Mit allen Sinnen Computer spielen

Von Christian Grasse |
Wissenschaftler der Uni Potsdam arbeiten an einem Gerät, das sich an jedes Smartphone anschließen lässt: Man klebt Elektroden auf die Haut und bekommt bei bestimmten Computerspielsituationen einen leichten Stromschlag.
"Hier stehen wir vor der Vectrex-Konsole, 1982 rausgekommen, bis 1984 verkauft. Das ist eine der ersten 3D-Brillen für Videospiele und ein sehr urtümliches Verfahren mit einer rotierenden Scheibe, wo diese Tendenz, komplett auch in Spielwelten abzutauchen, aufkommt. Und zwar nicht nur mit dem Geist, wie wir das von traditionellen Spielen her kennen, Skat, Fussball, usw. sondern hier fängt’s an, dass man quasi eintaucht, auch sinnlich."

Erklärt Andreas Lange, Direkter des Berliner Computerspielemuseums. Der von ihm beschriebene 3D-Imager der Vectrex Konsole bildete den Anfang eines immersiven Video-Spielerlebnisses. Die Immersion, also der realistische Eindruck einer simulierten, virtuellen Welt wird in der Regel umso stärker, je mehr Sinne angesprochen werden. Neben Bild und Ton hilft dabei besonders ein haptisches Feedback, zum Beispiel eine Vibration im Controller oder Joystick.

"Ich fahre ein Autorennspiel, sehe also ok, ich fahre nach vorne, ich höre oh, ich fahr da an die Leitplanke, das sind Unfallgeräusche und in dem Augenblick merke ich ein Vibrieren im Controller, den ich in der Hand habe und kriege also nochmal auf diesem Kanal die Information, Holla! Du bist gerade an der Leitplanke."

Stromstöße simulieren die Außenwelt

Noch realistischer wird es bei Simulatoren, wie man sie in Spielhallen finden kann. Dort vibriert und bewegt sich beim Fahren am Bildschirm sogar der Sitz des Rennwagens, in dem sich der Spieler befindet. Genau dieses haptische Spielerlebnis wollen Forscher am Potsdamer Hasso-Plattner-Institut nachahmen. Mit einer Methode, die im ersten Moment etwas beängstigend klingt: Stromstöße. Pedro Lopes hat das Muscle-Propelled-Force-Feedback-System entwickelt.

"Wir stimulieren die Muskulatur mit einer sehr geringen Spannung. Dadurch kontrahiert eine Muskelpartie im perfekten Timing mit dem Spiel am Computer. Wenn man in einem Rennspiel mit dem Auto nach links driftet, spannt der Armmuskel an und man muss dagegen ankämpfen. Sobald das geschieht, fühlt es sich genauso an wie im Simulator in der Spielhalle."

Das muss ich natürlich ausprobieren. Pedro Lopes und sein Assistent Lars Butzmann kleben mir Elektroden an beide Unterarme. Die Kabel führen zu einem zigarettenschachtelgroßen Gerät, das per Funk mit einem Smartphone verbunden ist. Auf dem Telefon startet Pedro einen Flugsimulator. Bevor ich spielen kann, muss das Gerät, bzw. mein Muskel erst kalibriert werden. Ich tippe mit dem rechten Zeigefinger auf das Smartphone-Display und plötzlich klappt sich meine linke Hand schlagartig nach innen.

Es macht tatsächlich so etwas wie Spaß

Eigentlich sollte ich doch ein Computerspiel steuern, stattdessen werde ich von einem Computer gesteuert. Ein faszinierendes aber gleichzeitig auch sehr beklemmendes Gefühl.

Nach ein paar Minuten macht es tatsächlich so etwas wie Spaß. Ich halte das Smartphone mit beiden Händen und spüre bei einem Ninja-Spiel, wie mich das gegnerische Schwert am rechten Arm trifft. Es kribbelt und zieht, und fühlt sich so an als würde mir jemand leicht in den Unterarm kneifen. Natürlich ist das Konzept des Muscle-Propelled Force-Feedback weit davon entfernt, marktreif zu sein. Aber es zeigt, dass in der Videospiel-Zukunft nicht nur Bild, Ton und Vibrationen eine Rolle spielen werden. Die Grenze zwischen Körper und Computer, zwischen Spiel und Realität wird verschwinden, sagt Andreas Lange.

"Das wird so sein, dass sich immer mehr Menschen parallel dann einerseits in der physisch-realen Realität bewegen, mit ihrem Körper - Der Geist und zunehmend auch die Sinne aber eben auch in den virtuellen Welten. Das ist ein Riesen-Experiment. Also mir ist kein historisches Beispiel bekannt, wo man sagen kann, da könnte man mal hinkucken."

Trotz all der technischen Lösungen, unsere Sinne anzusteuern, und die vielen Möglichkeiten, die sich in der schnelllebigen, digitalen Ära auf tun - das beste Spiel wird sich auch in 20 Jahren immer noch in unserer Fantasie abspielen, davon ist Andreas Lange überzeugt.

"Ich glaube, dass das gefühlte, körperliche Hineinbegeben in virtuelle Spielszenarien und auch das umfangreiche haptische Feedback was ist, was als Goodie oben drauf kommen kann, aber Spielen ist vorallem eine Beschäftigung unseres Geistes und unser Geist und unser Gehirn ist so leistungsfähig, und kann uns anhand so weniger sinnlicher Impulse eine riesige Spielewelt zur Verfügung stellen."

Webseite des Computerspielemuseums
Das Smartphone kommt ins Kästchen, die Elektroden auf die Haut.
Das Smartphone kommt ins Kästchen, die Elektroden auf die Haut.© Hasso-Plattner-Institut