Miegel: Die nächste Krise wird noch schlimmer

Meinhard Miegel im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 16.06.2009
Nach Einschätzung des Wirtschaftsexperten Meinhard Miegel ist nach der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise ein noch schlimmerer Einbruch in der Weltwirtschaft zu befürchten. Bei der nächsten Krise könnten auch Staaten "ins Trudeln kommen", sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Denkwerk Zukunft.
Birgit Kolkmann: Milliardenpleiten am laufenden Band - und die Regierungen des Westens rennen atemlos mit Hilfspaketen hinterher und mit Geld auf Pump. Das Wachstum soll angekurbelt werden als Mittel, um mit Vollgas aus der Krise zu kommen. Wenige Monate vor der Bundestagswahl ist das auch das Credo des CDU-Wirtschaftsrats, der heute bei seiner hochkarätig und mit Kanzlerin besetzten Jahrestagung auf Markt und Wachstum als Allheilmittel setzt. "Ganz falsch", mahnt Meinhard Miegel, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Denkwerk Zukunft. Herr Miegel, steuern wir mit diesem Krisenmanagement im Formel-1-Tempo in die nächste, noch schlimmere Katastrophe?

Meinhard Miegel: Das ist zu befürchten. Die Mittel, die weltweit aufgebracht werden – Sie haben das eben angedeutet -, sind ja gigantisch und es ist vollkommen unklar, wie das, was da ausgegeben wird, auch wieder mal eingefangen werden kann. Die Aufwendungen, die sind jetzt gemacht worden oder werden in den nächsten Monaten gemacht, und das Problem ist, dass in der Krise zu Beginn dieses Jahrzehnts die Unternehmen ins Taumeln gekommen sind – jedenfalls viele große -, diesmal sind Banken und Unternehmen in die Krise geraten und es ist zu befürchten, dass aufgrund der Politik, die gegenwärtig gemacht wird, in der nächsten Runde dann Unternehmen, Banken und Staaten ins Trudeln kommen.

Kolkmann: Das klingt nach einer Megakrise, wie es neudeutsch heißt. Was könnte man dagegensetzen? Welche Alternativen gibt es?

Miegel: Die Reaktion auf die Krise ist zu heftig. Man ist davon ausgegangen, dass ein gewaltiger Kollaps unmittelbar bevorstehe. Das war nie meine Auffassung und ich glaube, mittlerweile setzt sich auch die Vorstellung durch, dass es außerordentlich gefährlich ist, in solchen Situationen überzureagieren. Das ist das Problem von den meisten Paddelbootfahrern: Wenn da eine Welle kommt und sie wackeln, dann versuchen sie, darauf zu reagieren, und in der Regel fallen sie deshalb um, weil sie zu heftig reagiert haben, und das zeichnet sich gegenwärtig auch wieder ab. Man hätte das sehr viel gelassener machen können und machen müssen, als dies geschehen ist. Deutschland ist da ja gar nicht einmal der Hauptsünder; hier hat man noch versucht, die Dinge einigermaßen unter Kontrolle zu behalten. Aber wenn ich mir anschaue, was beispielsweise in den USA geschieht, dann ist das schon beängstigend.

Das andere, was geschehen müsste, ist, dass man die Bevölkerung an die Vorstellung gewöhnt, dass es nicht immerfort aufwärts gehen kann, dass es keine Katastrophe ist, wenn die Wirtschaft einmal für ein Jahr stagniert oder auch um fünf, sechs, oder im extremsten Fall um sieben Punkte zurückgeht. Vor dem Hintergrund des erreichten Wohlstands ist das kein Drama, das muss eine Volkswirtschaft überwinden können.

Kolkmann: Trotzdem wird gepredigt, es geht nur weiter und wieder besser mit Wachstum. Ist denn Wachstum inzwischen unsere Ersatzreligion geworden?

Miegel: Das ist ganz sicherlich so, jetzt nicht in der allerneuesten Zeit, da kann man schon Jahrzehnte zurückgehen, vielleicht sogar seit Beginn der Industrialisierung ist Wachstum so etwas wie eine Religion. Wir versuchen alle unsere Probleme über – und das ist ganz wichtig – materielles Wachstum zu lösen. Wachstum an sich ist ja nichts Schlechtes, sondern ganz im Gegenteil: Alles Leben versucht zu expandieren, auch der Mensch versucht zu expandieren. Nur geht das nicht, indem man ständig Materielles beansprucht. Wenn man beispielsweise sagt, wir brauchen eine bessere Bildung, dann ist das wunderbar, dann ist das großartig, aber wenn man im gleichen Atemzug sagt, dann brauchen wir aber auch mehr Geld für die Bildung, das heißt, dann brauchen wir wieder mehr materielles Wachstum, dann geht die Formel nicht auf.

Kolkmann: Die Grenzen des Wachstums wurden ja schon vor 30 Jahren im Bericht des Club of Rome beschworen. Das ist schon eine ganz lange Zeit. Warum lernt die Gesellschaft nicht? Warum dauert das so lange?

Miegel: Weil es ihr bisher nicht auf den Nägeln gebrannt hat. Es ging ja scheinbar weiter. Dass in den zurückliegenden 30 Jahren die Dinge schlimmer geworden sind, das ist weitgehend übersehen worden, obwohl man mittlerweile schon merkt, dass es da Probleme gibt: die Belastung der Luft, Belastung des Wassers, der Böden, die Knappheit der Ressourcen. Das ist heute alles sehr viel aktueller und drückender als es vor 30 Jahren war. Stellen wir uns doch einmal vor, es würde jetzt in den nächsten Monaten ein kräftiger wirtschaftlicher Aufschwung beginnen, dann würden wir sofort merken, wie die Rohstoffpreise explodieren, wir würden kurze Zeit später eine gewaltige Umweltdiskussion bekommen. Das heißt, der Aufschwung, den ja viele erhoffen, würde sich sehr schnell wieder festfressen, weil wir die Rahmenbedingungen überhaupt nicht mehr dafür haben.

Kolkmann: Wie erklären Sie sich, dass die Parteien - auch jetzt gerade vor der Bundestagswahl - wieder einzig und allein auf den Wachstumsbegriff setzen?

Miegel: Sie haben nichts anderes gelernt. Sie haben über Jahrzehnte hinweg immer gesagt, ihr müsst nur X, Y oder Z wählen und ihr werdet Wirtschaftswachstum haben, und Wirtschaftswachstum ist gleich Arbeitsplätze und menschliches Glück und so weiter und so weiter. Es ist ja sehr schwierig, Menschen, die so geprägt sind, von einem Tag auf den anderen oder meinetwegen auch über eine Periode von einer halben Generation zu einem anderen Denken zu bringen. Das ist fixiertes Denken und deswegen setzen die Parteien und auch andere gesellschaftliche Institutionen dieses alte Denken, so lange es irgend geht, fort.

Kolkmann: Glaubt man jetzt, dass Meinhard Miegel vielleicht schon ein Grüner sein könnte?

Miegel: Das vermag ich alles gar nicht zu beurteilen und ich möchte auch diese Überlegung, diese Gedanken gar nicht parteipolitisch zuordnen, denn das, was mich und viele andere bewegt, das ist nicht schwarz, nicht gelb, nicht grün, nicht rot, sondern es geht ganz einfach um die Tatsache, dass wir dieses Modell von Entwicklung, von Expansion im Materiellen aus vielerlei ganz objektiven Gründen nicht durchhalten können, und die Frage ist, wie können wir Wohlstand anders, wie können wir Wohlstand umfassender definieren, als wir das bislang getan haben.

Kolkmann: Sehr problematisch ein solcher Mentalitätswechsel, vor allen Dingen problematisch im Hinblick darauf, wie schnell er passieren kann. Sind Sie pessimistisch oder optimistisch angesichts dieser Krise?

Miegel: Es sind zwei Krisen voneinander zu unterscheiden. Das eine ist das, was wir gegenwärtig haben, dieser ganze Bereich von Finanzen und Engpässen bei der Finanzierung von Unternehmen und all das, was gegenwärtig im Mittelpunkt der Diskussionen steht. Diese Krise wird überwunden werden. Das wird etwas dauern, aber ich bin sehr sicher, dass wir in zwei, drei Jahren aus dieser Geschichte heraus sein werden. Aber dahinter tickt eine viel umfassendere und viel problematischere Krise, und das ist die, die ich eben angedeutet habe, nämlich die Krise, dass das alte Modell nicht mehr funktioniert, dass wir also nicht in fünf, zehn oder 20 Jahren noch sagen können, wir lösen unsere Probleme durch das alte tradierte materielle Wachstum, sondern dass wir dann ganz andere Formen des Wohlstands benötigen, wenn wir eine funktionierende Gesellschaft, wenn wir zufriedene Menschen haben wollen.

Kolkmann: Über die Grenzen des Wachstums war das Meinhard Miegel, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Denkwerk Zukunft. Danke Ihnen für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.

Miegel: Ebenfalls. Vielen Dank!