Minidramen von Müttern und Mutanten

Von Anette Selg · 08.11.2012
Anke Feuchtenberger ist Comiczeichnerin, Professorin für Illustration in Hamburg und Verlegerin – und seit 20 Jahren eine maßgebliche Größe in der deutschen Comic-Landschaft. Anfang der 90er-Jahre wurde sie bekannt mit ihren sehr reduzierten Text-Bild-Erzählungen, in denen einsame, oft nackte Figuren existenzielle Minidramen durchlebten.
Es regnet in Strömen an diesem Herbsttag in Vorpommern. Seit einigen Jahren lebt die Comiczeichnerin Anke Feuchtenberger nicht mehr nur in Hamburg, sondern auch hier in Quilow - in der alten Dorfschule aus rotem Backstein. Gemeinsam mit ihrem Mann Stefano Ricci, auch er ein international bekannter Comic-Künstler, und zwei großen, silberbraunen Hündinnen.

Anke Feuchtenberger: "Also farbige Originale hab ich leider überhaupt nicht da. Ada, nimm die Nase weg!"

International bekannt geworden ist Anke Feuchtenberger Anfang der 90er-Jahre mit ihren sehr reduzierten Text-Bild-Erzählungen, in denen einsame, oft nackte Figuren existenzielle Minidramen durchlebten. Die Räume in vielen ihrer Zeichnungen erinnerten an eine leere Bühne.

"Also, ich komme da wirklich aus dem Theater, was den Comic betrifft. Ich hab mit 27, das war also ein, zwei Jahre nach Maueröffnung, überhaupt erst Comics in der Hand gehabt. Vorher kannte ich gar keine Comics, ich wusste gar nicht, was das ist. Wirklich jetzt!"

Studiert hat Anke Feuchtenberger noch in der DDR an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Nach der Wende hat sie erst einmal als Theatergrafikerin für verschiedene Berliner Ensembles gearbeitet.

"Also, so fing es an. Ich hab die Plakate gemacht für die Gruppen und hab dann auch als Zugabe Programmhefte entwickelt, die sich immer mehr der Comicform annäherten. Es tauchten plötzlich Sprechblasen auf. Oder Leute, die halt direkt gesprochen haben. Also, es war irgendwie der Wunsch, über die Plakate noch was zu geben, was den alten Text und das neue Bild auf 'ne Weise verbindet, die sehr, sehr persönlich ist. Und wo ich einfach gehofft habe, dass jemand sich wieder findet."

Anke Feuchtenberger hat in dieser Zeit zu ihrer ganz eigenen Comicform gefunden. Mit expressiven Schwarz-Weiß-Zeichnungen, wenig Text und sehr emotionalen Themen. "Herzhaft lebenslänglich" hießen ihre ersten Comic-Bücher, "Mutterkuchen" oder "Die Hure H".

"Ich meine, die Comicwelt zu der Zeit vor 20 Jahren war absolut männerbestimmt. Es war ganz schwierig als Frau, da sich zu behaupten und einen eigenen Weg zu finden, der nicht diesen Mainstream erfüllt. Ja, das war schwierig."

Superhelden finden sich keine bei Feuchtenberger. Dafür geht es in ihren Bildwelten um Mütter und Mutanten, um Entdeckungsreisen im eigenen und in fremden Körpern oder um die Liebe.

"Insofern seh' ich das auch als einen Kampf, um 'ne Sprache zu finden, um 'ne Art von Geschichten zu finden, die man im Comic erzählen kann, das war alles neu."

Jetzt ist ein neuer Comic-Band von Anke Feuchtenberger erschienen: "Die Spaziergängerin". Die älteren Erzählungen erinnern noch einmal an den kargen, reduzierten Bleistiftstrich, der bis vor einigen Jahren das Erkennungsmerkmal der Zeichnerin war. Die neueren Geschichten sind alle in Kohle gearbeitet. Die Körper erscheinen runder, die gemalten Welten dreidimensionaler.

"Mein Diplom '88 war schon mit Kohle und weich und rund und so. Es war wie 'ne Rückkehr, wie ein Rückbesinnen auf eine Zeit, wo ich mit weniger Härte in die Welt gekuckt habe. Das war 'ne ganz wichtige Zeit, diese Härte."

Für ihr Atelier hat Anke Feuchtenberger zwei der ehemaligen Klassenzimmer in der alten Schule zusammengelegt. Große Kohlezeichnungen liegen auf dem grauen Betonboden. An der Wand hängen weiß grundierte Zeichenkartons.

"Unter der Kohle liegt dann halt diese weiße Schicht, da wird die Kohle reingerieben. Ist ja ganz viel Fingerarbeit, ist ja ein Staub, diese Kohle. Das Weiß macht die Sache so rau, sonst ist das Papier so glatt, dann hält das nicht drauf."

Seit einiger Zeit arbeitet Feuchtenberger an einer groß angelegten Comic-Geschichte mit mehreren Erzählsträngen und Zeitebenen. Im Zentrum des Ganzen steht ein kleines Dorf in Vorpommern.

"Das Buch heißt 'Ein deutsches Tier im deutschen Wald' und die große Bewegung ist die Renaturierung. Ich bewege mich ja hier in einem bestimmten geologischen, ökologischen Raum in Vorpommern, der sehr speziell ist. Und ich hab das Gefühl, ich kann immer nur Sachen erzählen, die ich wirklich weiß. Ich glaube, ich könnte keine Fantasy- oder irgendwelche Romane über ein Konzentrationslager oder über China oder so schreiben. Weil ich das Gefühl hab, ich weiß doch gar nichts darüber. Ich würde mich doch immer nur füttern aus zweiter Hand."

Anke Feuchtenberger ist 1963 in Ost-Berlin geboren ist, dennoch hat sie als Kind die meiste Zeit bei ihrer Großmutter in Vorpommern gelebt - ganz in der Nähe von Quilow, dem Dorf, in dem sie heute ihr Atelier hat.

"Hier passiert so viel. Obwohl das ja eigentlich 'ne menschenleere Gegend ist - und erzählerisch versuch ich das in dieser Idee von: Es kommt eine Frau zurück, die im Dorf mal gelebt hat. Die hat Rache vor, und die arbeitet für die Renaturierung. Und es gibt 'ne andere Frau, die dagegen arbeitet, also versucht alles sauber zu halten, auch Putzfrau ist. Es kommt dann zum großen Knockout: Der Tag der Renaturierung! (lacht) Absurd, vielleicht auch fantastisch, aber für mich sehr realistisch in dieser Gegend."

Seit 15 Jahren unterrichtet Anke Feuchtenberger als Professorin für Illustration und Zeichnen an die Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften. 2008 hat sie mit ihrem Mann auch noch einen kleinen feinen Comicverlag gegründet, in dem vor allem Nachwuchs-Künstler eine Chance bekommen.

""Ich bin ja wirklich auch beschenkt worden, also mit diesem Job an der Hochschule, das ist ein Geschenk. Auch mit dem, dass ich meine Geschichten produzieren darf. Also, man muss irgendwas abgeben von diesem Geschenk, oder? Find' ich 'ne Pflicht."

Anke Feuchtenberger: "Die Spaziergängerin"
80 Seiten, teilweise farbig, 20,5 x 27 cm, Hardcover
ISBN 978-3-943143-39-3, EUR 20,00