Michael Zeuske über sein Buch "Sklaverei"

"Meistens sind Sklaverei-Opfer Frauen und Kinder gewesen"

Afrikanische Sklaven werden im 19. Jahrhundert auf einem Schiff nach Amerika transportiert und verkauft.
Viele afrikanischen Sklaven wurden im 19. Jahrhundert nach Amerika transportiert und verkauft. © dpa / picture alliance
Moderation: Frank Meyer · 25.04.2018
Michael Zeuske schlägt mit seinem Buch "Sklaverei" die Brücke von der Zeit von etwa 10.000 vor Christi bis heute. Er ist sich sicher: Auch heute gebe es noch Sklaven - auch in Europa. Sie werde nur anders definiert als früher.
Frank Meyer: Wann gab es die meisten versklavten Menschen auf der Welt? Wenn man nach den absoluten Zahlen geht, dann leben heute die meisten Sklaven, heute in unserer Gegenwart. Und die Geschichte der Sklaverei begann sehr früh, schon in der Steinzeit. Das alles schreibt der Historiker Michael Zeuske in seinem Buch "Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute", und jetzt ist Michael Zeuske in Leipzig für uns im Studio. Guten Tag, Herr Zeuske!
Michael Zeuske: Herr Meyer, ich grüße Sie!
Meyer: Wenn wir über die Gegenwart reden - wo auf der Welt werden denn heute die meisten Menschen wie Sklaven behandelt?
Zeuske: Die Schätzungen sind also sehr weit, aber ich glaube, man hat sich so etwa geeinigt auf eine Liste, die von Indien, China, Pakistan, Nigeria, Äthiopien, Thailand, Kongo, Myanmar, Bangladesch geht. Das sind die meisten ... die meisten höchstwahrscheinlich in Indien, über Schuldsklaverei.
Meyer: Sie listen auch Zahlen für Europa auf, und da liest man dann, dass mehr als eine Million Sklaven es bis heute in Europa geben soll. Jetzt gibt es ja natürlich keine legale Sklaverei mehr. Was für eine Art von Sklaverei ist denn das, in der diese Menschen gehalten werden?
Zeuske: Die internationale Arbeitsorganisation definiert moderne Sklaverei, die also nicht mehr römische Sklaverei ist, wo das sozusagen ins Eigentumsrecht eingeschrieben war, als Forced Labour und als Forced Marriage, also Zwangsverheiratung plus Schuldsklaverei. Da ist in Europa möglicherweise einiges der zweiten oder dritten Dimension da, aber es wird im Wesentlichen Forced Labour und Zwangsprostitution sein. Ich kenne die Problematik, Prostitution da mit einzubeziehen, aber ich lasse es einfach mal so stehen.

Begräbnis kann eventuell Aufschluss über Umgang mit Sklaven geben

Meyer: Weil Sie Prostitution gerade sagen - man lernt aus Ihrem Buch auch, dass durch die ganze Geschichte der Sklaverei hindurch Frauen und Kinder vor allem die Opfer von Sklaverei waren?
Zeuske: Durch die gesamte Weltgeschichte hindurch - ich setze ja so circa 10.000 bis 8.000 vor an - sind die absolut meisten Opfer von Versklavungssituationen immer Frauen, junge Frauen und Kinder gewesen.
Meyer: Und wenn wir auf die Anfänge schauen - Sie sagen gerade, viele Tausend Jahre gehen Sie da zurück, bis in die Steinzeit. Welche Spuren für diese frühe Sklaverei hat man denn gefunden?
Zeuske: Das ist eine gute Frage. Da wird man mit Archäologen doch in relativ harsche Debatten kommen. Es gibt aber ein paar Archäologen, die sich dazu äußern. Elitebildung und das Gegenteil eben, ganz unten sozusagen, das kann man möglicherweise feststellen eben an Begräbnissen, oder, was noch komplizierter ist, ich sage es trotzdem mal, an Nicht-Begräbnissen. Den Vergleich zu Gesellschaften, die in etwa in diesem Stadium noch sind, haben wir ja schriftlich. Beispielsweise haben wir Ibn-Fadlan, der im zehnten Jahrhundert in den Norden, nach Russland reist und da Wikinger kennenlernt - Wikinger waren rege Sklavenhändler -, die haben ihre toten Versklavten faktisch ins Gebüsch geschmissen, wenn ich das mal so ganz profan sagen darf.
Meyer: Sie haben gerade unseren Blick nach Osten gelenkt, in den slawischen Raum. Das ist auch etwas, was ich nicht wusste vorher, und worüber Sie schreiben, dass unser Begriff Sklave zu tun hat mit dem Begriff Slawe, also mit den slawischen Völkern. Wie ist denn da der Zusammenhang?
Zeuske: Der Zusammenhang ist ganz wesentlich die Nachfrageseite, die im Wesentlichen also islamische Gesellschaften in Spanien und im Vorderen Orient betrifft, die einen Begriff übernommen hatten, wir wissen nicht ganz genau, woher, wahrscheinlich aus dem Balkan, der etwa wie "sakaliba" klang oder klingt. Und aus diesem Wort "sakaliba" ist sozusagen unser moderner Sklavenbegriff entstanden, und es ist, da die Versklavten und Gefangenen im Wesentlichen aus dem Gebiet der slawischen Ethnogenese kamen, auch der Begriff "Slawe" daraus entstanden.

Westliche Welt gründete Wohlstand auf Sklaven

Meyer: Sie gehen in Ihrem Buch durch verschiedene Phasen in der Geschichte der Sklaverei. Sklaverei-Plateaus nennen Sie das. Bei uns ist ja am bekanntesten, denke ich, der transatlantische Sklavenhandel von etwa 1500 bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Mehr als zwölf Millionen Menschen wurden in dieser Zeit als Sklaven über den Atlantik verkauft - wobei da gibt es jetzt verschiedene Zahlen. Sie schreiben jetzt, dieser Sklavenhandel und die Arbeit der Sklaven, das sei die Basis für den Aufstieg des Westens gewesen. Also wir müssen sagen, der Reichtum Europas geht ganz wesentlich auf die Sklaverei zurück?
Zeuske: Ja, der Reichtum Europas. Aber das ist natürlich ein erweiterter West-Begriff, Westen in Anführungsstriche gesetzt. Es gehören auch die USA beispielsweise dazu, wo das schon viel klarer wird. Und für mich gehören natürlich auch die ehemaligen spanischen und portugiesischen Kolonien dazu, vor allen Dingen in Amerika also Brasilien. Bei Brasilien wird es ganz deutlich, dass das also der Wohlstand, sogar der Reichtum da an Sklavenhandel gebunden war. Aber Europa auch. Die alte Diskussion, ob die Sklavenhändler nun die industrielle Revolution finanziert hätten, die ist ja sozusagen Folklore. Das steht schon bei Marx. Aber über Hafen, über Schiffbau, über Anfertigung von Werkzeugen über Kapitaltransfers hat das sehr zur Entwicklung des Westens beigetragen.
Meyer: Und gilt das auch für die damaligen deutschen Länder?
Zeuske: Tja, das Forschungsgebiet ist im Grunde erst seit zehn Jahren in Deutschland wieder eröffnet, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Es gibt eine ganze Reihe von sehr guten Kolleginnen und Kollegen, die dazu forschen. Sicherlich gibt es eine ganze Reihe von mehr Versklavten in Europa und in Deutschland, als wir uns das denken. Und zweitens gab es eine ganze Reihe von Firmen, die da mit beteiligt waren, also Banken, Kaufleute, Häuser, Firmen, die Textilien hergestellt haben, Einfuhr von Konsummitteln, also Luxusgütern, Kaffee, Tee, Kakao, Zucker und so weiter. Insofern ja.
Meyer: Die meisten Bücher, die von der Sklaverei erzählen, enden mit dem Abolitionismus, der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg als Höhepunkt, als dem 19. Jahrhunderts. Sie sagen jetzt, diese Beendigung der Sklaverei, das wäre eher eine Entformalisierung der Sklaverei gewesen. Was meinen Sie damit?
Zeuske: Wenn man sich das ganz genau anguckt, die Abolition besteht im Wesentlichen aus viel Papier, vielen Büchern, vielen Briefen, vielen gedruckten Reden, vielen Verhandlungen. Was real bei den Versklavten angekommen ist, ist sehr viel problematischer. Im Grunde machen die Leute, die ehemals versklavt gewesen sind, die wollen natürlich diesen Freilassungsakt - britisches Imperium oder irgendwann im 19. Jahrhundert alle Sklaverei-Imperien der westlichen Welt -, die wollen natürlich diesen Freilassungsakt. Aber was passiert danach mit ihnen? Im Grunde gehen sie von einem Aggregatzustand der Sklaverei in einen anderen über, kleinere, flexiblere Sklavereien. Die gleiche Arbeit, oftmals die gleiche Bestrafung, das gleiche, schlechte Essen. Das verstehe ich unter Entformalisierung, dass eine große, rechtlich abgesegnete Sklaverei, Eigentumssklaverei faktisch, dieser Eigentumsbegriff, diese Formalisierung wegfällt und dann informell man genau hingucken muss, was ist das? Und da stelle ich fest, dass noch sehr viele Leute in Versklavungssituationen sind.

Zeuskes Fokus liegt auf Analyse, nicht auf Erzählung

Meyer: Sie schreiben, glaube ich, sogar, dass Sklaven, die man als Eigentum besessen hat, zum Teil auch besser behandelt wurden als Menschen, die dann zwar frei waren, legalistisch gesehen, aber in extremer Abhängigkeit arbeiten mussten.
Zeuske: Das ist so. Ich meine, das, was Sie zuerst gesagt haben, ist sehr kompliziert, weil das schon ein Hauptargument der Abolitionsgegner im 19. Jahrhundert gewesen ist. "Den Leuten wird es dann irgendwann mal schlechter gehen." Das will ich nicht aufgreifen, dieses Argument. Ich will nur, dass man hinguckt aus Perspektive der ehemals Versklavten, was ist wirklich mit denen geschehen.
Meyer: Ihr Buch, dazu hieß es in einer Besprechung in der "Neuen Züricher Zeitung", dass Sie bewusst kein narratives, erzählendes Buch geschrieben hätten, also keine Geschichte von einzelnen Sklaven oder von Sklavengruppen erzählen, sondern ein sehr analytisches Buch. Man findet viele Zahlen, Sie gehen eben wirklich analytisch vor. Hatten Sie eher akademische Leser im Sinn für dieses Buch?
Zeuske: Um Gottes willen. Ich will nur das allgemeine Publikum wieder daran gewöhnen, dass wir uns eben auch in den Mediendebatten, "Fake News" und so weiter, wieder dran gewöhnen müssen, analytische Bücher zur Kenntnis zu nehmen, die sozusagen ein Problem mit allen Höhen, Tiefen, allen Dimensionen darzulegen versuchen.
Meyer: Und dann muss man sich auch durch Zahlen durchkämpfen, meinen Sie.
Zeuske: Genau.
Meyer: Das sagt Michael Zeuske. "Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute", so heißt sein Buch, im Reclam-Verlag ist es erschienen, mit gut 300 Seiten, 28 Euro ist der Preis. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Zeuske!
Zeuske: Herr Meyer, machen Sie's gut!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Michael Zeuske: Sklaverei - Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute
Reclam, Ditzingen 2018
304 Seiten, 28 Euro

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