Misereor kritisiert Verwendung von Entwicklungshilfe

Moderation: Hanns Ostermann · 11.02.2008
Nach Einschätzung von Misereor versickert ein Teil der Entwicklungshilfe in den Taschen korrupter Machthaber. Damit das Geld bei den Notleidenden ankommen, müsse die Politik stärker auf die Verwendung der Hilfen achten, betonte der für das Hilfswerk zuständige Erzbischof Werner Thissen.
Hanns Ostermann: "Mit Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der Armen" – unter diesem Motto steht die diesjährige 50. Fastenaktion von Misereor, einem der weltweit größten kirchlichen Hilfswerke. Die Aktion wurde gestern mit einem Gottesdienst in Südafrika eröffnet: in der geschichtsträchtigen Kirche "Regina Mundi" von Soweto (Johannesburg), also dort, wo Studenten vor mehr als 30 Jahren im Kampf gegen die Apartheid Schutz gesucht hatten. Als sich Misereor (übersetzt "mich erbarmt") damals in Südafrika engagierte, war das umstritten. Und wie steht es heute um die politische Arbeit des Hilfswerks? Wie groß ist das Spannungsfeld, in dem sich Hilfsorganisationen bewegen? – Darüber möchte ich mit dem Hamburger Erzbischof Werner Thissen sprechen. Er ist in der Deutschen Bischofskonferenz für Misereor verantwortlich. Guten Morgen Herr Thissen!

Werner Thissen: Ich grüße Sie.

Ostermann: Wie politisch ist Misereor heute?

Thissen: Wenn man Entwicklungszusammenarbeit will, dann hat das immer etwas mit Politik zu tun, und zwar schon von Anfang an. Vor 50 Jahren, als Misereor gegründet wurde, hieß es in der Eröffnungsrede von Kardinal Frings "den Mächtigen ins Gewissen reden". Das zeigt ja die starken politischen Zusammenhänge. Das hat sich im Laufe der Zeit insofern stärker noch entwickelt, als wir die Erfahrung gemacht haben, dass ungerechte Strukturen eben auch mit politischen Machenschaften zu tun haben. Von daher ist das, wenn es um Gerechtigkeit etwa geht, hoch politisch.

Ostermann: Nun machte ein brasilianischer Bischof die Erfahrung "gebe ich Armen zu Essen, dann nennen sie mich einen Heiligen; frage ich danach warum sie arm sind, nennen sie mich einen Kommunisten". In welchen Ländern stoßen Sie oder Ihre Partnerorganisationen vor allem auf politischen Widerstand?

Thissen: Das gilt überall dort, wo Demokratie nicht entwickelt ist, wo einzelne Politiker das Sagen haben, die in korrupten Zusammenhängen stehen, die also das, was an Geld herein kommt, was für Entwicklungszusammenarbeit gedacht ist, nicht dafür einsetzen, sondern es an ihre Verwandten verteilen. Da gibt es natürlich enormen Widerstand.

Ostermann: Herr Thissen, was bedeutet das konkret? Vielleicht nennen Sie einfach mal Beispiele.

Thissen: Ich war vor einiger Zeit mit einer Bischofsdelegation aus Afrika bei Politikern in London, Berlin und Rom. Dann sagte einer der Politiker – es war der Finanzminister von Italien -, dass doch viel Geld in die Entwicklungshilfe ginge und dass das doch eigentlich eine gute und zufriedenstellende Sache sei. Da sprang ein Mitbruder, ein Bischof aus Afrika auf und sagte, "das soll gerecht sein? – Das versickert in den Taschen unserer Machthaber. Das ist höchste Ungerechtigkeit!" – Und so etwas gibt es ja nicht nur an einer Stelle.

Ostermann: Das bedeutet aber, dass Sie sozusagen in der tagtäglichen politischen Arbeit immer wieder auf diese Probleme aufmerksam machen müssen, wenn selbst ein italienischer Politiker eigentlich nicht so richtig weiß, wie Ihre Arbeit oder die der anderen Hilfsorganisationen in Afrika oder Asien läuft.

Thissen: Ich weiß nicht, ob er es nicht weiß oder ob er es nicht wissen will. Ich erlebe in Europa bei manchen Politikern doch auch oft ein geringes Interesse. Da wird das, was im Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit da ist, abgebucht und eingesetzt, aber wie das dann weitergeht mit den Finanzen, da merke ich manchmal ist das Interesse nicht so groß. Deshalb machen wir das auch von Misereor, dass wir immer wieder mit Bischöfen aus dem Süden Politiker besuchen, damit sie hautnah spüren, erstens wie wichtig Entwicklungszusammenarbeit ist und zweitens wie wichtig es ist, dass es nicht nur um Geld geht, sondern dass es eben auch um gerechte Strukturen geht, wozu Politiker ihren Beitrag leisten müssen.

Ostermann: Sind Sie da mit der Arbeit, die in Berlin geleistet wird, einverstanden?

Thissen: Wir haben von Misereor aus unabhängig davon, welcher parteipolitischen Richtung der jeweilige Entwicklungsminister oder die jeweilige Entwicklungsministerin angehört, einen guten Kontakt. Da ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich würde mir wünschen, dass wäre überall so.

Ostermann: Im vergangenen Jahr stand die Bildung im Mittelpunkt der Fasten- und Spendenaktion. Immerhin fast jeder Sechste in der Welt gilt als Analphabet. Was haben Sie damals mit Ihren Partnerorganisationen erreicht?

Thissen: Wir haben auf der einen Seite für Schulen gesorgt, wir haben für Ausbildung von Lehrern gesorgt und wir haben vor allen Dingen dafür gesorgt, dass das Thema Bildung in den Ländern des Südens zu einem Thema gemacht wurde. Ich habe das jetzt gerade hier noch in Südafrika erlebt. Ein Kolloquium am Tag der Eröffnung Misereors galt der Bildung und die Bildungsministerin aus Deutschland war mit dabei. Also es ist erreicht worden durch unsere Aktionen im vergangenen Jahr, dass das Thema Bildung ganz oben auf der Tagesordnung steht. Das halte ich für den wichtigsten Erfolg, für wichtiger noch als einzelne Maßnahmen.