Mickaël Launay: "Die Regenschirm-Formel"

Die Welt infrage stellen

06:13 Minuten
Das Cover des Buches "Die Regenschirm-Formel" auf sonnigem Aquarellgrund.
Öfter mal die Perspektive wechseln, empfiehlt Mickaël Launay. © C. H. Beck / Deutschlandradio
Von Gerrit Stratmann · 16.12.2020
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Der französische Mathematiker Mickaël Launay wurde mit "Der große Roman der Mathematik" weltberühmt. Auch sein neues Buch ist eine Hommage an die Welt der Logik und Zahlen - und eine direkte Aufforderung an uns, öfter mal die Perspektive zu wechseln.
Im Untertitel seines neuen Buches "Die Regenschirm-Formel" verspricht Mickaël Launay, er wolle die Welt mit klarem Verstand betrachten. Doch dann schreibt er solche Sachen wie: Die Planeten laufen nicht auf ellipsenförmigen Bahnen um die Sonne, sondern folgen einer gerade Linie. Außerdem will der Mathematiker uns weismachen: Wir alle bewegen uns mit Lichtgeschwindigkeit!

Ist der Kerl verrückt?

Ist der Kerl verrückt geworden? Nein, es ist alles eine Frage der Perspektive, so der 35-jährige französische Mathematiker. Mickaël Launay ist bekannt für seine schrägen Ideen. Er wertet Preisschilder im Supermarkt aus und entdeckt dabei etwa, dass die Ziffern nicht gleichmäßig oft auftauchen, sondern die "1" mit etwa 30 Prozent am häufigsten vorkommt – und das nicht nur im Supermarkt!
Ebenso kommt er zu dem Schluss, dass der Mount Everest nicht der höchste Berg der Welt ist. Der in Ecuador stehende Chimborazo ist höher. Klettern die Extrem-Bergsteiger also alle den falschen Hang hinauf?

Alles eine Frage der Perspektive

Nun ja, auch das ist eben eine Frage der Perspektive. Denn vom Meeresspiegel aus betrachtet, mag der Mount Everest der höchste Berg sein. Aber vom Erdmittelpunkt aus gemessen ist der Weg zum Gipfel des Chimborazo zwei Kilometer länger. Und vom Meeresboden aus gesehen ist sogar der Mauna Kea auf Hawaii mit über zehn Kilometern der höchste Berg der Erde!
Perspektivwechsel, so macht das kurzweilige Buch des Mathematikers deutlich, sind oft der beste Weg, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Auch in der Wissenschaft. Dort führten Perspektivwechsel zur Entdeckung der Logarithmen und Fraktale, erlauben es, mit Unendlichkeiten zu rechnen, eröffnen neue Dimensionen und Geometrien – und führen dadurch zu einem besseren Verständnis der Gravitation.
Mickaël Launays "Regenschirm-Formel" zeigt die Nützlichkeit dieser Umwege. In der abstrakten Mathematik können sie unerwartet zum Ziel führen, während wir unserer ersten Intuition oft nicht trauen dürfen. Wieso?

Ein lehrreiches und überraschendes Buch

Das erklärt Launay auch in seinem Youtube-Kanal, auch dort hat er sich auf das lockere Vermitteln mathematischer Inhalte verlegt. Sein aktuelles Buch macht da keine Ausnahme. Es ist lehrreich und überraschend. Und am Ende seiner höchst verständlichen Argumentationen ist auch der Leser überzeugt, sich mit Lichtgeschwindigkeit zu bewegen – zwar nicht durch den Raum, aber immerhin durch die Zeit in Richtung Zukunft!
Unbedingt erwähnenswert sind auch die wunderbaren Zeichnungen von Chloé Bouchaour, mit denen das Buch randvoll gespickt ist. Die Zeichnerin hat sich auf das Anfertigen wissenschaftlicher Illustrationen spezialisiert, und ihre Bilder ergänzen Launays Exkurse in die Welt der Mathematik auf fantasievolle Weise und machen viele seiner Gedankengänge ganz unmittelbar anschaulich.

Mickaël Launay: "Die Regenschirm-Formel oder die Kunst, die Welt mit klarem Verstand zu betrachten"
Aus dem Französischen von Ursula Held
Mit Illustrationen von Chloé Bouchaour
C.H. Beck Verlag/München 2020
281 Seiten, 22,95 EUR

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