Mini-Serie

Kein weichgespülter-Mittelschichtskrimi

Der italienische Journalist und Mafiaexperte Roberto Saviano
Die Serie basiert auf einem Buch des Journalisten und Mafia-Experten Roberto Saviano. Er lebt seit der Veröffentlichung unter Polizeischutz. © picture alliance / dpa / Matteo Bazzi
Von Michael Meyer · 10.10.2014
Eine 12-teilige Mini-Serie, dunkel, düster und bedrohlich erzählt, das ist Gomorrha. Manchmal fragt man sich: Was ist nach "The Sopranos" und "Der Pate" denn eigentlich neu daran? Doch dann erinnert einen Serie daran, warum sie trotzdem sehr sehenswert ist.
In Scampia herrscht die Mafia, in jenem heruntergekommenen Vorort Neapels, dessen Häuser aussehen wie eine Mischung aus Raumschiffen und vergessenen Banlieues. Hier ist man arbeitslos oder ist im Dienst der Camorra – sehr viel mehr dazwischen ist nicht.
Pietro Savastano ist der Boss des Clans, der hier herrscht, seit über 20 Jahren schon. Der Glatzkopf Ciro ist sein bester Mann - auch wenn er nicht sein eigener Sohn ist, so ist er doch loyal wie ein Mitglied der eigenen Familie. Doch Don Pietro hat mehrere Probleme: Zum einen will der konkurrierende Conte- Clan ihm Gebiete und Geschäfte abspenstig machen: Gleich in der ersten Folge werden mehrere Männer von Don Pietros Gang in einer Bar erschossen, obendrein fliegen noch ein paar Handgranaten hinterher. Pietro sinnt auf Rache: In einer Fabrik stellen seine Jungs einige Killer des Conte-Clans, Pietros bester Mann Ciro überlebt:
"Ich dachte, es ist besser, wenn ich Ihnen alles gleich berichte, Don Pietro. Erzähl. Attilio ist tot, Cento Capelli auch. Risca und Africano auch. Und die Schlange...? Haben wir nicht erwischt. Ich weiß nicht mal, ob er auch da war. Er war da, er war da! Aber seine Männer sind auch alle tot, es ist keiner mehr übrig. Dann habt ihr es gut gemacht! Conte wird die Sache nicht vergessen. Der überlegt sich in Zukunft wie er sich benimmt."
"Gomorrah" liegt nicht direkt das Buch von Roberto Saviano zugrunde, Saviano hat für das Drehbuch der Serie die Geschichte um den Savastano-Clan erfunden, und doch ist sie ganz nahe dran an der Realität, einige Figuren existierten wirklich. "Gomorrah" ist kein weichgespülter-Mittelschichtskrimi wie vieles im deutschen Fernsehen - hier geht es hart, brutal und düster zu. Viele Szenen spielen bei Nacht – die vorherrschenden Farben sind Grau, Blau und Braun – und immer mal wieder liegt ein Konkurrent in seiner eigenen Blutlache.
Die drängendste Frage: Wer wird der Nachfolger?
Doch neben der Beseitigung von Konkurrenten und Verrätern ist Don Pietros noch drängenderes Problem: Wer wird sein Nachfolger? Sein dicklicher Sohn Genny ist ein Loser, der nicht viel macht außer essen, fernsehen und Frauen aufreißen. Bislang hat er noch nie jemanden getötet. In der Welt der Mafia ist das ein Manko. Don Pietro beauftragt Ciro damit, Gennys ersten Mord zu organisieren.
"Ciro, ich weiß was die von ihm halten. Dass er nicht gut genug ist, und das stimmt. Er braucht mehr Zeit, irgendwann ist er soweit, aber jetzt noch nicht, wer weiß, ob wir die Zeit haben. Aber eine Sache muss er jetzt machen, sonst könnte er der Sohn Gottes sein, und meinen Platz nicht einnehmen. Verstehe, Don Pietro, aber warum gerade ich? Na, weil du Genny magst. Aber ist es der richtige Moment? Womit hast du ein Problem? Sie haben mich falsch verstanden, für mich ist es eine Ehre. Gut – dann sei doch zufrieden."
In der dramatischen Szene, die sich dann ereignet, bettelt das potentielle Opfer, ein Junkie um sein Leben, während Genny es gerade einmal schafft, einen einzigen Schuss abzugeben, doch der ist nicht tödlich, Ciro bringt den Junkie schließlich um:
"Erschieß ihn... erschieß den Kerl... (Geschrei) ich habe nix gemacht, Hilfe... Na mach schon, schieß! (Schuss) Du musst es zu Ende bringen, brings zu Ende, mach ihn alle.... nun mach schon... Hör auf bitte lass das....(Schüsse)"
Ciro deckt Genny, in dem er behauptet, Genny habe den Junkie umgebracht. Doch Don Pietro ahnt, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Pietro prüft die Loyalität von Ciro, in dem er ihn zwingt, ein Glas Urin zu trinken.
"Nimm... trink das, alles. Zeig mir, dass ich auf dich bauen kann, zeig mir, ob du nur einer bist, der Scheiße erzählt, oder ob ich dir meinen Sohn und unsere Geschäfte in Zukunft anvertrauen kann."
Diese Szene ist so ekelhaft in ihrer Herablassung und Härte – das hat man bislang noch in keinem Mafia-Film gesehen. Manche Szenen mögen zu reißerisch sein, auch stellt sich die Frage nach dem neuen Akzent, den die Serie setzen will. "Scarface", "Der Pate", "Die Sopranos" – kennt man das nicht schon alles?
Man muss nicht immer auf die Amerikaner warten
Ja – einerseits. Andererseits ist die Zeichnung des Mafia-Bosses und seiner Ergebenen eine noch sehr viel härtere: Die Figuren in "Gomorrah" sind kühl agierende Großstadt-Killer, die einzig und allein Geld und Macht interessiert. Die Konsequenz, dass jeder, der sich mit der Mafia abgibt, irgendwann in ihr umkommt, wird in dieser Serie auf die Spitze getrieben. "Menschen sind Würmer und Würmer sollen sie bleiben", zitiert Saviano in seinem Buch einen Mafia-Killer am Telefon.
Mit "Gomorrah" beweist das europäische Fernsehen, dass man nicht immer auf die Amerikaner warten muss, um eine Geschichte glaubhaft umzusetzen. Es ist allerdings kein Zufall, dass diese Serie ausgerechnet vom italienischen Bezahlfernsehen Sky produziert wurde – im quotenfixierten frei empfangbaren Fernsehen wäre manchem Redakteur die Mafia-Story womöglich zu dunkel, düster und bedrohlich gewesen. Doch so feiert die Serie international Erfolge – mit viel Beifall wurde "Gomorrah" vor einigen Monaten beim Münchener Filmfest vorgestellt – und der amerikanische Produzent Harvey Weinstein hat die Serie bereits für den US-Markt eingekauft.
So erzählt "Gomorrah" vielleicht keine neue Geschichte, jedoch ist den Machern hoch anzurechnen, dass sie tief ins Milieu eintauchen und dabei niemanden schonen – weder ihre Figuren, noch den Zuschauer. Das allein ist schon sehenswert.
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