Mistkerle zu Blumenerde

21.04.2010
Der Krimi des Österreichers Christian Mähr gewährt Einblicke in fiese Karrieren und zerrüttete Ehen. "Alles Fleisch ist Gras" ist Thriller und Gesellschaftskomödie zugleich. Von üblicher Krimiware unterscheidet sich der Roman durch seinen humoristischen Stil.
Anton Galba ist ein Saubermann: Er leitet die hochmoderne Kläranlage Dornbirn. Privat aber lebt er in eher ungeklärten Verhältnissen und wird bald in eine schmutzige Erpressungsgeschichte verwickelt. Roland Mathis, ein überaus unsympathischer Mitarbeiter seines Betriebs, hat den Chef beim außerehelichen Liebesspiel auf einer Waldlichtung mit Nachtsichtgerät fotografiert. Oben auf dem Faulturm geraten Mathis und Galba in ein erregtes Streitgespräch. Dabei schubst der Erpresste den Erpresser eher versehentlich die Treppe hinunter – tot. Kurz entschlossen lässt Galba die Leiche im Häcksler verschwinden, in dem sonst die Fleischabfälle entsorgt werden.

Niemand vermisst Mathis. Trotzdem kommt Inspektor Nathanael Weiß, ein ehemaliger Schulkamerad Galbas, diesem in ebenso freundschaftlichen wie bohrenden Gesprächen auf die Schliche. Galba sieht sich bereits mit einem Bein im Gefängnis, da nimmt die Sache eine unerwartete Wendung. Auch Weiß hat jemanden, den er gern so gründlich wie möglich verschwinden lassen würde – den widerwärtigen Unternehmer Ludwig Stadler, der ihm die Ehefrau ausgespannt hat. Auch der findet nun seinen Weg durch den Fleisch-Häcksler in den Faulturm.

Damit aber nicht genug. Der erklärte Menschenfreund Nathanael Weiß entpuppt sich in der Folge als dunkler Charakter – als Mephisto, der in entschlossener Selbstjustiz die Gesellschaft von "schädlichen" Mitgliedern befreien will. Alba wird zu seinem unfreiwilligen Kumpan, dessen Grauen wächst, während sich das "Femegericht" in Kettenreaktion fortsetzt: Häcksler, Faulturm, Mistkerle zu Blumenerde. Schließlich spielt Alba einem Reporter eine Videoaufzeichnung aus dem Häcksler zu, in der Hoffnung auf öffentliches Entsetzen. Aber auch dieser Journalist, von Weiß mit Nachdruck ins Vertrauen gezogen, kennt einen örtlichen Politiker, dessen korrupte Rathausexistenz ihm seit Langem ein Dorn im Auge ist. Am Ende entwirft Alba einen explosiven Plan, um dem Weißschen Säuberungswahn ein Ende zu machen – zu kompliziert allerdings, um wirklich aufzugehen.

Mährs Bücher bieten spannende Handlung, zugleich sind sie als Gedankenspiele angelegt. Die Figuren dieses Romans bekommen eine große Chance: Ihre latente Neigung zum Bösen vollgültig zu verwirklichen. Kennt nicht jeder einen Menschen, den er für absolut entbehrlich hält, für eine rundum schädliche Existenz? Mähr nutzt den Thriller für unverkrampft philosophierende Dialoge und abgründige Reflexionen über Gut und Böse: "Deshalb war das Rechtssystem so kompliziert: Es sollte die Fiktion aufrechterhalten werden, die Sache mit gut und böse sei verworren und verwickelt, sie zu durchschauen erfordere Fachleute mit jahrelanger Ausbildung – dabei wusste jeder, was gut und böse war, von klein auf. Und tat das Böse, wenn er Gelegenheit hatte. Die Normalbürger nutzen die Gelegenheit, die Verbrecher suchen sie. Darin bestand der Unterschied."

Zur Komik des Buches gehört es, dass die Figuren, die wider Erwarten in die horrible Mordserie verwickelt werden, ihre Erlebnisse und Pläne immer wieder mit den fernsehgewohnten Krimi-Mustern abgleichen. Sehr anschaulich werden die Dornbirner Charaktere vorgeführt, bekommen wir Einblicke in fiese Karrieren und zerrüttete Ehen. "Alles Fleisch ist Gras" ist Thriller und Gesellschaftskomödie zugleich. Von üblicher Krimiware unterscheidet sich der Roman schon durch seinen Stil: keine kurzatmige Lakonie, kein forcierter Zynismus, sondern ein gepflegter humoristischer Duktus, der in produktivem Kontrast zum makabren Geschehen steht.

Besprochen von Wolfgang Schneider


Christian Mähr: Alles Fleisch ist Gras. Roman.
Deuticke Verlag 2010, 399 S., 19,90 Euro