Mit dem "Roving Bantu Trek" durch Johannesburg

Zu Fuß den Horizont erweitern

Der Südafrikaner Sifiso Ntuli vor der Skyline Johannesburgs
Der Südafrikaner Sifiso Ntuli vor der Skyline Johannesburgs © Deutschlandradio / Leonie March
Von Leonie March · 23.04.2018
Der Südafrikaner Sifiso Ntuli organisiert Touren durch die ältesten Viertel Johannesburgs, um seine Landsleute mit ihrer Geschichte zu konfrontieren. Und tatsächlich: Er produziert eine Kollision der Kulturen, die die Teilnehmer zum Nachdenken bringt.
Morgens in Brixton – einem der ältesten Viertel von Johannesburg. Ein knappes Dutzend junger, überwiegend weißer Südafrikaner hat sich in dem kleinen Restaurant von Sifiso Ntuli versammelt – dem "Roving Bantu".
"Der Name stammt aus den Jahren im Exil. Als junger Mann musste ich wie viele andere ins Ausland gehen. Sie nannten uns ‚Roving‘ - also vagabundierende - ‚Bantus‘, weil wir stets von einem Ort zum anderen gezogen sind."
Nach Stationen in Tansania, Kanada und den USA ist der heute 56-jährige Sifiso Ntuli in seine Heimat zurückgekehrt. Und ausgerechnet in das Viertel gezogen, in dem früher etliche Apartheid-Generäle gelebt haben. Brixton ist der Ausgangspunkt seiner ungewöhnlichen Stadttour, die er - angelehnt an die Vortrekker - "Trek" nennt.
"Afrikanische Geschichte wird in Städten wie Johannesburg oft mit den Townships gleichgesetzt, auch von dunkelhäutigen Südafrikanern. Sie haben vergessen, dass ihre Vorfahren einmal in Vierteln wie diesem gelebt haben, bevor die Weißen sie vertrieben haben. Es reicht nicht, nach Soweto zu fahren oder das Apartheid-Museum zu besuchen. Die Erinnerung lebt an jeder Straßenecke! Insofern führt meine Tour durch einen Mikrokosmos unseres Landes."

"Alle hier sind bitterarm"

Sifiso erzählt anekdotenhaft vom Leben in Brixton, damals und heute. Er hält an einem Gedenkstein für gefallene Soldaten des ersten Weltkriegs und fragt, warum es bis heute kein Mahnmal für die Freiheitskämpfer gibt, die von der berüchtigten Polizeieinheit in Brixton zu Tode gefoltert wurden. Er erzählt, dass ein großes Denkmal für die Helden der Buren demontiert wurde und bleibt vor einem anderen stehen, das dem Geruch nach heutzutage eher als Toilette genutzt wird.
"Darum geht es hier in Südafrika: Wem wird gedacht und aus welchen Gründen? Heute versuchen wir eine neue Identität zu finden. Aber werden die Generationen in einem Jahrhundert auch auf das pinkeln, was wir für heilig erachten?"
Sifiso Ntuli erklärt der Gruppe die Erinnerungskultur auf dem Friedhof in Braamfontein
Sifiso Ntuli erklärt der Gruppe die Erinnerungskultur auf dem Friedhof in Braamfontein© Deutschlandradio / Leonie March
Die Frage bleibt unbeantwortet, als der Trek sich wieder in Bewegung setzt und in eine schäbige Seitenstraße mit baufälligen Häusern abbiegt.
"Die Apartheid-Regierung hat sie für Weiße aus den unteren Einkommensschichten gebaut. Ihre Nachkommen leben bis heute hier. Mittlerweile haben sie auch Nachbarn anderer Hautfarben. Das Viertel ist eines der multikulturellsten der Stadt. Aber es gibt ein Problem: Alle hier sind bitterarm."

Leben im gesellschaftlichen Kokon

Betrunkene lungern vor einer Kneipe. Prostituierte stehen an den Straßenecken. Unbeeindruckt grüßt Sifiso freundlich. Doch seine Tour-Gruppe scheint sich nun noch enger um ihn zu scharen.
"Normalerweise würde ich hier nicht einfach zu Fuß herumlaufen", sagt die Studentin Lara Buxbaum. "Und auch diese Leute würde ich wohl nie grüßen. Es stimmt, was Sifiso sagt: Viele von uns leben noch in einem gesellschaftlichen Kokon. Wir sind in den alten Stereotypen gefangen. Die Tour hier zwingt uns, unseren Horizont zu erweitern und vielleicht ein neues Verständnis zu entwickeln."
Genau das ist Sifisos Ziel. Er provoziert eine Kollision der Kulturen und damit auch kritische Gedanken: Was die Freiheit den Südafrikanern gebracht hat. Wie lückenhaft und fragmentiert ihre Erinnerungskultur ist. Sein ‚Trek‘ endet schließlich auf dem ältesten Friedhof der Stadt. In ungepflegten Gräbern – sorgsam getrennt nach der alten Rassenlehre - liegen weiße Goldbarone und schwarze Bergleute, europäische Soldaten und asiatische Zwangsarbeiter.
"All diese Menschen haben Südafrika zu dem gemacht, was es heute ist. Ob einem das nun gefällt oder nicht. Früher sind weiße Südafrikaner in Bezug auf unsere Geschichte belogen worden. Heute versucht unsere Regierung die Vergangenheit für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Was nicht in die jeweilige Version von Tätern und Opfern passt, wird ausgeblendet. Unsere Kinder müssen jedoch endlich die gesamte Geschichte kennen. Wenn wir daraus weiter ein Geheimnis machen, wird sich das in Zukunft nur rächen."
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