Milliarden Dollar versinken im Meer

Von Martin Burkert · 05.05.2010
Es ist das erste Theaterstück des 46-jährigen Stephan Kaluza. Der in Düsseldorf lebende bildende Künstler hat sich in den letzten Jahren durch Fotoarbeiten einen Namen gemacht mit seinem Konzept der Totalisierung.
Dabei fotografierte er 20 Jahre nach der Wende im "Mauerprojekt" lückenlos die heutigen Ansichten am einstigen Lauf der Berliner Mauer. Gleiches tat er seinem "Rheinprojekt". Es zeigt in 21.449 Aufnahmen den Rhein von der Quelle bis zur Mündung. Auch dieses erste Theaterstück "Atlantic Zero" hat einen Totalitätsanspruch. Es will den globalen Kapitalismus an seiner höchsten Spitze erfassen, bei den Allerreichsten.

Im Mittelpunkt steht ein Duell zwischen einem Milliardär und seinem Kidnapper. Der Milliardär Meisner ist entführt worden und findet sich in einem ausbruchsicheren Keller wieder. Sein Bewacher - oder wie er sich selbst nennt: Betreuer - Ronaldo weiß offenbar alles von dem reichen Mann, dass er Linkshänder ist, mehrere Geliebte hat und gerne Croix de Beouf isst.

Die Lösegeldforderung ist kolossal: Zehn Milliarden Dollar in bar. Diese Summe wollen die Entführer nicht in die eigene Tasche schaufeln, sondern in einer spektakulären Kunstaktion ins Meer werfen. Mehr noch. Bei "Atlantic Zero" sollen nicht nur besagte zehn Milliarden versenkt werden, sondern insgesamt 300 Milliarden. In anderen Kellern sind weitere 29 superreiche Entführte, die alle zehn Milliarden zusteuern sollen.

Als Motiv nennt Ronaldo: "Wir wollen dieses Geld vernichten, um der Welt zu zeigen, dass diese unheimliche Macht des Kapitals in Wirklichkeit physisch ist, transparent und damit auch zerstörbar". "Sie sind ein Spinner! Das ist alles Scheiße", antwortet der wütende Milliardär und versucht Ronaldo auf seine Seite zu ziehen. "Ich gebe Ihnen drei Millionen und wir vergessen das alles hier." Oder. "Was könnte man alles Gute tun mit diesem Geld." Doch Ronaldo lässt sich nicht umstimmen. Es entspinnt sich ein Dialog zwischen Entführer und Entführtem über Gut und Böse, Haben und Sein, Moral und Macht. Diese Debatte ist knapp gehalten und reißt trotzdem wesentliche Probleme des modernen Kapitalismus an. Die Reichen müssen sich immer weiter abschotten, riesige Mengen Geldes dienen nur noch als Zockermaterial und werden dem Arbeit-schaffenden Kreislauf entzogen.

Regisseur Christian Doll inszeniert das Stück wie eine Art Versuchslabor auf einer Spielfläche zwischen den Zuschauern. Das Publikum sitzt an allen vier Seiten, wie am Boxring. Einziges Möbelstück ist ein großer Tisch. Guntram Brattia als Ronaldo und Pierre Siegenthaler als Meisner liefern sich einen brillanten Schlagabtausch. Mit hohem Einsatz pendeln sie zwischen Höflichkeit und Anblaffen, Verlockungen und surrealen Ausbrüchen. Der Autor hat die beiden sprachlich geschickt voneinander abgesetzt. Der Milliardär flucht häufig und ruppig, während sein Bewacher die Höflichkeit in Person ist.

Daneben gibt es eine zweite, eher irreale Traum- oder Kunstebene. Hier werden Ängste und Hoffnungen durchgespielt, etwa dass der Milliardär unspektakulär erschossen oder von filmreifen Helden gerettet wird. Man ahnt, wie seine Kollegen im Firmenvorstand geschäftsmäßig die Frage von Geld behalten oder Tod des Chefs abwägen. Diese zweite Ebene hat in dieser Inszenierung Züge einer Horror-Show. Es gibt ein vampirartig auftretendes Pärchen, weiß geschminkt und in schwarzer Rokoko-Kleidung. Als Kellner, ehemalige Geliebte oder Blut-sabbernde Manager repräsentieren sie bissige Figuren. Sie geben dem Abend ihre augenzwinkernde Note. Trotzdem bleibt der Ernst der fiktiven Versuchsanordnung um Geld und Sinnstiftung erhalten und gleitet nicht in den Klamauk ab.

"Atlantic Zero" ist ein Assoziationen auslösendes Kunstwerk, bei dem man sich lebhaft und innerlich gespalten vorstellen darf, wie ein Reichtum von 300 Milliarden Dollar in Hunderter-Scheinen aufs Meer herunterrieselt und dort in tiefste Tiefen versinkt.