Mindestlohn

"Eine richtige Erfolgsgeschichte"

Der Ökonom Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung
Taugt sogar zur Reduzierung von Schwarzarbeit: der Wirtschaftsweise Peter Bofinger ist ein erklärter Freund des Mindestlohns © picture alliance / Erwin Elsner
Peter Bofinger im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 27.02.2015
Vor zwei Monaten wurde in Deutschland der Mindestlohn eingeführt, begleitet von viel Kritik und Unkenrufen. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger zieht eine erste Bilanz, die durchweg positiv ausfällt.
Der Würzburger Ökonom und "Wirtschaftsweise" Peter Bofinger sieht zwei Monate nach Einführung des Mindestlohns keinerlei negative Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation.
Seriöse Institute hätten vorausgesagt, dass die Arbeitslosigkeit durch den Mindestlohn um eine Million ansteigen würde, so Bofinger. Stattdessen sei die Arbeitslosigkeit um 100.000 zurückgegangen und die Beschäftigung um 370.000 gestiegen. "Also, ich würde sagen, das ist eine richtige Erfolgsgeschichte", betont der Wirtschaftswissenschaftler, der seit 2004 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist.
Auch in Branchen, wo man erwartet habe, dass die Einführung des Mindestlohns Schwierigkeiten bereiten würde, sehe man "eigentlich relativ wenig Probleme", sagt Bofinger. So gingen sowohl in der Gastronomie als auch im Friseurgewerbe die Arbeitslosigkeit zurück. Lediglich bei den Taxifahrern sei die Zahl der Arbeitssuchenden leicht gestiegen. Aber auch das sei "kein nennenswertes Problem".

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: 8,50 Euro – seit Anfang des Jahres gibt es den Mindestlohn in Deutschland, und wir sind damit eines der letzten Länder in der EU, die eine gesetzliche Grenze eingezogen haben. Dass das so lange gedauert hat, hat viele Gründe. Die Gewerkschaften haben da jahrelang auch ihren Teil gespielt, weil sie lange dachten, ohne den Staat mehr herauszuholen an Lohn und Gehalt.
Wenn in Deutschland so etwas beschlossen wird wie der Mindestlohn, dann natürlich nicht, ohne eine begleitende Kommission einzurichten, die Mindestlohnkommission. Sie tagt heute zum ersten Mal. Und da gibt es schon Themen, Kritik von links einerseits: Zu viele Unternehmen schummeln sich um die 8,50 Euro noch herum. Kritik auf der anderen Seite von der Unternehmerseite: zu viel Bürokratie. Ist das alles nur das übliche Geplänkel der Interessengruppen, oder müssen wir schon mal kritisch auf diesen Mindestlohn schauen? Am Telefon ist Peter Bofinger, er ist einer der fünf Wirtschaftsweisen. Einen schönen guten Morgen!
Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Wie zufrieden sind Sie denn mit dem Mindestlohn?
Bofinger: Ja, ich würde sagen, es ist eine Erfolgsgeschichte. Man muss ja mal sehen, was von vielen Seiten an Horrorszenarien gemalt worden ist für die Einführung des Mindestlohns. Seriöse Institute haben vorhergesagt, dass die Arbeitslosigkeit um eine Million ansteigen wird. Und jetzt haben wir den Mindestlohn seit zwei Monaten. Wir sehen, die Arbeitslosigkeit ist um über 100.000 Menschen geringer als vor einem, und die Beschäftigung ist um 370.000 Menschen gestiegen. Also ich würde sagen, das ist eine richtige Erfolgsgeschichte.
Horrorszenarien haben sich nicht bewahrheitet
Frenzel: Das seriöse, das Institut, das Sie da ansprechen, ist das Ifo-Institut, das diese Million ins Spiel gebracht hat. Jetzt könnte man natürlich sagen, okay, die Konjunktur ist so gut, dass wir zusätzliche Arbeitsplätze haben, aber wir hätten sogar noch mehr gehabt ohne den Mindestlohn.
Bofinger: Das kann man immer sagen. Aber die Konjunktur ist jetzt auch nicht so fulminant, also das Wirtschaftswachstum bewegt sich etwa im Rahmen dessen, was auch mittelfristig das Wachstumspotenzial für Deutschland ist. Und von daher denke ich, war das schon ein Horrorszenario, das aufgemalt worden ist, das sich einfach nicht realisiert hat.
Frenzel: Nun sind zwei Monate natürlich noch keine lange Zeit. Wir müssen da also noch mal schauen, wie es weitergeht. Gibt es denn Jobs, gibt es Bereiche, wo durch den Mindestlohn wirklich Arbeit verloren geht?
Bofinger: Zunächst mal ist es ja auch noch so, dass gerade das Ifo-Institut für das ganze Jahr 2015 ja auch davon ausgeht, dass die Arbeitslosigkeit weiter zurückgeht. Das heißt also, wir haben zwar erst zwei Monate, aber es gibt keine seriöse Institution, die jetzt für dieses Jahr einen Anstieg der Arbeitslosigkeit vorhersagt. Wir sehen eigentlich relativ wenige Probleme, gerade wenn wir auch die Bereiche ansehen, wo man erwartet hat, dass der Mindestlohn Schwierigkeiten macht. Nehmen Sie das Friseurgewerbe: Arbeitslosigkeit geht zurück; Gastronomie: Arbeitslosigkeit geht zurück. Ein bisschen weniger Dynamik am Arbeitsmarkt sieht man bei den Taxifahrern, da ist der Rückgang nicht ganz so stark, die Zahl der Arbeitssuchenden ganz leicht gestiegen. Aber ich würde sagen, auch das ist, glaube ich, kein nennenswertes Problem.
Drei Prozent mehr Mindestlohn ab 2017?
Frenzel: Aber dann können wir den Spieß ja umdrehen. Offenbar ist der Mindestlohn dann nicht hoch genug, wenn er eigentlich gar nicht dazu führt, dass dieser berühmte Niedriglohnsektor, den wir alle beklagt haben, dass der gar nicht schrumpft?
Bofinger: Na ja, das ist ja nun genau Aufgabe der Mindestlohnkommission, dass zu evaluieren, mal zu sehen, wie das wirkt, und dann gegebenenfalls auch den Mindestlohn zu erhöhen. Ich glaube, es ist sehr gut, dass man da vorsichtig vorgeht, so ganz genau weiß man das ja nicht. Aber es ist klar, wenn jetzt die Arbeitsmarktlage ordentlich ist, dann steht nichts der Tatsache entgegen, dass ab 2017, wo der Mindestlohn das erste Mal erhöht werden kann, das auch entsprechend angepasst wird.
Frenzel: Was glauben Sie, wie hoch müsste er sein?
Bofinger: Sagen wir mal, wenn sich das jetzt so manifestiert, wie sich das bisher abzeichnet, denke ich, kann der Mindestlohn in etwa dann auch angehoben werden mit allgemeinen Lohnentwicklungen, also rund drei Prozent pro Jahr dann nach oben angepasst werden.
Frenzel: Ich gehe mal in eine andere Analyse noch und versuche herauszufinden, warum dieser Mindestlohn dann offenbar keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hatte. Es gibt ja Berichte, dass viele Unternehmen in diesem Niedriglohnbereich mit Tricks und Tricksereien darum herumkommen. Ist diese Kritik berechtigt?
"Tendenziell weniger Schwarzarbeit durch den Mindestlohn"
Bofinger: Es ist ganz klar, dass natürlich Unternehmen versuchen werden, da Spielräume zu nutzen und mit der Arbeitszeit zu variieren. Aber ich glaube, es ist eher umgekehrt. Ich glaube, der Mindestlohn ist eigentlich ein Programm, das auch dazu führt, dass Schwarzarbeit in legale, in "weiße" Arbeit transformiert wird. Denn vor dem Mindestlohn war es natürlich in manchen Bereichen – ich denke auch gerade an die Taxifahrer – vielleicht gar nicht unattraktiv, zu sagen, du kriegst sechs Euro die Stunde offiziell ausbezahlt, und die Differenz, die legen wir einfach oben drauf, und die kriegst du schwarz. Und jetzt ist da eben der Zwang für den Arbeitgeber, zumindest einmal die 8,50 Euro ordentlich auszubezahlen. Das heißt, wir werden also durch den Mindestlohn tendenziell weniger Schwarzarbeit haben als bisher.
Frenzel: Der Mindestlohn, das sagen jetzt wiederum die Unternehmer, hat ein Problem mit sich gebracht, nämlich eine gewisse Bürokratie. Die Dokumentationspflicht ist da so ein Stichwort. Seit dem ersten Januar müssen Unternehmen die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten ganz genau aufschreiben. Ist das zu viel an Bürokratie?
Bofinger: Na ja, also, ich meine, zunächst mal, in den meisten Unternehmen gibt es ja wahrscheinlich moderne Arbeitszeiterfassungssysteme, also ich denke, das ist ja vielleicht doch auch Standard. Wo das nicht der Fall ist, kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es besonders schwierig ist, dass der Arbeitnehmer, wenn er morgens die Arbeit anfängt, auf eine Kladde aufschreibt, wann er anfängt, und auf die Kladde wieder aufschreibt, wenn er Pausen macht und wenn er wieder aufhört. Also ich denke, das müsste eigentlich auch relativ einfach verkraftbar sein.
Mindestlohn-Kommission eine "sehr sinnvolle Lösung"
Frenzel: Wenn wir noch mal auf diese Kommission schauen: Ich hab in den Nachrichten bei uns gelernt, da sind also sieben Leute drin, drei von der Arbeitgeberseite, drei von der Arbeitnehmerseite, den Vorsitz hat Henning Voscherau, der ehemalige Bürgermeister von Hamburg. Tja, da könnte man denken, der ist Sozialdemokrat, aber irgendwie hat er ja auch ein Wirtschaftsherz. Also diese Kommission spiegelt ja eigentlich all diese Widersprüche wieder. Glauben Sie denn, dass die wirklich arbeitsfähig sein wird, dass die zu gemeinsamen Ergebnissen kommen kann?
Bofinger: Ich glaube, das ist eine gute Lösung. Da gibt es ja auch Erfahrungen dazu, das ist ja das Modell von Großbritannien, die haben schon sehr lange eine solche Kommission. Und die Idee ist ja sehr gut, dass man sagt, der Mindestlohn soll aus der allgemeinen Politik herausgenommen werden, dass wir also jetzt nicht eine Situation haben, wo die eine Partei sagt, wenn wir gewählt werden, gibt es neun Euro, und die andere Partei sagt, bei uns gibt es zehn Euro. Sondern die Bestimmung des Mindestlohns ist jetzt eigentlich da, wo sie auch hingehört, nämlich in den Händen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und ich denke, das ist eine sehr sinnvolle Lösung, die da gefunden worden ist.
Frenzel: Zwei Monate Mindestlohn. Für den Wirtschaftsweisen Peter Bofinger also ein Erfolg. Für uns ein interessantes Gespräch. Danke schön, Herr Bofinger!
Bofinger: Ja, gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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