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Nach dem Beben in Nepal
Zurück bleibt ein verändertes Land

Das jüngste Erdbeben hat in Nepal Tausende Menschenleben gekostet und das Land verändert: Verwüstete Städte und Dörfer, eine zerstörte Infrastruktur, auch die Geografie des Landes ist nicht mehr dieselbe. Nun werden sich noch mehr junge Menschen aus Nepal auf den Weg machen, um in den Golfstaaten zu schuften.

Von Sandra Petersmann und Jürgen Webermann | 09.05.2015
    Obdachlose Kinder in einer Notunterkunft in Kathmandu.
    Obdachlose Kinder in einer Notunterkunft in Kathmandu. (imago / Xinhua)
    Namche Bazar, auf 3.500 Metern Höhe in der Mount Everest Region gelegen. Es ist Samstag, der 25. April, 11 Uhr 56.
    Earthquake!
    Earthquake!
    Das ARD-Team ist gerade mit einer Gruppe einheimischer Sherpas unterwegs, als die Erde zu wackeln beginnt. Erst ganz langsam, dann immer heftiger.
    Die Sherpas rennen, 20, 30 Meter weit. Ein Stück weiter oben am Hang gibt es ein Plateau, das sicherer erscheint. Die Reporter laufen hinterher.
    Überall ringsherum lösen sich Geröll-Lawinen. Bange Blicke auf den Hang.
    Das Beben, das Nepal in jenen rund anderthalb Minuten erschüttert, ist bis in die indische Hauptstadt Neu-Delhi zu spüren. Es hat die Stärke 7,8 auf der Richterskala. Ang Dorji Sherpa leitet ein Projekt zur Müllbeseitigung am Mount Everest, mit ihm sind die Reporter der ARD an diesem Vormittag unterwegs. Seine Stimme zittert.
    "So ein großes Beben ist ungewöhnlich. Wir hatten zuletzt 2012 ein größeres Beben hier. Aber ein so großes Beben ist nicht normal."
    Sarita vor ihrem zerstörten Haus, für dessen Wiederaufbau nun das Geld benötigt wird, mit dem ihre Familie ihr Studium finanzierte.
    Sarita vor ihrem zerstörten Haus, für dessen Wiederaufbau nun das Geld benötigt wird, mit dem ihre Familie ihr Studium finanzierte. (ARD / Sandra Petersmann)
    Eigentlich wollten sie Ang Dorji Sherpa in einem Gebäude interviewen, in dem sie eine kleine Müllverbrennungsanlage installiert haben, eine Anlage, die fast ohne Abgase arbeitet. Das hat Ang Dorji Sherpa kurz zuvor noch stolz erzählt.
    "Jetzt haben meine Leute angerufen. Das Gebäude ist schwer beschädigt. Es wurde von Felsbrocken getroffen."
    Auch der Weg zurück ins Dorf ist an mehreren Stellen durch Schutt und Geröll unterbrochen. Das ARD-Team hatte viel Glück.
    In Namche Bazar, dem Hauptort der Sherpas, ist nichts mehr, wie es einmal war. Zwar stehen die meisten Häuser noch. Aber sie sind beschädigt, Wände und Decken sind eingestürzt. Die Wasserversorgung ist zusammen gebrochen. Am folgenden Tag wird bei einem schweren Nachbeben auch der Strom ausfallen. Die Menschen bauen Zelte auf. Sie werden die kommenden Nächte im Freien verbringen, aus Angst vor weiteren Erdstößen. Nachts wird es bitterkalt in Namche Bazar.
    Langsam sickern die ersten Nachrichten durch. Am Mount Everest hat es eine schwere Lawine gegeben. In Kathmandu, der Hauptstadt Nepals, sind viele Häuser eingestürzt. Am Sonntag, nach vielen weiteren Nachbeben und einer schlaflosen Nacht, machen sich die Reporter auf nach Kathmandu.
    Kathmandu versinkt im Chaos
    Sie erreichen einen Hubschrauber, der Versorgungsgüter nach Namche Bazar bringt und sie auf der leeren Fläche hinter dem Pilotensitz talabwärts in einen kleinen Ort fliegt, in dem es eine Start- und Landebahn gibt. Per Kleinflugzeug geht es am nächsten Morgen weiter in die nepalesische Hauptstadt.
    In Kathmandu herrscht Chaos. Am Flughafen warten tausende Menschen vor dem Terminal, sie stecken zum Teil seit zwei Tagen fest. Sofern sie nicht in das Gebäude hinein müssen, campieren sie draußen. Zu groß ist die Angst vor Nachbeben. Auf der Rollbahn sind die ersten Militärmaschinen mit Hilfsgütern gelandet, aus Indien und aus China. Wer ein neues Ticket kaufen muss, hat Pech. Bezahlt wird nur in bar. Aber Geldautomaten funktionieren nicht. Genauso wenig wie das Internet in Kathmandu, und das Mobilfunknetz ist so überlastet, dass zeitweise nur SMS durchgehen. Ein lokaler Fernsehsender sendet von der Straße aus, weil das Studio beschädigt ist. Fast alle Geschäfte sind geschlossen. Überall campieren auf den Freiflächen Menschen. Es sind Zehntausende.
    Eine Landschaft, übersät mit Trümmern vieler eingestürzter Häuser, nur noch wenige Gebäude stehen.
    Im nepalesischen Dorf Barpak im Epizentrum des Erdbebens stehen nur noch wenige Häuser. (picture alliance / dpa / Diego Azubel)
    Am nächsten Morgen, es ist Dienstag, der 28. April, regnet es Bindfäden. Bimukti und seine beiden Freunde stehen verärgert auf dem Durbarplatz in Kathmandus Altstadt. Wegen des Unwetters können sie nicht weiter arbeiten in den Trümmern der alten Gebäude ringsherum. Zu gefährlich.
    "Bis gerade konnten wir noch dort graben. Aber dann kam der Regen. Wir müssen warten, bis es weiter gehen kann."
    Bimukti ist 18, er trägt einen verschmutzten Mundschutz. Der junge Mann und seine Freunde wollen am Durbarplatz einfach nur helfen, wo sie können. Dafür gehen sie an ihre Grenzen.
    "Gestern haben wir fünf Leichen aus den Trümmern geholt. Und jetzt riecht es da immer ziemlich heftig. Wir wissen nicht genau, wo das herkommt."
    Der Durbarplatz war ein beliebter Treffpunkt für die Menschen in Kathmandu. Nach dem Beben haben die drei Freunde erst nach ihren Familien geschaut. Dann kamen sie hierher, um die viel zu wenigen Soldaten zu unterstützen. Die Schaufeln hat die Regierung organisiert.
    Im Notfallzentrum des staatlichen Krankenhauses arbeiten ebenfalls viele junge Freiwillige. Anel zum Beispiel ist Manager eines guten Hotels. Jetzt koordiniert er die Blutspenden.
    "Die meisten von uns arbeiten hier, weil sie durch Mund-zu-Mund-Propaganda dazu motiviert worden sind und einfach helfen wollen."
    Viele Freiwillige wollen helfen
    Im Notfallzentrum gibt es viel Arbeit. Allein an diesem Vormittag werden 60 Schwerverletzte eingeliefert. Das Erdgeschoss ist aufgeteilt in einen roten Trakt für Opfer in kritischem Zustand, gelb für diejenigen, die nicht ganz so schwer verletzt sind, und grün für die Patienten, die bald entlassen werden können. Die Listen an den Wänden weisen 113 Namen auf – Menschen, denen die Ärzte nicht mehr helfen konnten.
    In der Altstadt regnet es noch immer. Eine zusätzliche Katastrophe für die vielen Menschen, die sich nicht in ihre Häuser zurück trauen und hier ausharren müssen. Dicht an dicht stehen sie und suchen etwas Schutz. Sukar Baradur muss auch unter der Zeltplane einen Schirm hochhalten, weil es regnet durchregnet.
    "Wenn das so weiter geht, dann müssen wir alle in die Häuser zurück. Und dann sterben wir bei dem nächsten Beben."
    Ein Mann steht vor seinem zerstörten Haus in Kathmandu/Nepal
    Ein Mann steht vor seinem zerstörten Haus in Kathmandu/Nepal (picture alliance / dpa / Sedat Suna)
    Am Flughafen haben Frank Marx und Dietmar Bleichstein vor der Abflughalle eine deutsche Flagge aufgehängt und einen kleinen Tisch aufgebaut. Marx ist Arzt beim Malteser Hilfsdienst, Dietmar Bleichstein arbeitet für das Technische Hilfswerk.
    "Hier soll ein Abgleich stattfinden, wer ist schon ausgereist, wer wird noch vermisst, hält sich im Land auf, und das können wir am besten hier am Flughafen machen."
    Mehr als 300 Deutsche vermisst
    Diese Liste der Deutschen, von denen seit dem Erdbeben niemand mehr etwas gehört hatte, umfasste mehr als 300 Namen. Aber sie werde glücklicherweise mit jedem Tag deutlich kleiner, sagt Dietmar Bleichstein.
    "Gott sei Dank, es gibt immer wieder Situationen, wo wir helfen können, weil wir den Angehörigen in Deutschland mitteilen können, dass ihre Angehörigen wohlauf sind und wohl auch einen Flug bekommen. Und das wird von Tag zu Tag besser."
    Die meisten derjenigen, die tagelang vermisst wurden, waren Touristen, unterwegs in den Bergen zum Wandern. Viele hatten schlichtweg keine Möglichkeit, sich bei ihren Familien in Deutschland zu melden.
    "Sicherlich auch, weil oben in den Bergen der Strom ausgefallen ist, teilweise die Lodges zerstört wurden, keine Möglichkeit bestand, Handys aufzuladen. Und so riss von Tag zu Tag der Kontakt ab."
    Frank Marx ist Arzt und sieht sich hier an der Abflughalle auch als professioneller Ansprechpartner für diejenigen, die noch immer unter dem Eindruck des Erdbebens und der Folgen stehen.
    "Also, zunächst einmal sind viele froh, dass sie überhaupt einen Ansprechpartner gefunden haben. Und beklagen sich manchmal darüber, dass sie niemanden erreichen konnten. Und dann erzählen sie in kleinen Dingen, was ihnen alles passiert ist, was sie gesehen haben, und das machen sie ganz unaufgefordert, sodass man beim Erfassen der Namen und Passnummern gar nicht stehen bleibt, sondern miteinander ins Gespräch kommt, und das ist für viele Menschen eine Entlastung."
    Nepal hat nur einen internationalen Flughafen
    Nach langem Warten ist Karl Philipp Gawel vom Deutschen Roten Kreuz endlich in Nepal gelandet. Gawel kam mit einer Maschine voller Hilfsgüter. Aber das Flugzeug steckte lange in Berlin fest, weil der indische Luftraum und der Flughafen von Kathmandu überlastet waren. Nepal hat nur einen internationalen Flughafen, und der wiederum verfügt nur über eine Start- und Landebahn. Der Flughafen ist das erste Nadelöhr. Karl-Philipp Gawel ist deshalb froh, endlich angekommen zu sein.
    "Hauptsächlich sind es Küchensets, die bestehen aus Töpfen und allem, was man so braucht, Hygiene-Kits, die alles abdecken, was man für die tägliche Hygiene benötigt, sowie faltbare Wasserbehälter, die das Tragen von Wasser ermöglichen, Decken und Familienzelte."
    Tatsächlich haben viele Nepalesen in den Dörfern außerhalb Kathmandus nach genau solchen Gütern gefragt. Gawel arbeitet jetzt daran, die Hilfe möglichst rasch zu verteilen, vor allem in die entlegenen Regionen. Es gibt aber viel zu wenige Hubschrauber. Zeitpläne werden in Nepal stündlich geändert. Der Rotkreuz-Helfer hat sich auf eine lange und schwierige Arbeit eingestellt.
    Mittwochmittag, 29. April. Das Dorf Sankhu war ein stolzes Dorf mitten in den grünen Hügeln nördlich von Kathmandu. Es gab hier 300 Jahre alte Häuser. Bis zum Erdbeben am Samstag. Jetzt ist Sankhu eine Trümmerwüste.
    Sankhu eine Trümmerwüste
    Eine nepalesische Mutter liegt mit ihrem Kind in einem Notzelt.
    Eine Mutter ist mit ihrem Kind in einem Notzelt untergekommen. (dpa / picture alliance)
    Im Ortskern graben chinesische Helfer in blauen Anzügen in einem eingestürzten Haus nach einem 9jährigen Jungen. Das Kind und dessen drei Geschwister hatten sich gerade fein gemacht für eine Hochzeit, als die Erde bebte. Der Leiter der chinesischen Gruppe sagt:
    "Einwohnern haben uns hierher geleitet. Sie sagten uns, dass während des Erdbebens sechs Menschen in dem Haus waren. Vier sind tot. Eine Frau konnte sich retten, aber ihr Junge blieb zurück. Wir versuchen gemeinsam mit der nepalesischen Armee, ihn zu finden. Wir hoffen, dass er noch lebt. Wir haben noch keinen Leichengeruch wahrgenommen."
    Ein paar Straßen weiter, am Marktplatz, versucht Sibaram Ranjit mit einem Messer, ein herunter hängendes Kabel zu zerschneiden.
    "Wir kappen die Telefonleitung und basteln daraus einen öffentlichen Telefonanschluss. Die meisten Leute haben kein Mobiltelefon mehr, das Netz ist auch weg. So können die Leute von hier aus wichtige Anrufe tätigen."
    Menschen auf sich alleine gestellt
    Sibaram Ranjit hat schnell erkannt, dass er und die Menschen in Sankhu weitestgehend auf sich allein gestellt sind. Der 50jährige hat einen kleinen Shop in einem der wenigen Häuser, die noch stehen. Er zeigt auf eine Menschentraube. Davor steht ein Mann, der weiße Planen in Stücke schneidet und an die Umstehenden verteilt.
    "Die Hilfe in Nepal richtet sich danach, wie gut die Menschen politisch vernetzt sind. Bei uns kam bisher nicht viel an. Nicht mal die Planen, die sie geliefert haben, sind nutzbar. Uns fehlen die politischen Verbindungen."
    In Sibarams Shop gibt es Eier, Schokolade und Kekse. Vor dem kleinen Gemeindehaus laden Helfer kleine Wassertanks ab. Nahrungsmittel fehlen in Sankhu nicht.
    "Wir haben genug Kartoffeln von den Feldern, um zu überleben. Aber wir brauchen einen Ort, an dem wir auch die anderen Nahrungsmittel lagern können, die unter den Trümmern liegen. Vier, fünf Häuser sind intakt, mehr nicht. Wir brauchen also Unterkünfte und Lager."
    Sibaram glaubt nicht daran, dass Hilfe rasch kommen wird. Ein Nachbar hört ihm zu, er hat gerade Schutt aus seinem schwerbeschädigten Haus geräumt. Der Mann ist wütend:
    "Ich sage ihnen nur eines: Ich danke der nepalesischen Regierung dafür, dass sie uns bisher im Stich gelassen hat."
    Die Suche nach dem 9jährigen Jungen in den Trümmern des Hauses erfolglos. Als es dunkel wird, müssen die chinesischen Helfer unverrichteter Dinge abziehen. Das Kind hat das Erdbeben nicht überlebt.
    Es ist Freitag, der 1. Mai. Sechs Tage nach dem Beben. Einer der grausamsten Orte in Kathmandu ist die Leichenhalle. Hier arbeitet der angehende Mediziner Siddarth.
    "Du musst mental unglaublich stark sein, wenn du da reingehst. Mich macht das auch fertig, aber einer muss schließlich helfen."
    Die Kühlfächer sind voll. 30 verrenkte, aufgeblähte Körper liegen auf dem nackten Boden, nur notdürftig zugedeckt. Es fehlen Leichensäcke. Es sind große und kleine Körper – oft mit weit aufgerissenen Augen, schwarz angelaufen. Der süßlich-faule Geruch in der Luft ist kaum auszuhalten.
    Es fehlen Leichensäcke
    Für Senna wird es zu viel. Das 16jährige Mädchen geht noch zur Schule. Sie hat sich heute freiwillig zum Dienst in der Leichenhalle gemeldet. Doch sie erträgt es nicht. Ihr Magen rebelliert. Ayush begleitet das Mädchen nach draußen. Doch auch hier riecht es nach Tod und Verwesung.
    "Ich mache das aus Menschlichkeit. Es ist eine schreckliche Aufgabe. Das ganze Land leidet. Wir müssen alle tun, was wir können."
    Menschen stehen in einer Schlange und warten auf Hilfe.
    Menschen stehen in einer Schlange und warten auf Hilfe. (dpa / MAXPPP)
    Ayush studiert Wirtschaft und hilft seit vier Tagen als Freiwilliger in der provisorischen Leichenhalle. Neben ihm arbeiten Ärzte, Polizisten und Beamte. Es geht darum, den Opfern eine Identität zu geben. Nach 28 der 30 Leichen in der provisorischen Leichenhalle hat sich noch niemand erkundigt. Viele andere Leichen wurden schon auf LKW verladen und verbrannt. Nepal ist ein hinduistisch geprägtes Land.
    Die Hindus bestatten ihre Toten im Feuer. Auf den Steintreppen am Fluss vor dem berühmten Pashupatinath-Tempel, der dem Gott Shiva geweiht ist, brennen die Scheiterhaufen Tag und Nacht.
    Im Distrikt Sindhupalchok hat die Erde besonders schlimm gebebt. In den meisten Dörfern sieht es so wie nach einem Dauerbombardement.
    Mehr als 90 Prozent der Häuser sind zerstört. Überall liegen schwere Felsbrocken herum, die da nicht hingehören. Ganze Siedlungen, die sich in schmale Täler und an steile Berghänge schmiegen, sind von Erde und Geröll verschluckt worden. Ziegel- und Lehmhäuser haben sich in Trümmerberge verwandelt. Hier und da verbreiten verschüttete Tierkadaver Verwesungsgeruch.
    Verwesungsgeruch liegt in der Luft
    Sie hätten die Behörden um Hilfe gebeten, erzählen die Dorfbewohner. Man habe ihnen gesagt, sie sollten nach Hause gehen und warten. Aber gekommen sei keiner. Die kleine Siedlung, in der rund 20 Familien leben, gehört zum Bergdorf Guvinde. Um die Siedlung zu erreichen, braucht man mit einem Geländewagen von Kathmandu aus fast fünf Stunden. Die Siedlung liegt abseits der asphaltierten Straße an einer kurvenreichen, steilen Buckelpiste, die von Steinschlag und abbrechenden Berghängen bedroht ist.
    Hin und wieder taucht ein Hubschrauber am Himmel auf, der in Sekundenschnelle wieder weg ist. Die einzige Hilfe für die Menschen in der kleinen Bergsiedlung bislang: Ein Sack Reis, als ein Auto mit Japanern vorbeifuhr und anhielt. Von den fehlenden Helikoptern und von den Schwierigkeiten am Flughafen in Kathmandu wissen sie hier nichts.
    Die Dorfbewohner schlafen im Freien. Sie brauchen dringend Planen zum Schutz vor dem Regen. Ihre Terrassen-Felder, die sie den Berghängen über die Jahre abgetrotzt haben, sind zum Teil zerstört. Auf ihnen reiften schon Weizen und Mais heran. Eigentlich müssten sich die Menschen jetzt auf die Aussaat von Reis vorbereiten. Der Monsun naht. Doch viele sind wie gelähmt.
    "Wie sollen wir das machen? Wir haben kein Dach über dem Kopf. Wir brauchen erst eine Unterkunft und mehr Sicherheit. Die Erde bebt doch immer noch. Und schauen Sie sich nur unsere Felder an: Es drohen neue Lawinen. Wir haben Angst."
    Menschen in Kathmandu/Nepal warten auf frisches Trinkwasser
    Menschen in Kathmandu/Nepal warten auf frisches Trinkwasser (imago stock&people)
    Das große Beben, wie es die Nepalesen nennen, wird auch langfristig schwere Folgen haben. Ernten werden ausfallen, weil das Saatgut unter Trümmern begraben liegt. Menschen, die sich bis jetzt selbst versorgt haben, werden auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein. Junge Menschen wie Sarita müssen sehr wahrscheinlich ihre Träume begraben.
    Es gehe ihr schlecht, sagt die 20-jährige. Sie könnte heulen. Sarita studiert Wirtschaft und will einmal Bankmanagerin werden. Sie war in Kathmandu, als die Erde bebte. Nach zwei Tagen fand sie endlich einen Bus, der sie nach Hause in ihr Bergdorf brachte.
    "In unserem Haus kann man nicht mehr leben, darin kann man nur sterben."
    Bisher hat ihre Familie das Studium in Kathmandu bezahlt. Doch jetzt wird das Geld zum Überleben und für den Wiederaufbau gebraucht.
    "Erst die Familie, dann das Studium. Im Moment ist es echt schwer. Langfristig wäre es natürlich wichtig für meine Familie, dass ich mein Studium abschließe, um einen guten Job zu finden. Ich werde jetzt alles tun, um schnell Arbeit zu finden."
    Aber wie? Schon vor dem Erdbeben war die Arbeitslosigkeit so hoch, dass jeder vierte junge Nepalese ins Ausland gegangen ist: nach Katar, Saudi-Arabien oder Malaysia. Nach dem großen Beben werden sich wahrscheinlich noch mehr junge Migranten auf den Weg machen, um in den Golfstaaten zu schuften.