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Nordrhein-Westfalen
AWO will AfD-Mitglied loswerden

Guido Reil ist seit Jahren aktives Mitglied der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Nordrhein-Westfalen - und seit Kurzem Mitglied der AfD. Das bringt dem ehemaligen Sozialdemokraten nun Ärger ein: Die AWO wirft ihm vor, sich rassistisch geäußert zu haben und will ihn deswegen loswerden. Doch das ist nicht so einfach wie gedacht.

Von Moritz Küpper | 15.12.2016
    Porträt Gudio Reil, vor rotem Hintergrund in die Kamera lächelnd
    Guido Reil - hier bei einem Auftritt in der ARD-Sendung "Hart aber Fair" am 5.9.2016 - trat nach 26 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD aus - um in die AfD einzutreten. (dpa/picture alliance/Bernd Thissen)
    "26 Jahre war ich in der SPD, ja…"
    Guido Reil ist sehr gefragt als Foto-Motiv. Der großgewachsene Mann, Bergmann von Beruf, steht im Euskirchener City-Forum, mitten in der Stadt. Anfang Dezember fand hier das vorläufig letzte Listenaufstellungstreffen des NRW-Landesverbandes der AfD statt: Vorbereitung auf die anstehende Landtagswahl im Mai kommenden Jahres. 26 Jahre also war Guido Reil in der SPD, aber ein Foto hätte nie einer gewollt, so der Gewerkschafter. Nun haben zwei Frauen und ein einzelner Herr um einen Schnappschuss gebeten.
    "So, und lächeln, ja!"
    Reils Name steht mittlerweile auf Platz 26 der AfD-Landesliste - was durchaus realistische Chancen für einen Einzug in den Landtag bietet. Die SPD habe er verlassen, weil die sich vor Ort nicht mehr kümmere, sagt Reil. Weil ihm in der Partei Posten verwehrt wurden, sagen die Genossen. Wie auch immer: Ein Bergmann, Gewerkschafter, dazu vor Ort gut vernetzt. Für die Ruhrgebiets-SPD war sein Wechsel ein herber Schlag - und für viele Medien interessant. Reil saß bei "hart, aber fair" im Ersten, bei Markus Lanz im Zweiten Deutschen Fernsehen:
    "In SPD-Zeiten war der Satz 'Wir schaffen das' für Sie wahrscheinlich ein Satz, den sie so unterschrieben hätten. Dürfen Sie das auch noch als AfD-Mitglied?"
    "Ne, das hab ich zu keiner Zeit so unterschreiben können, diesen Satz. Zu keiner Zeit."
    Grundsatz-Papier der AWO stellt sich gegen AfD
    So Reil im ZDF. Doch während solche Auftritte ihm eine bundesweite Bekanntheit bringen und – Stichwort Foto – mitunter seine Beliebtheit fördern, führt dies anderswo zu Ablehnung:
    "Führende Personen aus dem Kreis der AfD machen wiederholt mit völkischen, rassistischen und menschenverachtenden Parolen in der Öffentlichkeit Stimmung gegen Schutz suchende Menschen und auch gegen Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik mit Migrationshintergrund. Das steht im unvereinbaren Widerspruch zu den Grundwerten der AWO."
    Heißt es in einem Grundsatz-Papier des Arbeiterwohlfahrt-Präsidiums aus dem Juni diesen Jahres. Und weiter:
    "Die Vereinbarkeit einer Beschäftigung und einer Mitgliedschaft bei der AWO mit einer Mitgliedschaft bei der Partei Alternative für Deutschland (AfD) wird im Einzelfall entschieden. Grundlage für die Einschätzung muss das persönliche Gespräch und der jeweilige Einsatzort sein."
    Im Klartext: AfD-Mitglieder sind in der AWO unerwünscht. Im Fall von Guido Reil könnte dies jedoch problematisch werden. Denn Reil war und ist AWO-Mitglied - und dazu sehr aktiv:
    "Also, ich fahre seit acht Jahren Senioren zum Einkaufen. Ehrenamtlich, gemeinsam mit einem Team von Kollegen, alles auch ehemalige Bergleute, die einfach Spaß daran haben, den Senioren zu helfen."
    Geschäftsführer hat juristisches Verfahren angestrengt
    Dennoch soll damit nun Schluss sein: Zumindest für Reil. Dieser habe arabischstämmige Menschen pauschal als nicht integrierbar bezeichnet - das sei klar rassistisch, zitierte die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" AWO-Geschäftsführer Oliver Kern. Und weiter: "Eine ganze Ethnie zu verunglimpfen, das hatten wir 1933 schon einmal." Reil sieht es anders: Klartext, nennt er seine Äußerungen. Dabei vereinfacht er, ignoriert auch andere Sachverhalte. Beispielsweise, wenn er, wie bei "hart, aber fair", über die Situation in Essen-Karnap spricht, wo aus seiner Sicht Verteilungskämpfe einsetzen:
    "Und jetzt kommen Menschen, aus Nordafrika und aus dem Nahen Osten. Aus dem Gebiet der Erde, das am gewalttätigsten, frauen-feindlichsten, antisemitisch und homophob ist und wir denken, das wird alles hier gut und wir schaffen das."
    Nicht alles lässt sich überprüfen, aber – Ironie der Geschichte – als der SPD-Ortsverband in Essen-Karnap zum Jahresbeginn gegen die Aufnahme von weiteren Flüchtlingen demonstrieren wollte, war Reil dagegen. Dennoch: Der Kurs der AWO Essen ist klar: Reil soll raus, unbedingt. Hinsichtlich einer Stellungnahme gibt man sich aktuell allerdings etwas schmallippiger.
    "Dazu können wir derzeit eigentlich überhaupt nichts sagen, da dies ein laufendes Verfahren ist, auf das wir jetzt keinen Einfluss mehr haben. Wir müssen darauf warten, wie die Entscheidungen fallen," sagt Peter Marnitz, Sprecher des AWO Kreisverbands Essen. Hintergrund: Aufgrund des NS-Vergleiches von Geschäftsführer Kern hat Reil ein juristisches Verfahren angestrengt. Auch geht er vor dem AWO-internen Schiedsgericht gegen seinen Ausschluss vor. AfD-Mitglieder würden am Arbeitsplatz zunehmend diskriminiert, glaubt Reil:
    "Das ist ein Grundproblem in Deutschland. Es gibt hier Menschen, die machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz, die haben Angst um ihre politische Meinung offen zu sagen, weil sie Angst haben, Repressalien am Arbeitsplatz zu erfahren."
    Reil bestreitet Verstoß gegen Satzung
    Und deswegen will Reil sich seine Seniorenfahrten auch nicht nehmen lassen.
    "Das Mitglied, dass vor dem Ausschluss steht, müsste ganz konkrete Handlungen oder Gesinnungen zutage bringen, die rassistisch oder ähnliches sind, was ganz konkret nicht mit dem Vereinszwecken der AWO in Einklang zu bringen ist," sagt Jurist Björn Schiffbauer von der Universität zu Köln. Grundsätzlich könne zwar jeder aus einem Verein ausgeschlossen werden, hinsichtlich der Beweispflicht gibt es aber klare Regeln. Die liege:
    "…immer bei demjenigen, der etwas will. Also, es wäre dann so: Wenn die AWO jemanden ausschließen möchte, dann möchte sie einen Status, den Status des Vereinsmitglieds ändern. Das heißt, sie müsste dem Mitglied nachweisen, dass es gegen satzungsmäßig festgelegte Zwecke verstoßen hat."
    Und das ist nicht immer einfach - zumal Reil einen derartigen Verstoß bestreitet. Er gibt sich stattdessen menschlich enttäuscht:
    "Der Geschäftsführer der AWO Essen, der Oliver Kern, der mich jetzt als Rassisten bezeichnet, das ist ein Mensch, den kenne ich seit über zehn Jahren, mit dem habe ich viele Projekte auch gemeinsam gemacht, gerade auch im Bereich mit Jugendlichen. Und dass auf einmal solche Sachen kommen, das hat mich auch ein bisschen erschüttert. Vor allen Dingen, weil er auch inhaltlich der AWO schadet und nicht mir. Also, jeder weiß, eine Parteiangehörigkeit, reicht nicht aus, um jemanden aus irgendeinem Verein zu schmeißen. Das hat mit dem deutschen Rechtsstaat überhaupt nichts zu tun."
    Auf der anderen Seite sieht man es allerdings etwas entspannter, AWO-Sprecher Marnitz:
    "Es werden immer wieder Dinge hochgepusht und werden Dinge wieder in Vergessenheit geraten. Deswegen: So ist das Leben eben in unserer Medienwelt."
    Im Januar soll nun eine Entscheidung fallen.