Mikroapartments

20 Quadratmeter für 600 Euro

Mikroapartments in der Köpenicker Straße in Berlin.
Mikroapartments in der Köpenicker Straße in Berlin © Deutschlandradio / Pia Rauschenberger
Von Pia Rauschenberger · 12.11.2018
Angesichts des Wohnungsmangels in Ballungsräumen leben immer mehr Menschen in sogenannten Mikroapartments. Vor allem aber sind diese Wohnungen Anlageobjekte. Und sie verändern Stadtbild und Stadtleben - nicht unbedingt zum Besseren.
In Berlin-Mitte in der Köpenicker Straße steht The Fizz. Draußen: eine Reihe von Fenstern mit den gleichen hellgrünen Vorhängen. In der Eingangshalle: verwaiste Sitzgelegenheiten, ein künstliches Kaminfeuer und Getränkeautomaten, die auf ihren Einsatz warten. Es wirkt nicht besonders belebt, aber hier wohnen Menschen. Vor allem Studierende wie Sarah Böker.
"Dass Sie das sofort gefunden haben, also, viele haben da Probleme. Genau, das ist es schon."
Die Anfang 20-Jährige mit blonden langen Haaren mietet eins von rund 200 Mikroapartments in diesem Gebäude.
"Joa ist klein, aber fein, ne."
"Und wie viele Quadratmeter sind das genau jetzt?"
"Um die 21, also inklusive Bad."
"Ja gut, die Dusche ist gar nicht so klein, dafür, dass das Badezimmer so klein ist."
"Nee, das stimmt. Das ist echt auch gut, wie soll ich sagen, gut aufgebaut oder gut integriert. Dass das irgendwie so passt. Also, das Bad war mir noch nie zu klein, muss ich sagen."
"Und sonst?"
"Die Küche, die finde ich tatsächlich zu klein."
Mikroapartments werden in Berlin und anderen großen Städten gerade in Baulücke um Baulücke gebaut. Ob nun an Autobahnen oder Bahngleisen. Was zählt, ist der Wohnraum, der schnell und unkompliziert verfügbar ist. Hier zieht es vor allem junge Menschen Mitte zwanzig hin, die es nicht stört, auf wenigen Quadratmetern mit einer vorgefertigten Einrichtung zu leben, die in dunklen Grautönen gehalten ist.
Die Studentin Sarah Böker in ihrem Mikroapartment
Die Studentin Sarah Böker in ihrem Mikroapartment© Deutschlandradio / Pia Rauschenberger

"Auf jeden Fall teuer, hier zu wohnen"

In Berlin kostet ein Mikroapartments mit 20 Quadratmetern etwa 620 Euro. Einbegriffen sind zum Beispiel Reparaturen und die Nutzung von Gemeinschaftsräumen.
"Es ist auf jeden Fall teuer, hier zu wohnen, klar, vor allem für zwanzig Quadratmeter. Aber es ist nicht so, als würde ich nicht ständig gucken, wie es denn woanders ist. Und in der Lage, also so Fahrradlänge zur Uni, man findet einfach nichts, was jetzt großartig viel günstiger wäre. Das ist wirklich blöd."
Sarah Böker arbeitet als studentische Hilfskraft für The Fizz. Mit ihrem Gehalt schafft sie nur einen Teil ihrer Miete zu bezahlen. Die steigt von Jahr zu Jahr um zwanzig Euro. In einigen Mikroapartments gelten die Verträge nur für zwei Jahre. Menschen sollen hier nicht häuslich werden.

Oft noch die günstigste Form des Wohnens

"Zum ersten: Die Gesellschaft verändert sich."
Markus Appenzeller ist Architekt und Stadtplaner, der weltweit baut und plant, auch Mikroapartements. Er sieht, dass es einen Bedarf für kleinere Wohnung gibt, weil immer mehr Singles in die Städte ziehen und dort schnell Wohnungen suchen und nicht immer lange bleiben wollen. Außerdem seien Mikroapartments oft noch die günstigste Form des Wohnens.
"Was wir sehen: eigentlich in allen Ländern, in denen wir arbeiten, gibt es da einfach eine große Nachfrage für diese Mikroapartements."
Auch in Berlin werden gerade viele dieser Mikroapartments gebaut.
"Wir stehen hier vor der Gerichtsstraße 66. Hier wurden 333 Mikroapartments gebaut."
Paul Degenhardt und Julian Sommer setzen sich mit ihrer Initiative "Hände weg vom Wedding" gegen den Bau von Mikroapartments in ihrem Kiez ein.
"Ja, ich glaube, das Wichtige bei all diesen Objekten ist, dass damit in erster Linie ein Anlageobjekt geschaffen wird. Und in zweiter Linie können da auch noch Leute wohnen. Das ist aber tatsächlich in der ganzen Geschichte nur sekundär, weil es in erster Linie halt darum geht, da Rendite zu machen."

Familien brauchen anderen Wohnraum

Im Wedding gibt es sechs verschiedene Mikroapartment-Projekte. Die Kiez-Initiative kritisiert, dass die Investoren offensiv diese Mini-Wohnung als Anlageprojekte bewerben. Mit Sprüchen wie "Mein Sohn will zum Studieren nach Berlin, ich zum Investieren." Oder: "Wohnwert trifft Mehrwert."
"Und das Problem ist, dass Leute sich da irgendwie vormachen, dass Geld für sie arbeitet, aber letztendlich wohnen hier halt Leute, die zwei oder drei Jobs aufnehmen, damit sie halt überhaupt wohnen können. Die finden in der Gegend sonst gar keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Deswegen ist das dann hier die Option. Und klar, es wird Wohnraum geschaffen, aber das ist halt überhaupt nicht der Wohnraum, der hier benötigt wird."
"Sondern?"
"Günstiger, leistbarer Wohnraum. Vor allen Dingen auch in verschiedenen Größen. Vor allem nicht möbliert. Wenn ich jetzt irgendwie als alleinstehende Mutter mit zwei Kindern Wohnraum suche, dann werde ich garantiert nicht in einen dieser neu entstehenden Mikroapartment-Komplexe reingehen, sondern dann brauche ich irgendwie eine Zwei- bis Drei-Zimmerwohnung, die bezahlbar ist."
Markus Appenzeller teilt diese Kritik: "Diese Mikroapartments sind nicht gedacht für Familien. Das heißt, die werden eigentlich aus der Innenstadt verdrängt und verschwinden aus dem Stadtbild. Leute zwischen 30 und 60 sind natürlich auch eine wichtige Gruppe in der Stadt, die das Ganze belebt. Wenn die dann auf einmal nicht mehr da sind, dann fehlt einfach etwas im Stadtbild und auch im städtischen Leben."

"Ein relativ investorenfreundliches Konzept"

Eine Stadt braucht auch Investitionen, sagt der Architekt und Stadtplaner. Aber er sieht eine Gefahr darin, wenn Wohnraum eher als Anlageobjekt gedacht wird. Mikroapartments sind Teil einer Verkleinerung des Wohnraums in der Stadt, der nicht nur am Bedarf der Mieterinnen und Mieter orientiert ist.
"Ja, die Mikroapartments sind ein relativ interessantes Investmentobjekt. Das Schöne an diesen kleinen Wohnungen ist: das ist wie bei Aktien. Wenn eine Aktie relativ billig ist, dann kann ich, wenn ich mehr Geld habe, relativ mehr davon kaufen. Wenn ich weniger Geld habe, dann kann ich mir immer noch ein oder zwei von diesen Wohnung leisten. So gesehen ist dieses Zerstückeln in kleinere Einheiten ein relativ investorenfreundliches Schema oder ein Konzept."
Appenzeller fordert die Städte auf, besser zu planen: Welche Art von Wohnung brauchen wir? Und wie viele davon? Dann sollten alle Neubauten auf dieses Leitbild hin überprüft werden. Nur so könne eine lebendige Stadtgesellschaft erhalten bleiben. Mikroapartments können Teil dieses Plans sein, aber sie sollten das Stadtbild nicht nach und nach dominieren.
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