Miniaturen vom Krieg

26.05.2009
Die ersten Bücher von Nicholson Baker handelten auf so intelligente wie komische Weise von Liebe, Intimität und Sex. Vor einigen Jahren kreiste sein Buch "Checkpoint" dann obsessiv um den Wunsch, den für den Irak-Krieg und den Tod Tausender verantwortlichen US-Präsidenten zu ermorden. Und nun stellt der bisher eher Empfindsame in "Menschenrauch" Franklin D. Roosevelt und Winston L. Churchill mit Hitler auf eine Stufe.
Churchill ist ihm ein von Alkohol befeuerter Kriegstreiber, und Roosevelt habe den japanischen Angriff auf die US-Flotte bei Pearl Harbour provoziert. Die Aufregung in den USA war groß und der Vorwurf der Geschichtslüge noch einer der harmlosesten.

"Menschenrauch" ist ein ruhiges Buch. Baker reiht Zitate aus Tagebüchern, Zeitungsmeldungen, Presseerklärungen, Reden, Briefen und Memoiren aneinander, die er erzählerisch einbettet: "Richard Breitling kehrte zu einem zweiten Gespräch ins Braune Haus zurück." Während Walter Kempowski in seinem monumentalen "Echolot" Quellen montiert, formt Baker aus ihnen Miniaturen.

Zu Beginn äußert der Sprengstofffabrikant Alfred Nobel 1892 gegenüber der Pazifistin Bertha von Suttner die Hoffnung, der Schrecken seiner Produkte werde die Welt befrieden. Damit nimmt die Eskalation ihren Lauf. Den ersten Schritt tun meist die Alliierten: Großbritannien erprobt das Bombardement der Zivilbevölkerung zuerst in den Kolonien und setzt dort Giftgas ein, bevor es ebenso mit Deutschland verfährt bzw. sich darauf vorbereitet.

Eleanor Roosevelts Antisemitismus erwähnt "Menschenrauch" vor dem deutschen, und aus den nationalsozialistischen Aussiedlungsplänen für Juden wird die Endlösung, weil die USA und England keine Flüchtlinge aufnehmen. Geschichte ist für Baker kein Kampf zwischen Gut und Böse, sondern ähnelt einer Kommunikation: Das Tun des einen beeinflusst das des anderen. Eine pazifistische Politik, mehr Appeasement hätte daher den Krieg verhindern können.

Die Deutschen spricht der Autor nicht frei von Schuld, er konzentriert sich aber auf ihre Gegner. Selbst der Antisemitismus der Nazis erscheint als Konsequenz, nicht als Ursache. So ganz mag man Baker dabei nicht folgen. Waren Hitlers Friedensangebote wirklich ernst zu nehmen? Quellenkritik treibt Baker nicht. Die zensierten Propagandazeugnisse der Deutschen stellt er gleichwertig neben jene aus den USA und Großbritannien.

Die Helden des Buches sind britische und nordamerikanische Pazifisten sowie Mahatma Gandhi. Sie stemmen sich mutig gegen die alttestamentarische Logik der Vergeltung, die auch die eigene Gesellschaft und die Zivilisation beschädige. Jede von Bakers Miniaturen fragt: Wie hältst Du es mit der Menschheitsfrage Krieg oder Frieden?

Das protestantische Element der Gewissensprüfung ist unübersehbar. Natürlich erfasst Baker das Kriegsgeschehen lückenhaft. Aber er will ja auch nicht vom Krieg erzählen, sondern vom Kampf um die Zivilisation. Das Buch bricht Ende 1941 ab, als dieser Kampf verloren ist und, wie von den Pazifisten befürchtet, alle Dämme brechen: Auf der Wannsee-Konferenz beschließen die Nationalsozialisten die "Endlösung".

Eine Litanei ist "Menschenrauch" nicht, doch seine 520 Seiten ermüden etwas: Jeder Abschnitt birgt wie eine Monade das ganze Buch. Mit ihm resümiert Baker unübersehbar die desaströsen Erfahrungen der USA im Irak und in Afghanistan. Ein härteres Urteil über die Außenpolitik von Präsident Bush junior und das amerikanische Verständnis als Weltpolizei ist kaum denkbar.

Besprochen von Jörg Plath

Nicholson Baker: Menschenrauch - Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete
Deutsch von Sabine Hedinger und Christiane Bergfeld
Rowohlt Verlag
Reinbek bei Hamburg 2009
639 Seiten, 24,90 EUR