Migration

Niemand geht frohen Herzens

Blick auf das Stadtzentrum von Paris, 2008
Die Ausstellung "Répères" will die Geschichte der Einwanderung bekannter machen. © picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch
Von Martina Zimmermann · 17.09.2014
Auch sieben Jahre nach der Eröffnung und einer soeben abgeschlossenen Renovierung wartet das Pariser Museum der Einwanderungsgeschichte noch auf seine offizielle Einweihung. Denn: Politikern ist das Thema zu heikel.
"In Mexiko gab es keine Jahreszeiten wie in Frankreich. Ich dachte auch an die Schriftsteller, Maler oder Sänger, die mir fehlten. Wir hörten in Mexiko mit dem Grammofon die Platten von Charles Trenet, Tino Rossi und auch von Maurice Chevalier."
Pierre Radvany, der Sohn von Anna Seghers, erzählt wie es ihn nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Exil in Mexiko wieder nach Paris gezogen hat. Neben der Filmaufnahme des Interviews, das die Besucher per Kopfhörer verfolgen können, liegt in einer Glasvitrine ein Exemplar von "Das siebte Kreuz". Anna Seghers hat diesen Anti-Naziroman im Exil in Frankreich geschrieben. Auch der Radiojournalist Alphonse Marie Toukas ist einer der Einwanderer, die ihre Geschichte erzählen:
"Ich bin mit über 50 endgültig von zuhause weggegangen, als 1993 während des Bürgerkriegs in Kongo mein Haus zerstört und ich selbst verfolgt wurde. Damals fiel meine Entscheidung: Wenn man mich hier will, sterbe ich in Frankreich."
Die Geschichte der Einwanderung wird mit Filmen und Tonaufnahmen erzählt, auf Karten und Originalfotos aus dem 19. Jahrhundert, sie können nun dank eines neuen Rahmensystems ausgehängt werden ohne dass eine Beschädigung zu befürchten ist. Viele neue Objekte von Spendern kamen hinzu, vom türkischen bunten Teppich bis zum Koffer eines Inders der 1972 mit Hab und Gut in Südwestfrankreich ankam: Rasiermesser und Kamm, ein Handtuch, ein indisches Götterbild, ein paar Seidenfäden von den Großeltern, die Weber waren. Getrocknete Blumen und Räucherstäbchen sowie ein Heft, in dem der Mann Vokabeln auf Französisch, Englisch und in tamilischer Schrift niederschrieb.
Die ständige Ausstellung mit dem Titel "Répères" - zu deutsch: Orientierungspunkte - wurde in den vergangenen zwei Jahren renoviert. Das Museum bekommt heute auch einen neuen Präsidenten, den Historiker Benjamin Stora:
"Wir zeigen Gesetze oder Dekrete des Staates zur Ausländerfrage, aber auch und vor allem die menschlichen und persönlichen Gegenstände. Aufenthaltsgenehmigungen und Papiere, aber auch Briefe und Tagebücher. Das Exil ist immer schwer, niemand geht frohen Herzens von Heimat und Familie weg. Diese Ausstellung zeigt die Geschichte einzelner Menschen. Mit Musik und mit Kostümen, zum Beispiel dem einer orientalischen Bauchtänzerin in einem Kabarett im Paris der 50er-Jahre. Viele wissen gar nicht, dass es bereits damals während des Algerienkriegs in Paris orientalische Cabarets gab."
Brisantes Thema
Das Museum wurde 2007 eröffnet, aber nie offiziell eingeweiht - so heiß ist das Thema Einwanderung unter den Politikern! Nun soll zu neuem Leben erblühen, hofft Benjamin Stora:
"Ich möchte die Geschichte der Einwanderung in Frankreich noch bekannter machen. Sie gehört zur Geschichte Frankreichs. Das Problem ist, dass wir einer schwierigen Zeit leben, in der Zurückweisung von Fremden und Angst vor dem Anderen Zuspruch finden. Die Erinnerung an diese Menschen wach zu halten, die seit dem 19. Jahrhundert nach Frankreich kamen ist eine kulturelle Aktion aber auch eine politische."
Der Spezialist des Maghreb und der Entkolonisierung gilt als Vertrauter von Präsident François Hollande. Benjamin Stora wurde in Constantine in Algerien geboren und kam mit seiner jüdischen Familie nach dem Unabhängigkeitskrieg nach Frankreich, mit den anderen Algerienfranzosen, einer Million sogenannter Pieds Noirs:
"Ich bringe meine eigene Geschichte mit ein, ich habe als Kind südlich des Mittelmeers im Orient gelebt. Damals lebten dort Juden und Muslime zusammen! Ich bringe auch mein Engagement als Bürger ein, ich engagiere mich seit den 1970er-Jahren für die Einwanderer und ihre Rechte. Ich bin auch weiterhin gegen Rassismus."
Er bringe natürlich auch seine wissenschaftlichen Arbeiten über das Maghreb, über die Kolonisierung und die Entkolonisierung mit ein ins neue Amt, sagt Benjamin Stora. Offiziell übernimmt er es mit der Wiedereröffnung am heutigen Dienstag.
Neu ist auch, dass Filme von berühmten Regisseuren ausländischer Herkunft noch einmal in voller Länge angeschaut werden können, zum Beispiel "Tage des Ruhms" von Rachid Bouchareb über die nordafrikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Porträts von jungen Schwarzen, Asiatinnen, Mischlingskindern, Weißen, Menschen aller Hautfarben, die das heutige Frankreich ausmachen, runden die Ausstellung ab.
"Ich mag Fremde sehr gern, ich war lange Zeit selbst Ausländer."
Am Schluss steht dieses Zitat von René Goscinny, der gemeinsam mit Albert Uderzo die Comicfiguren Asterix und Obelix erfunden hat. Texter Goscinny stammt aus einer Familie polnischer Juden, Uderzo ist italienischer Herkunft.