Missbrauch von Schiedsverfahren ist "doch eher selten"

Hans-Georg Dederer im Gespräch mit Liane v. Billerbeck · 09.07.2013
Schiedsgerichte sollen Investoren zusätzliche Rechtsssicherheit bringen. Dass damit der Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechte ausgehebelt werden können, darin sieht der Wirtschaftsrechtler Hans-Georg Dederer "prinzipiell keine Gefahr". Inzwischen trügen die Gerichte den Interessen der Gaststaaten stärker Rechnung.
Liane von Billerbeck: Bis das Freihandelsabkommen, über das die Europäische Union mit den USA dieser Tage zu verhandeln begonnen hat, Realität sein wird, werden vermutlich noch einige Jahre ins Land gehen, auch wenn es angeblich schon im Herbst 2014 beschlossen sein soll. Was der Öffentlichkeit fast völlig unbekannt ist, dieses Freihandelsabkommen könnte uns die sogenannten Schiedsgerichte bringen. Die sind oft Teil eines solchen Vertrages, und das sind keine normalen Gerichte.

Vor einem Schiedsgericht kann ein Investor gegen einen Staat klagen, und zwar, wenn er sich benachteiligt fühlt. Und benachteiligt kann sich ein Investor ja durch allerlei fühlen, strengere Umweltgesetze oder Mitbestimmung. Und damit nicht genug, diese Schiedsgerichte tagen geheim, die Öffentlichkeit erfährt also gar nichts davon. Ob damit die Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt wird, darüber wollen wir sprechen mit Hans-Georg Dederer. Er ist Professor für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau. Ich grüße Sie.

Hans-Georg Dederer: Ich grüße Sie auch, Frau von Billerbeck.

von Billerbeck: Man hört und liest von Schiedsgerichten, die Streitigkeiten zwischen Staaten und Investoren schlichten. Warum brauchte man solche Schiedsgerichte?

Dederer: Solche Schiedsgerichte wurden eingeführt, um den Schutz von Auslandsinvestoren in ihrem jeweiligen Gaststaat zu verbessern. Hintergrund ist, dass wir nicht in allen Staaten der Welt mit einem System von Gerichten zu tun haben, die in ähnlicher Weise wie die deutschen Gerichte oder auch Gerichte sonstiger westlicher Staaten unabhängig und unparteilich sind. Und insofern dienen diese Schiedsgerichte vor allem der Durchsetzung der Interessen der Investoren in Staaten, die eben ein solches Maß an Rechtssicherheit nicht bieten können, wie wir es beispielsweise von uns kennen.

von Billerbeck: Das heißt, mit der Gründung der Schiedsgerichte sollte nicht Rechtsstaatlichkeit abgeschafft, sondern fehlende Rechtsstaatlichkeit ersetzt werden?

Dederer: Genau so kann man es formulieren. In der Tat wird hier ein kompensatorisches Instrument geschaffen, um Rechtssicherheit dort zu schaffen, wo sie ein Ausländer in der Regel nicht erwarten kann.

"Die Schiedsrichter sind sehr professionalisiert"
von Billerbeck: Wer bestimmt denn nun diese Besetzung dieser Schiedsgerichte? Wer sind diese Schiedsrichter?

Dederer: Die Schiedsgerichte werden letztlich immer von den Streitparteien berufen und eingesetzt. Insofern werden also auch die Schiedsrichter von den beiden Streitparteien paritätisch benannt, das heißt, vom Auslandsinvestor ebenso wie vom Gaststaat. Die Schiedsrichter sind sehr professionalisiert im Bereich des Investitionsschutzrechts und verfügen insofern über eine hervorragende Expertise, was gerade eben auch diese Schiedsgerichte so attraktiv macht.

von Billerbeck: Das heißt, das sind Anwälte, die internationales Wirtschaftsrecht zur Spezialität haben?

Dederer: Das können unter Umständen Anwälte sein, aber es können auch Kollegen von mir sein, also beispielsweise Professoren.

von Billerbeck: Wie ist denn nun diese Konstellation? Kann nur der jeweilige Investor vor einem Schiedsgericht gegen einen Staat klagen, oder auch umgekehrt der Staat gegen den Investor?

Dederer: Das kommt ganz darauf an, wie die jeweiligen Schiedsklauseln formuliert sind. In den bilateralen Investitionsschutzverträgen sind die Schiedsklauseln vielfach so formuliert, dass in der Tat der Investor einen Anspruch hat, ein Schiedsverfahren durchzuführen gegen den jeweiligen Gaststaat.

"Kontrolle durch die Öffentlichkeit ist nicht so wichtig"
von Billerbeck: Warum ist es denn nun so, dass, wie ich gelesen habe, diese Schiedsgerichte geheim tagen, dass die Öffentlichkeit, die ja durchaus beteiligt sein kann, gar nichts von diesen Schiedsgerichtsverfahren erfährt?

Dederer: Diese Schiedsverfahren haben gerade den entscheidenden Vorteil, dass sie vertraulich durchgeführt werden. Das hat für beide Seiten, auch für den Gaststaat, insofern, als die Vertraulichkeit auch ihn schützt. Ich denke, dass die Kontrolle durch die Öffentlichkeit im Fall von Schiedsgerichten nicht so wichtig ist wie im Fall von staatlichen Gerichten. Denn die Beteiligung der Öffentlichkeit hat gerade auch die Kontrollfunktion zum Schutz der beiden Streitparteien gegenüber einem möglicherweise willkürlich agierenden staatlichen Richter. Anders ist es aber bei den Schiedsgerichten, wo ja die Parteien selbst die Schiedsrichter bestimmt haben und insofern volles Vertrauen in ihr eigenes, selbst eingesetztes Schiedsgericht haben können. Die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit wird also entbehrlich.

von Billerbeck: Aber ich weiß nicht, ich bin da misstrauisch, muss ich sagen, denn es kann ja sein, dass der Staat verliert gegen den Investor in einem Verfahren, das geheim ist, von dem die Öffentlichkeit nichts erfährt, bei dem sie aber die Kosten tragen muss. Das heißt also, die Bürger sind doch betroffen, weil sie entweder Einschränkungen hinnehmen müssen und also doch durchaus ein Interesse daran haben müssten, dass sie erfahren, was dort passiert.

Dederer: Zumindest wird die Öffentlichkeit insofern informiert, als heutzutage doch ein Großteil der Schiedssprüche am Ende publiziert wird. Insofern kann gut nachvollzogen werden, was der Anlass für den Streit war und auf welcher Grundlage der Streit und auch, mit welchen Argumenten der Streit zulasten des Gaststaates oder des jeweiligen Staates entschieden wurde. Insofern besteht zumindest im Nachhinein eine Kontrollmöglichkeit für die Öffentlichkeit.

"In der Regel keine höhere Instanz"
von Billerbeck: Aber eben erst hinterher. Wieso ist das eigentlich nötig, dieses Schiedsgericht auch heute noch einzusetzen, sagen wir, in nichtautoritären Staaten? Wieso kann man solche Konflikte nicht vor normalen Gerichten klären, denn da ist ja Einspruch, Revision möglich, es gibt die nächsthöhere Instanz? Das gibt es ja bei einem Schiedsgericht nicht.

Dederer: Das ist richtig, bei einem Schiedsgericht gibt es in der Regel keine weitere Instanz. Allerdings ist es oftmals so, dass unter Umständen ein Schiedsspruch auch durch ein nationales Gericht nochmals geprüft werden kann. Das gilt allerdings oftmals wiederum nicht bei diesen Investitionsschutzstreitigkeiten, sofern sie etwa vor dem Internationalen Zentrum für Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington D.C. durchgeführt werden.

Allerdings besteht auch dort noch eine Möglichkeit, das Urteil in einer zweiten Instanz für nichtig erklären zu lassen und neu verhandeln zu lassen vor einem anderen Schiedsgericht. Richtig ist allerdings auch, dass etwa im Fall der Europäischen Union und der USA es denkbar wäre, dass die beiden Parteien eines etwaigen Freihandelsabkommens darauf verzichten, solche Streitbeilegungsklauseln zugunsten der jeweiligen Auslandsinvestoren vorzusehen. Denn die beiden Staaten oder die beiden Parteien des Freihandelsabkommens könnten eigentlich darauf vertrauen, dass sie eigene staatliche Gerichte haben, die höchsten rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen.

von Billerbeck: Und wird das so sein? Was meinen Sie? Oder braucht man doch so ein Schiedsgericht, weil eben das gegenseitige Misstrauen möglicherweise sehr groß ist? Es können ja sehr viele Ausnahmen in so einem Freihandelsabkommen eingeschrieben sein, dass man eben noch eine andere Partei sucht.

Dederer: Das ist natürlich eine Frage letztlich der Politik. Und auch die Frage, welche Auffassung sich letztlich in den durchaus schwierigen Verhandlungen durchsetzt. Im Moment wäre es sozusagen typisch, dass ein Freihandelsabkommen ein Investitionsschutzkapitel enthält und, dazugehörig, eine entsprechende Streitbeilegungsklausel, die ein Schiedsverfahren vorsieht für die Auslandsinvestoren.

Das hat insofern schon seinen Sinn, als ein auslandsinvestitionsfreundliches Klima geschaffen wird, denn der Auslandsinvestor bekommt einen zusätzlichen Rechtsschutz neben dem nationalen Rechtsschutz. Der nationale Rechtsschutz ist ja nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings kann sich der Investor diesem entziehen, indem er zugleich auf die völkerrechtliche Ebene geht und dort ein internationales Schiedsverfahren gegen den jeweiligen Gaststaat durchführt.

von Billerbeck: Nun sagen ja Kritiker, dass wir in der letzten Zeit über Schiedsgerichtsverfahren einen massiven Missbrauch dieser Einrichtung erleben, dass beispielsweise internationale Konzerne klagen vor einem Schiedsgericht, wenn ihnen bestimmte gesetzliche Regelungen nicht gefallen, also Umweltgesetze, Vattenfall, das in Hamburg versucht hat, wegen strenger Umweltgesetze durchzusetzen, auch Erfolg damit hatte – ist das nicht genau der Missbrauch dieses Schiedsgerichtes als Instrument, indem man versucht zu sagen: Da würde man enteignet werden, indem einem der Gewinn entgeht… wenn man da dieses Instrument deshalb benutzt?

"Es hat auch rein konstruierte Streitfälle gegeben"
Dederer: Es gibt sicher immer wieder Fälle, in denen Rechte missbräuchlich in Anspruch genommen werden. Das kann natürlich auch für das Recht gelten, ein internationales Schiedsverfahren durchzuführen. Allerdings scheinen mir die Fälle doch eher selten zu sein. Das gilt etwas auch für den Fall Vattenfall in Hamburg, denn auch hier ist die Frage, woraus man sich eigentlich informiert. Wenn man gleichzeitig die Pressemitteilung etwa des Konzern Vattenfall gelesen hat, stellt man fest, dass ein Vergleich durchgeführt wurde, in dem sich auch Vattenfall zu bestimmten Umweltschutzstandards verpflichtet hat gegen die Möglichkeit, das Kohlekraftwerk zu betreiben.

Insofern sind diese Streitigkeiten nicht immer nur rechtsmissbräuchlich angestrengt. Die Fälle gibt es, und zu diesem Zweck, um diese Fälle zu verhindern, wurden übrigens auch schon die Verfahrensregeln für Schiedsgerichte geändert. So ist etwa gerade für das von mir schon erwähnte Internationale Zentrum für Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington seit 2006 vorgesehen, dass der Gaststaat den Antrag stellen kann, die schiedsgerichtliche Klage von vornherein abzuweisen wegen offensichtlicher Unzuständigkeit oder Unbegründetheit der Klage. Und diese Möglichkeit hat man gerade geschaffen mit Blick darauf, dass es in der Vergangenheit tatsächlich immer wieder auch einmal diese rein konstruierten Streitfälle gegeben hat.

von Billerbeck: Das heißt, Sie sehen da keine Gefahr durch dieses Instrument der Schiedsgerichte, auch im Einfluss auf die Öffentlichkeit, in der Veränderung der Rechtssysteme?

Dederer: Ich sehe darin prinzipiell keine Gefahr, jedenfalls, wenn man den gegenwärtigen Trend sich bewusst macht. Und der gegenwärtige Trend der Spruchpraxis der Schiedsgerichte geht durchaus dahin, auch mehr den Interessen der Gaststaaten Rechnung zu tragen. Wir hatten in der Tat eine Welle von Schiedsverfahren, die tendenziell zugunsten des Investors entschieden. Nun aber scheint sich diese Welle zu legen und wir bemerken, dass mehr und mehr auch den Gaststaateninteressen Rechnung getragen wird, etwa Umweltschutzinteressen, dem Interesse der Durchsetzung der Menschenrechte, im Bereich der gerechten Arbeitsbedingungen und so fort.

von Billerbeck: Das sagt Professor Hans-Georg Dederer, Professor für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau. Ich danke Ihnen.

Dederer: Ich danke Ihnen auch für das Gespräch.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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