Metropole Paris

Eine Zumutung für die Bewohner

Blick auf das Stadtzentrum von Paris, 2008
Blick auf das Stadtzentrum von Paris © picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch
Ursula Welter im Gespräch mit Isabella Kolar · 16.02.2015
In vielerlei Hinsicht sei das Leben in Paris eine Zumutung, sagt unsere Korrespondentin Ursula Welter. Schuld seien nicht nur die Luftverschmutzung, sondern auch die vielen Staus und die schlechte Anbindung des Umfeldes der Stadt, die auch soziale Folgen habe.
Isabella Kolar: Deutschlandradio Kultur, Sie hören die "Weltzeit". Die Idee eines Grand Paris, eines Großparis ist nicht neu. Schon Napoleon III. plante unter diesem Namen eine Erweiterung der Hauptstadt von St. Germain Orlais im Westen bis Marne-la-Vallée im Osten. Ursula Welter, unsere Korrespondentin in Paris: Können Sie uns historisch etwas auf die Sprünge helfen? Wie hat es diese offensichtlich hartnäckige Idee von der Metropole der Zukunft, von Grand Paris, vom 19. ins 21. Jahrhundert geschafft? Da war doch auch ein gewisser Herr Sarkozy, der sich in dieser Hinsicht sehr engagierte, oder?
Architektonische Großprojekte
Ursula Welter: Ja, das ist so. Das Projekt hat es im Grunde aus zwei Gründen bis in die Gegenwart geschafft. Der eine ist, aus meiner Sicht, symbolischer Art. Der konservative Präsident Sarkozy, der hat es gehalten wie seine Vorgänger François Mitterrand oder auch Jacques Chirac, die nach dem Motto bauen ließen, große Politik braucht große Architektur - das ist ein Bonmot, das Mitterrand zugeschrieben wird, der ja zum Beispiel mit der Pyramide vor dem Louvre oder mit der Grande Arche in La Défense und auch mit der Bibliotheque Nationale hier im Osten der Stadt in den 80er- und frühen 90er-Jahren Maßstäbe gesetzt hat, was architektonische Großprojekte anging.
Also da konnte und da wollte Nicolas Sarkozy vermutlich nicht zurückstehen. Aber, Frau Kolar, man muss sagen: Jenseits aller Politik, Symbolik, die dahinter steckt, drängt natürlich der Zuschnitt, aber auch der Zustand der französischen Hauptstadt in jeder Hinsicht nach Veränderung. In vielerlei Hinsicht ist das Leben hier in dieser Stadt, die ja viele Touristen lieben und zu Recht lieben, ist das Leben dann doch für die, die darin leben und arbeiten müssen, zuweilen eine Zumutung, und damit meine ich nicht nur die Luftverschmutzung, damit meine ich die vielen Staus, die schlechte Anbindung des Umfeldes der Stadt, die eben dann auch soziale Folgen hat.
Kolar: Hören wir doch einmal, wie der damalige Präsident Nicolas Sarkozy im April 2009 Le Grand Paris definierte.
Nicolas Sarkozy telefoniert mit einem Handy.
Nicolas Sarkozy: von 2007 bis 2012 französischer Staatspräsident.© dpa/maxppp/ncy
Nicolas Sarkozy: Grand Paris wird vom Ballungsgebiet zur Stadt, wenn man aufhört, von der Banlieue zu sprechen, wenn das Schicksal der Menschen nicht mehr bestimmt wird von ihrem Wohnviertel - wahr, schön, groß, gerecht, das ist das Programm.
Kolar: Ursula Welter, Sie sprachen gerade von der Zumutung, die Paris heute schon für seine Bewohner ist. Was für ein Grundgedanke steckt hinter Le Grand Paris? Ein wahres, schönes, großes und gerechtes Programm, wie das Sarkozy hier sagt, oder bedeutet es - wie viele Pariser glauben, die wir gleich auch im Feature hören werden - ganz banal die Ausdehnung des Nahverkehrs, Stichwort Grand Paris Express?
Bis zu 200 Kilometer Stau
Welter: Nun, es sind natürlich auch heute immer noch so ein bisschen die Schlagworte einer Hochglanzbroschüre für ein großes Projekt, für ein Megaprojekt, also heute spricht man dann von drei Ebenen: mehr Lebensqualität, mehr Dynamik für den Wirtschaftsraum Paris, echte Alternative zum Auto - das sind die drei Ebenen, die jetzt in den Prospekten stehen.
Man muss sehen: Rund um Paris stauen sich an den schlimmsten Tagen, gerade heute war das so, im Straßenverkehr bis zu 200 Kilometer Autoschlangen auf. Das Problem ist, dass, wer von einer Himmelsrichtung in die andere will, durch das Nadelohr der Stadt muss. Die meisten nehmen das Auto, weil der öffentliche Nahverkehr schlecht angebunden ist. Die Außenbezirke sind eben untereinander schlecht miteinander verbunden und deshalb soll es eben bis 2030, das ist die Zeitachse, die im Augenblick gilt, man wird sehen, ob das einzuhalten ist, aber bis 2030 soll eben ein Bahn- und Metrostreckennetz rund um die Stadt und in die Außenbezirke entstehen.
Das Ziel ist, dass die Fahrtzeiten für bestimmte Strecken sich auf diese Weise halbieren, es werden immerhin 69 Bahnhöfe, neue Bahnhöfe im Großraum Paris entstehen, das ist die Planung, es wird um 200 Kilometer Streckennetz gehen rund um die Stadt, also in der Tat ein Megaprojekt, und das Kalkül der Politik ist, dass dort, wo ein Bahnhof entsteht, sich dann auch Arbeitsplätze ansiedeln, Geschäfte, Wohnungen, Büros, und das ist dann das, was unter Dynamik für den Großraum Paris subsummiert wird.
Kolar: Ein Megaprojekt also. Die Staus sind jetzt noch da. Was für Maßnahmen werden denn derzeit in Paris ergriffen, sind für Sie als Pariserin vielleicht neben den Staus auch sichtbar, die im Zusammenhang mit Le Grand Paris stehen? Wird im Moment nur darüber geredet oder auch schon gehandelt?
Sechs geplante Metrolinien
Welter: Also für dieses Jahr 2015, das ist gerade im Januar gesagt worden, sollen auf jeden Fall die Arbeiten für die vollautomatische Metro Grand Paris Express entstehen, also das ist sozusagen der Kern des Projektes. Da werden jetzt auch erste Arbeitsplätze schon in Aussicht gestellt, weil die Bahnhöfe errichtet werden, da wird das Gasnetz gelegt, das Wassernetz, die Elektrizität.
Da geht es jetzt erst einmal um die Linie 15, das ist eine von sechs geplanten Metrolinien, die dann nachher zu einem ganzen Netz von den vielen Kilometern zusammenwachsen sollen, dieser Teilabschnitt von 33 Kilometern, der wird also jetzt konkret in Angriff genommen.
Aber, Frau Kolar, ich meine, man muss auch noch mal ein bisschen zurückblättern, denn Stadtentwicklung hier in Paris, das hat sich in den vergangenen Jahren schon hin zu diesem Großparis entwickelt, nur da oben im Norden, um da zu beginnen, also in den sensiblen Vororten, wo die armen Banlieues sind, da hat es ja schon Veränderungen gegeben die begonnen haben mit dem Bau des Stadions von Saint Denis. Dann ist eine Betonplatte über die Autobahn A1 gelegt worden, die bis dato das ganze Viertel zerrissen hatte, was auch dazu führte, dass dort die Wirtschaft nicht recht wachsen konnte, sich keine Unternehmen ansiedelten, auch Wohnungen nicht gebaut werden konnten, das hat sich jetzt schon geändert, dieses Viertel hat sich in den letzten drei, vier, fünf Jahren weiter stark entwickelt, also da kann man einiges beobachten. Und das Gleiche sieht man im Südwesten, da entsteht zum Beispiel auf dem alten Renault-Gelände ein neues Wohnviertel, die Seine-Ufer an den Ausfallstraßen werden bebaut. Also man kann sagen, dass Paris an allen Ecken in Bewegung ist.
Blick auf Paris vom 18. Stock des Rathauses im Vorort Gennevilliers am 25.11.2009.
Gennevilliers © picture alliance / dpa / Robert B. Fishman ecomedia
Kolar: Stichwort Banlieue: Der englische Kulturwissenschaftler Andrew Hussey, der auch in Paris lebt, hat sich in seinem Buch "The French Intifada - der lange Krieg zwischen Frankreich und seinen Arabern" mit Frankreichs Banlieue-Jugend befasst. Er schreibt über die jungen wütenden Moslems der Banlieues.
Die Jugendunruhen in den Vorstädten sind jetzt ja fast zehn Jahre her, und Hussey betont, wie schwierig es heute immer noch ist, vom Banlieue ins Zentrum zu gelangen und welche große Rolle der öffentliche Nahverkehr da spielt. Kann man vor dem Hintergrund der Pariser Anschläge vom Januar Le Grand Paris auch als ein Projekt zur Behebung sozialer Missstände bezeichnen?
Welter: Ja, absolut, das ist zweifellos so, wenn auch nicht nur. Die Politik ist sich natürlich seit Langem bewusst und wir diskutieren das in Frankreich ja nicht zum ersten Mal, dass eben die schlecht angebundenen Wohnghettos eine Falle sind für junge Menschen vor allen Dingen, das sehen wir nicht nur in Paris, das sehen wir auch in Marseille, in anderen großen Städten, dort siedelt sich das organisierte Verbrechen an. Deshalb sind ja auch in den vergangenen Jahren, das hat auch dazu gehört, an vielen Stellen schon Wohntürme abgerissen worden, sind Viertel umgestaltet worden.
Aber es hat an den sozialen Missständen nicht so viel geändert, denn die Wirtschaftskrise hat Frankreich ja mit voller Wucht erfasst. Trotzdem, Sie haben recht: Das ist auch eine Maßnahme, soziale Missstände zu beheben. Man muss aber vielleicht auch sehen, dass es an anderen Stellen auch Versuche gibt, diese Ghettos aufzubrechen, nicht nur, indem man jetzt dieses große Paris baut. Es sind gerade zum Beispiel hier in der Nähe der Champs-Élysées sind Wohnkomplexe eröffnet worden, in denen es Sozialwohnungen gibt, also der Versuch, sozialen Wohnungsraum auch dort anzusiedeln, wo sie bislang niemand vermutet hat, und die neuen Mieter dort, die konnten ihr Glück kaum fassen, als ihnen diese Wohnungen zugeteilt wurden, hier mitten in der Innenstadt nahe der Champs-Élysées.
Also auch das sind Versuche der Politik, diese schwierigen Bereiche der Banlieues aufzubrechen und die Strukturen der Stadt nach und nach, peu á peu zu verändern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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