Mit den Augen der anderen

Rezensiert von Andreas Baum · 08.09.2005
Das Buch bietet eine Sammlung aller offenen Fragen zu Al-Qaida und dem islamistischen Terrorismus. Wo ist eigentlich Osama Bin Laden? - gehört zu den am häufigsten gestellten. Dabei nimmt der Autor Berndt Georg Thamm auch umgekehrt den Blickwinkel der arabischen Welt auf das Abendland ein.
Das Buch bietet eine Sammlung aller offenen Fragen zu Al-Qaida und dem islamistischen Terrorismus, die in den Medien und an den Stammtischen kursieren, freilich ohne sie alle befriedigend zu beantworten.

Wo ist eigentlich Osama Bin Laden? - ist wohl die am häufigsten gestellte. Auf mehreren Seiten werden alle Spekulationen, die zum Aufenthaltsort Bin Ladens auf dem Markt sind, aufgeführt, um am Ende zu konstatieren, dass es letztlich egal ist, ob er noch lebt oder tot ist, ob er sich in Pakistan befindet, in Malaysia oder im Jemen. Wichtig für sein Netzwerk sei allein, dass er schon jetzt als entrückter Spiritus Rector wirke, dessen Heldentaten bereits mythisch verklärt werden und immer neue Generationen von Dschihadisten zur Nachahmung anregten.

Berndt Georg Thamm speist sein Buch im Wesentlichen aus allgemein zugänglichen Quellen, hauptsächlich aus Presseberichten und anderen Büchern. Es ist einerseits bemerkenswert, wie viele Information er zusammengetragen hat. Die Erkenntnisse, die er aus ihnen zieht, sind dagegen nicht überraschend.

Mit den Augen der anderen

Thamms Verdienst ist ein anderes: Es gelingt ihm, den Standpunkt der arabischen Welt auch dem Nicht-Orientalisten verständlich zu machen. In der islamischen Welt empfindet man den Westen als Aggressor und sich selbst als Angegriffenen, der das Recht und die Pflicht zur Selbstverteidigung hat - dieses Befinden teile auch die Masse der friedlichen Muslime, schreibt Thamm.

Der Autor erzählt noch einmal die Geschichte der Kreuzzüge, allerdings aus orientalischer Sicht. Die Kreuzfahrer wurden als niederste Barbaren empfunden, die raubten, mordeten, brandschatzten, die selbst vor Kannibalismus nicht zurückschreckten und zu deren Prinzip es gehörte, wortbrüchig zu werden. Dieses Bild vom Abendland sei immer noch lebendig, wiederbelebt durch die Verbrechen des Kolonialismus, durch den Nahostkonflikt und - zuletzt - durch den Krieg der US-Amerikaner gegen den Irak.

Al-Qaida gelingt es, diese Stereotypen aus dem Mittelalter zu aktivieren, wenn das Netzwerk weltweit zum Selbstmord bereite Attentäter rekrutiert - auch in den Ländern Westeuropas. Thamm gelingt es zu erklären, warum sich die Terroristen als Kämpfer für eine gerechte Sache verstehen.

Al-Qaida als Global Player und als Marke

Gleichzeitig beschreibt Berndt Georg Thamm Al-Qaida als Organisation mit modernen Strukturen. Er vergleicht das Netzwerk mit einem Franchising-Unternehmen, das weltweit Dienstleistungen in Sachen Terrorismus anbietet, von der Ausbildung und der ideologischen Schulung über die Vermittlung von Waffen und Sprengstoff bis hin zu Finanzhilfen. Die Terroristen gleichen demnach Managern und Ingenieuren, die sich modernster Methoden bedienen, inklusive intelligenter Informationsverschlüsselung im Internet und einer Marketingstrategie, die denen internationaler Konzerne in nichts nachstehe.

Al-Qaida, sagt Thamm, ist zu einer Marke geworden. Auch wenn von der ursprünglichen Organisation Bin Ladens nicht mehr viel übrig ist, breite sich sein Gedankengut in konzentrischen Kreisen über die ganze Welt aus. Längst braucht das Netzwerk seinen Gründer nicht mehr und organisiert sich autonom und dezentral. Die Bedrohung durch den globalen Dschihad wird noch lange bestehen, sagt der Autor, mindestens noch eine Generation lang.

Das Buch besticht durch einen flüssigen Stil und durch die Querverbindungen, die Thamm herstellt zu längst geschlagenen Schlachten zwischen Osten und Westen und dem Diskurs der Al-Qaida von heute. Neue Fakten bietet es nicht.

Berndt Georg Thamm "Al-Qaida. Das Netzwerk des Terrors", Diederichs München August 2005, 246 Seiten, 19,90 €