Michael Brenner: "Israel. Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates"

Israel: Wie es wurde, was es ist

Proklamation des Staates Israel 1948
Proklamation des Staates Israel am 14. Mai 1948 in Tel Aviv, mit David Ben Gurion (l), der erste Ministerpräsident Israels. © picture alliance/dpa
Von Carsten Hueck · 15.06.2016
Wer Israel und seine Politik besser verstehen möchte, sollte dieses Buch lesen. Michael Brenner, Direktor des "Center for Israel Studies" in Washington, beschreibt die Geschichte des jüdischen Staates mit all seinen Wünschen, Visionen und Widersprüchen.
Sehnsucht nach Normalität begründete für viele Juden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts den Wunsch nach einem eigenen Staat. Doch dessen Gründung erfolgte dann keineswegs unter normalen Umständen.
Das Spannungsfeld zwischen Normalität und Einzigartigkeit, zwischen dem Wunsch, ein Staat unter anderen Staaten zu sein, und dem Anspruch, eine universalistische Mission zu besitzen, erkundet der Historiker und Kulturwissenschaftler Michael Brenner in seinem neuen Buch "Israel, Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates".

An die Sonderrolle gewöhnt

So groß wie das Bundesland Hessen, hat Israel ungefähr so viele Einwohner wie Niedersachsen, findet in den aktuellen Nachrichten jedoch annähernd so häufig Erwähnung wie China, Russland oder die USA. Den einen gilt es als einzige Demokratie im Nahen Osten, den anderen als kolonialistischer Aggressor.
In einer weltweiten BBC-Umfrage landet Israel hinsichtlich seiner Beliebtheit neben Iran und Nordkorea auf den hintersten Plätzen, während Deutschland, von dem zwei Weltkriege ausgingen, eine Spitzenposition besetzt. Darüber verwundert sind vermutlich nur Betrachter von außen, denn die Israelis, hält Brenner fest, "haben längst die Sonderrolle ihres Staates verinnerlicht, egal welcher politischen Richtung sie angehören und wie sie diese Sonderrolle interpretieren".

Das zionistische Projekt seit 1897

In sechs Kapiteln zeichnet der Direktor des "Center for Israel Studies" an der Universität Washington den Weg nach, den das zionistische Projekt seit 1897 genommen hat: Er beginnt mit dem visionären Plan des Journalisten Theodor Herzl, den kulturzionistischen Ideen Achad Ha’ams, den nationalistischen Forderungen Wladimir Zeev Jabotinskys.
Er stellt die Pläne zur Autonomie-, Einstaaten- und Zweistaatenlösung vor und endet in der Gegenwart Israels, dessen religiöse Bevölkerung unverhältnismäßig zunimmt und dessen politisch-wirtschaftlicher Zustand es Scharen junger Israelis leicht macht, ausgerechnet in das Land zu übersiedeln, das einst die "Endlösung der Judenfrage" ersann.
Brenners Buch ist eine ideengeschichtliche Studie über die Andersartigkeit des Staates Israel: Der Grundwiderspruch zwischen Normalität und Einzigartigkeit, Traum und Wirklichkeit ist dem Projekt des jüdischen Staates demnach von Beginn an eingeschrieben. Und er ist bis heute nicht gelöst.

Zunehmende innere Widersprüche

Der Autor fächert die – teilweise diametral entgegengesetzten – Entwürfe des jüdischen Staates auf, der bis heute keine Verfassung, aber funktionierende demokratische Institutionen besitzt. Der seit seiner Gründung mit äußeren Feinden und zunehmend auch mit inneren Widersprüchen zu kämpfen hat.
Das Wachstum der ultra-orthodoxen Bevölkerung und der arabischen Bevölkerung sowie die Einwanderung von Nichtjuden und Flüchtlingen, bemerkt Brenner, habe in Israel die Bildung von Parallelgesellschaften begünstigt, die mit der Idee eines jüdischen Staates kaum zu vereinbaren sind.
Ein gut lesbares Buch, das differenziert darstellt, was Israel sein sollte, was es wurde und wie es wahrgenommen wird. Eine Bereicherung für jeden, der die Situation des jüdischen Staates besser verstehen will und Paradoxe aushalten kann.

Michael Brenner: "Israel. Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates"
Mit 24 Abbildungen und 4 Karten
C. H. Beck Verlag. München 2016
288 Seiten, 24,95 Euro

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