Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Chefboss auf Tour
Dancehall divers

2017 ist ihr Debüt-Album "Blitze aus Gold" erschienen und ging durch die Decke: Chefboss, das sind die Sängerin Alice Martin und die Tänzerin Maike Mohr. Eine ungewöhnliche Bandbesetzung, die aber total Sinn ergibt, wenn man weiß, dass die Hamburger Dancehall-Gruppe ein absoluter Life-Act ist.

Alice Martin und Maike Mohr im Corsogespräch mit Kolja Unger | 12.03.2019
Maike Mohr und Alice Martin in bunten Klamotten und Tanzpose vor einer Lagerhalle in Hamburg
Für das Pop-Duo Chefboss ist der Tanz wesentlich: eine Mischung aus Dancehall und Vogue Dance. (Buback Tonträger GmbH)
Kolja Unger: Alice Martin und Maike Mohr, Ihre "Hol dein Freak raus"-Tour startet am 13.3. in Bremen, wie bereiten Sie sich darauf vor.
Alice Martin: Ganz unterschiedlich also im Moment sind wir noch so an den letzten Kostüm-Änderungen weil wir die Kostüme zum großen Teil auch selber machen. Also noch viel Paillettenbasteln und nähen, ein paar Songs frisch ziehen, Choreos…
Maike Mohr: Ich bin gerade ganz viel im Tanzstudio, bastel an Choreos und ich versuche mich auch konditionsmäßig ein bisschen vorzubereiten. Also ich gehe jetzt ganz viel ins Tanzstudio oder ins Fitnessstudio.
"Das Gefühl, wie wir auf Party gegangen sind"
Unger: Es klang jetzt schon so ein bisschen an. Das ist sehr viel Do it yourself dabei: Beats produzieren, Texte schreiben, an Choreographien basteln, Videos drehen, das Outfit, die Maske – bei so einer derart komplexen Verzahnung verschiedener künstlerischer Disziplinen, da kann ich mir schon vorstellen, dass eine Rollenverteilung das A und O ist. Wer von Ihnen beiden ist jetzt Chef und wer ist Boss?
Martin: Also ich sag mal so auf der Bühne ist jeder beides und hinter den Kulissen ist es dann natürlich schon so, dass man da auch die Rollenverteilung braucht. Zum Beispiel jetzt bei den letzten beiden Videos hat Maike die Regie gemacht. Da bin ich halt eher im Orga Team mit drin. Unser Produzent, Flo, der macht auch Orga und Produktion, auch Kamera und Schnitt.
Mohr: Ja und Alice ist halt megakrass in allem was Worte angeht.
Martin: Wir arbeiten solange zusammen und sind so ein Team, da kriegt man alle Sichtweisen und alle Perspektiven mit rein.
Mohr: Und meistens passt es auch wirklich
Martin: Ja voll! Ich meine, ganz ehrlich, wenn Maike und ich, ohne uns abzusprechen, fast immer im Partnerlook rumlaufen, da merkt man ja, was da schon für eine Verbindung besteht.
Unger: Wo kommt denn diese Verbindung her? Sie haben in früheren Interviews schon mal erzählt, dass sie sich bei Dancehall-Partys beim Tanzen kennengelernt haben. Leiten Sie von diesen Tanztreffen auch die Beats, die Texte, die Videos und so weiter ab?
Mohr: Vielleicht auch das Gefühl wie wir auf Party gegangen sind. Das hat sich dann eben einfach ein bisschen professionalisiert und es findet jetzt einfach auf einer größeren Bühne statt. Aber es ist eigentlich fast das Gleiche wie früher.
Unger: Beschreiben Sie doch mal wie das Gefühl damals war!
Martin: Ich glaube das liegt am Tanzen selber. Ich bin ja keine professionelle Tänzerin, aber man sagt ja nicht umsonst, dass Tanzen eine Verbindung schafft. Wenn jemand eine Körperlichkeit teilt und man im selben Rhythmus und eine ähnliche Art des bewegen hat und vor allem zu einer Musikrichtung, die man auf eine gleiche Art und Weise fühlt, das verbindet ungemein und das schafft auch dann ein Gefühl für eine andere Person. Viele Leute, mit denen man tanzt und gut tanzen kann, denen ist man auch auf eine andere Art und Weise näher.
Bouncige Beats für das menschliche Geschlecht
Unger: In einem Ihrer Songs, "Frida Kahlo", singen Sie, Alice Martin, "Zu viel Mann für `ne Frau. Zu viel Frau für ´nen Mann". Nach dieser Textzeile hab ich mich gefragt, welches Geschlecht hat denn Ihre Musik?
Martin: Das menschliche Geschlecht. Wir sind zwar zwei Frauen plus DJ auf der Bühne. Aber wir haben auch männliche Tänzer und wir arbeiten auch mit Männern hinter den Kulissen zusammen. Die Musik ist halt nicht nur für Frauen gemacht, auch nicht nur für Männer, sondern für Menschen, die Lust haben auf bouncige Beats, die Bock haben abzugehen.
Unger: Das Video zu Frida Kahlo haben Sie gedreht, Maike Mohr, und man sieht darin Sie beide durch eine Wüstenlandschaft tanzen. In einer Szene haben dann, glaube ich, auch Sie eine Papaya zwischen den Beinen im Schnittwechsel mit einem Selbstportrait der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo. Was hat es mit diesen Bildern auf sich?
Mohr: Also ich hab mir das Video ausgedacht und dann hatte ich halt einfach dieses Bild vor Augen. Ich kann nicht ganz genau erklären warum dieses Bild unbedingt da sein musste, aber es musste und mir war egal wer das macht. Am Ende wurden es halt meine Beine, weil irgendwie wäre es jetzt blöd den anderen zu sagen, sie müssen ihre Beine breitmachen. Dann tut man es halt selbst für die Kunst; für die Kunst tut man das dann auch ganz gern.
Martin: Und das ist auch das Geile, wenn man Kunstschaffender ist, dass man die Analyse oder die Interpretation dann auch gerne anderen überlassen kann. Das finde ich schon legitim und auch ganz spannend.
Alice Martin und Maike Mohr von der Dancehallgruppe Chefboss tanzen in knallgelben Oberteilen.
Laufen ohne sich abzusprechen fast immer im Partnerlook herum: Alice Martin und Maike Mohr von Chefboss. (Buback Tonträger GmbH)
Identität jenseit vom Ich bin Schwarz oder Weiß-Denken
Unger: Noch ein anderes Thema, mit dem Sie sich ja auch auseinandersetzen: Alice Martin, Sie singen von ihrer kulturellen Identität, von zwei Sternen, die Sie in Ihrer Brust tragen. Welche sind das und wie verhalten die sich zueinander.
Martin: Also ich bin ja in der Karibik geboren, mein Vater ist daher und meine Mutter ist Polin. Ich bin dann in Deutschland aufgewachsen und wie sich das alles zueinander verhält, ist eigentlich ganz gut im Song beschrieben: Dass ich sehr früh eigentlich dieses ganze Wer-bin-ich und Wo-komme-ich-her, diese Identitätsfrage, sehr schnell für mich gelöst habe, indem ich gesagt habe: Okay, ich bin Alice. Weil dieses ganze "ich bin nur schwarz" oder "ich bin nur weiß"-Denken…Ich bin halt beides und ich lasse mich nicht in eine Schublade setzen. Diese Einstellung zum Leben hat mir sehr, sehr viel ermöglicht und sehr, sehr viel Raum gegeben, um Leute wirklich zu entdecken. Ja, da bin ich ganz stolz drauf.
Unger: Sie sind als diese Alice in Hamburg aufgewachsen, sind dann aber auch nach Polen, dem Heimatland ihrer Mutter gegangen, haben dort länger gelebt. Wie haben Sie damals den dort ja schon beginnenden Rechtsruck erlebt?
Martin: Ich wurde angespuckt, ich hab auch mal auf die Fresse bekommen. So´ne Sachen wie, dass man in den Bus steigt und dann fangen die irgendwie was von der Weißen Rasse an zu singen. Das hab ich erlebt. Auf der anderen Seite habe ich auch unglaublich nette, herzliche Menschen gesehen, die mir auch zur Seite gestanden und gesagt haben, dass das auch Einzelfälle sind, die jetzt komprimiert auf mich zugekommen sind. Auch das ist eine Erfahrung, die da in meiner Identität mit reinspielt, das auseinanderhalten zu können. Ich würde jetzt nie im Leben Polen verurteilen oder ein ganzes Land beurteilen aufgrund von vier, fünf Menschen die mir gegenüber scheiße waren. Der Rest war einfach nur wundervoll.
Emotionale Rundumbeschallung
Unger: Maike Mohr, wer wird Sie im nächsten Monat begleiten?
Mohr: Auf Tour meinen Sie? Wir haben ja immer unsere Tänzer dabei
Martin: …und wir haben auch Supports. Aber dieses Mal keine Band, sondern Tänzer.
Unger: Tänzer heißt jetzt aber nicht es gibt ein Konzert und dann gibt es noch eine Vorgruppe, oder? Wie ist so ein Abend? Worauf kann ich mich einstellen?
Martin: Also auf jeden Fall auf eine voluminöse Party. Wir versuchen immer mit Leuten auch auf Tour zu gehen, die man auch privat kennt. In einem Fall sind das Gewinner von einem Gewinnspiel, was wir gemacht haben. Deswegen sind die jetzt das erste Mal dabei, die Afro Loup-Gruppe. Sonst ist es halt echt pure gute Stimmung. Also auf jeden Fall eine Rundumbeschallung.
Mohr: Ja, immer sehr emotional. Ich weiß noch bei der letzten Tour ich glaube, wir haben ein bisschen geweint sogar auf der Bühne.
Unger: Weil es einfach so viel Action auf einmal war?
Mohr: Nicht nur Action. Ich glaub auch, wenn man dann die Leute vor der Bühne sieht, das ist ein sehr emotionales Ding.
Martin: Und das war auch vor allem in Hamburg. Und dann so die ganzen Leute, die uns in den letzten fünf Jahren begleitet haben und die uns geholfen haben und dann stehen die halt da und alle singen mit. Ich musste gar nicht singen, weil die alle Texte kannten. Es war unsere erste Tour und wir waren schon zwei Wochen unterwegs gewesen und dann: Hamburg und Abschluss. Das war so rührend und ich so: "Ey, das ist mir emotional zu viel. Das ist einfach zu schön so!" Und dann: schön in Tränen ausgebrochen. Passiert mal.