Miró-Ausstellung in Paris

Malerei ist die Arbeit an Träumen

Eine Besucherin wandelt zwischen zwei Miró-Gemälden in einer Ausstellung.
Die Miró-Werke "Escalade vers la lune" und "L'Exile noir". © dpa
Von Kathrin Hondl · 03.10.2018
Klare Farben und mystische Motive: Der spanisch-katalanische Maler und Bildhauer Joan Miró war einer der wichtigsten Vertreter der klassischen Moderne. Er war ein Träumer und Weltverbesserer, wie eine Ausstellung in Paris zeigt.
Ausstellungskurator Jean-Louis Prat war ein Freund Mirós, und ist es auch nach dessen Tod 1983 geblieben. Die Retrospektive im Grand Palais ist schon die dritte Miró-Ausstellung, die der bald 80-jährige Jean–Louis Prat in den vergangenen Jahren kuratierte. 2010 in Baden-Baden, 2014 in Wien, und jetzt, 2018 in Paris. Immer wieder neu, immer wieder anders, immer wieder Miró.

Er verleiht den kleinsten Dingen Sinn

"Warum er mich so fasziniert? Weil er eine Welt erfunden hat. Eine Welt der Risiken und der Großzügigkeit, eine poetische Welt. Er ist ein einzigartiger Maler, weder figurativ noch abstrakt. Er hinterfragt die kleinsten Dinge in dieser Welt. Er verleiht ihnen Sinn und Macht. Auf ganz einfache Art und Weise zeigte er uns seine Träume und teilte sie mit uns."
Wenn er über seinen Künstlerfreund spricht, strahlen die Augen von Jean-Louis Prat in einem Blau, das Mirós Blau verwirrend ähnelt. Jenem wässrigen Himmelblau auf dem berühmten und wohl radikalsten Miró-Bild, das das Metropolitan Museum New York jetzt nach Paris reisen lies: "peinture-poème" – ein Gemälde-Gedicht also.
Unter einen blauen Farbfleck schrieb Miró da den Satz "Ceci est la couleur des mes rêves" – "dies ist die Farbe meiner Träume". Links oben im Bild pinselte er in sorgfältiger Schreibschrift das Wort "Photo". Malerei, so die Botschaft Mirós, ist Arbeit an Träumen.
Der spanische Maler, Grafiker und Bildhauer Joan Miró im Juli 1981 bei der Arbeit an einer Lithographie.
Joan Miró 1981 bei der Arbeit an einer Lithographie.© picture-alliance / dpa
Der Surrealismus beeinflusste seine Malerei sehr, Dichter wie André Breton, Michel Leiris oder Georges Bataille waren seine Freunde.
Mirós Bilder der späten 20er-Jahre erforschen das poetische Potenzial der Welt bis in ihre vermeintlich unscheinbaren Details. Ein roter Fleck wird mit schwarzen Linien seziert. "Imaginäre Landschaften" erzählen in kräftigem Blau und Karminrot, in Gelb- und Orangetönen von Insekten, Tieren und anderen Lebewesen.

Eine alptraumhafte Zeit bricht an

Ab 1934 aber verdüstern sich sowohl die Farbpalette als auch die Motive des träumenden Malers. Denn das Geschehen in der Welt ließ Miró nicht kalt, sagt Jean-Louis Prat.
"Er ist nicht wirklichkeitsfremd. Deshalb berührt er uns auch so. Er ist sehr realitätsnah. Er sieht den Aufstieg des Faschismus und der Populismen in den 30er-Jahren. Er weiß, dass die Welt auf eine Katastrophe zusteuert. Der spanische Bürgerkrieg, dann der Zweite Weltkrieg. Miró sucht nach einer Welt für die Zukunft. In den 30er-Jahren hinterfragte er, was er kommen sah, mit schrecklichen Figuren. Denn im Leben gibt es nicht nur idealisierte Träume, sondern auch Monster. Monster, die uns in Alpträumen begegnen."
Schmerzverzerrte, meist weibliche Figuren sind das in den "Peintures sauvages", "wilden Bildern", wie Miró die düstere Serie von Pastellen auf Velourspapier nannte.
1937, nach der Zerstörung der Stadt Guernica durch deutsche Kampfflugzeuge, entwarf Miró eine Briefmarke, mit deren Verkauf das republikanische Spanien unterstützt werden sollte. Auch als Plakat wurde das Bild vervielfacht – ein kämpferisch die Faust ballender Katalane in den spanischen Nationalfarben rot und gelb. Ein Miró-Multiple für die gute Sache.
Und als solches auch wieder einzigartig im Gesamtwerk. Denn Miró schuf sonst nur Einzelstücke. Auch von seinen Keramiken, denen die Pariser Ausstellung einen eigenen Saal widmet.

Miró bekämpfte Konventionen

"Er machte nie Editionen und wollte das auch nie. Und als er in den 40er-Jahren vom Tod der Malerei und vom Tod der Keramik sprach, da wollte er natürlich nichts töten. Was er ermorden wollte, das waren Konventionen, akademische Kunst, alles Wiedergekäute; alles, was die Menschen daran hindert, richtig hinzuschauen auf das, was uns umgibt."
Jean-Louis Prat hat für die Pariser Retrospektive 150 Hauptwerke Mirós im Grand Palais versammelt. Es ist eine schöne Ausstellung, der man die Begeisterung des Kurators ansieht – mit Bildern und Skulpturen, die das verkörpern, was Walter Benjamin meinte, als er von der "Aura des Kunstwerks" schrieb. Eine Aura, die Jean-Louis Prat zu vermissen scheint.
"Miró gab uns Gewissheiten in einer unsicheren Welt. Wir leben in einer immer mehr verunsicherten Welt. Und ich würde gerne seine Antworten sehen, wenn er noch lebte. Denn ich bin sicher, er hätte Antworten. So war es sein ganzes Leben lang – Antworten auf das Leben, die täglich neue Entdeckung unserer Existenz, ihres Endes, das Prekäre des Daseins. Es ist mysteriös. Miró offenbart uns etwas, das wir nicht greifen können."
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