal hinfliegen, aber das macht keinen Sinn, da wirklich lange zu bleiben. Ja, und ansonsten gibt es nichts. Der nächste Schritt wäre, interstellar zu fliegen, also zu einem nächsten Stern. Dazu braucht man mindestens 100 Jahre, um überhaupt dorthin zu kommen, zum nächsten Stern, also das können wir uns abschminken. Deswegen werden wir ziemlich lange Zeit hier in unserem Sonnensystem eingesperrt bleiben.

Karkowsky: Gibt es denn Forschungen zu neuen Antrieben, die uns schneller hinbringen könnten und die Sie für Erfolg versprechend halten?

Walter: Ja, es gibt zwar ein paar Ideen, wie man bessere Antriebe bauen kann, aber besser heißt nicht schneller, sondern effizienter, und diese Effizienzsteigerung ist jetzt nicht so wahnsinnig groß. Nein, also langfristig gibt es da nichts Besseres. Man kann auch zeigen: In dem Augenblick, wo man schneller als zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit ist – und das ist schon verdammt schnell –, dann geht die gesamte Antriebskraft nicht in Geschwindigkeit, sondern in Masse, sie wird sozusagen verschwendet. Und deswegen können wir im Prinzip gar nicht schneller als zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit fliegen. Der nächste Stern ist vier Lichtjahre entfernt, das ist nämlich Alpha Centauri. Nehmen wir an, wir würden zum allernächsten Stern fliegen, dann bräuchten wir mit zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit – also wie gesagt, zehn Prozent Lichtgeschwindigkeit ist schon verdammt schnell –, bräuchten wir allein 40 Jahre, um hinzufliegen, und 40 Jahre wieder zurück, das sind die genannten gerade 100 Jahre. Also Sie sehen: Interstellar zu fliegen – das wird wahnsinnig schwierig sein.

Karkowsky: Was halten Sie von Ideen sogenannter Generationenschiffe, die dann wirklich über mehrere Menschengenerationen hinweg das All erforschen könnten? Ist das bislang nur Science-Fiction?

Walter: Jein. Man weiß, dass man solche Raum-Archen oder Generationenschiffe bauen kann, und zwar mit Mitteln, die heute uns zur Verfügung stehen, und zwar Archen, ... Das muss man sich so vorstellen: Das sind Riesendinger, 60 Kilometer lang, zehn Kilometer Durchmesser, die sich drehen, da können zehn bis 20 Millionen Menschen drin leben, und zwar eigentlich unter Bedingungen wie auf der Erde. Nur warum soll ich in so ein Ding einsteigen, wenn ich auf der Erde leben kann? Nun, die Antwort lautet: Ich steige genau dann ein, wenn ich auf der Erde eben nicht mehr leben kann, und diese Situation – das wissen wir heute schon –, wird es auch in Zukunft irgendwann mal geben, zum Beispiel, wenn die nächste Eiszeit kommt und ganz Europa unter einer Eiskappe liegt, wie das schon vor 100.000 Jahren mal war, und wir wissen: In 80.000 Jahren passiert das. Ich meine, das ist noch lange hin, aber es passiert eben. Und wenn wir dann so ein Generationenschiff haben und sagen, Mensch, wir könnten innerhalb von 300 bis 400 Jahren zu einem anderen, erdähnlichen Planeten fliegen, wo der Mensch genauso leben kann wie auf der Erde – dann, um ehrlich zu sein, würde man sich so was überlegen, erst recht, wenn die Erde untergeht, und auch das, wissen wir, wird passieren in ein paar 100 Millionen Jahren. Dann ist nämlich die Sonne so heiß geworden, dass die Erde hier 100 Grad Celsius hat, das heißt, die Ozeane sind verdampft, und spätestens dann werden wir hier nicht leben können. Und ich denke, spätestens dann wird die Menschheit auswandern müssen. Aber wie gesagt, das sind sehr weite Zukunftsszenarien.

Karkowsky: Wir einfachen Erdenmenschen denken ja immer noch, hinter der Raumfahrt steckt als Großziel die Idee: nachschauen, ob wir Menschen allein im All sind. Nun sagen Sie, wir sind auf Jahrzehnte hinaus mindestens eingesperrt in unserem Sonnensystem. Das kann doch für Sie als Raumfahrer nicht befriedigend sein, oder?

Walter: Ja, das stimmt, aber man kann herauskriegen trotzdem, obwohl wir nicht hinfliegen, ob es dort draußen anderes Leben und vor allen Dingen intelligentes Leben geben könnte. Es gibt drei wichtige Ziele der Raumfahrt: Das eine ist, im Erdorbit Wissenschaft zu treiben – das machen wir mit der Raumstation –, das Zweite ist, herauszufinden: Gibt es Leben irgendwo dort draußen im Universum? Das ist ein ganz wichtiges Ziel und das können wir teilweise hier sogar schon in unserem Sonnensystem beantworten, indem wir nämlich zum Mars fliegen und dort nachschauen: Hat sich dort in den Milliarden Jahren unabhängig von der Erde ein anderes Leben entwickelt? Wir wissen, dass auf dem Mars vor dreieinhalb Milliarden Jahren es sehr heiß war, feucht war, Ozeane, und es wäre interessant zu wissen, ob sich in einer solchen irdischen Umgebung anderes Leben entwickelt hat, also hinfliegen, nachschauen, Mikroskope mitnehmen und schauen: Gibt es dort anderes Leben? Und wenn es auf dem Mars anderes Leben gegeben hat, dann ist natürlich die Wahrscheinlichkeit extrem groß, dass irgendwo da draußen in unserer Milchstraße es anderes, intelligentes Leben gibt, wenn nicht, dann ist die Wahrscheinlichkeit eher klein. Der zweite Punkt ist: Man kann natürlich auch versuchen, Kommunikation mit diesen Außerirdischen zu treiben über große Teleskope, und wie Sie wissen, machen wir das schon seit Jahrzehnten – aber da haben wir noch keinen Kontakt aufnehmen können. Und der dritte große Bereich, in dem sich Raumfahrt wirklich auszahlen könnte, ist, Asteroiden, die auf die Erde einschlagen und wirklich alles Leben vernichten, einschließlich der Menschheit, die abzuwehren.

Karkowsky: Faszinierend, wie Mr. Spock sagen würde. Heute ist Weltraumforschungstag, und morgen kehrt die "Atlantis" zum letzten Mal zur Erde zurück. Sie hörten zur Zukunft der NASA und der Raumfahrt den deutschen Astronauten und Professor für Luft- und Raumfahrttechnik Ulrich Walter. Danke für das Gespräch!

Walter: Bitte sehr!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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