MeToo und die Wirtschaft

Sexuelle Belästigung ist noch immer weit verbreitet

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Protest gegen sexuelle Übergriffe: Eine Frau hält ein Plakat mit der Aufschrift "My pussy grabs back" hoch.
Protest gegen sexuelle Übergriffe: Gesellschaftliche Veränderungen dauern oft sehr lange. © picture alliance / dpa / NurPhoto / Alexander Pohl
Ksenia Meshkova im Gespräch mit Nicole Dittmer · 19.10.2021
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In deutschen Unternehmen ist MeToo grundsätzlich zum Thema geworden, sagt die Soziologin Ksenia Meshkova. Dennoch seien Übergriffe auf Frauen noch immer weit verbreitet. Besonders Mitarbeiterinnen mit geringen Rechten sind gefährdet.
Das für Frauen problematische Klima bei der "Bild" war seit diesem Frühjahr bekannt, aber erst jetzt, nach dem Bericht der New York Times und der Diskussion um die Recherche des Investigativteams der Ippen-Gruppe, gab es auch personelle Konsequenzen.
Der Axel-Springer-Verlag hat Chefredakteur Julian Reichelt geschasst, man habe "in den letzten Tagen neue Erkenntnisse" über Reichelts Verhalten gewonnen, heißt es. Demnach hatte Reichelt auch nach Abschluss eines Prüfverfahrens im Frühjahr "Privates und Berufliches nicht klar getrennt" und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt.
Die Soziologin Ksenia Meshkova ist Mitverfasserin einer Studie über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Die Untersuchung hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erstellt.

Das Problem zieht sich durch alle Branchen

Grundsätzlich sei MeToo ein Thema in den Unternehmen geworden, berichtet Meshkova. Dennoch sei sexuelle Belästigung noch immer weit verbreitet. Besonders betroffen seien diejenigen, die kaum Rechte hätten, sagt die Soziologin: wie beispielsweise Praktikantinnen.

Was folgt auf den Rauswurf von Julian Reichelt?
Julian Reichelt ist nicht mehr Chef der "Bild"-Zeitung. Seine Absetzung könnte erhebliche Auswirkungen auf den "Bild"-TV-Sender haben, sagt Medienjournalist Moritz Tschermak [AUDIO] . Durch neue Recherchen gerate auch Springer-Chef Mathias Döpfner in die Kritik.

Ein Mann in Sakko und aufgeknöpftem blau-weiß gestreiftem Hemd mit ernstem Gesichtsausdruck vorblauem Hintergrund. Es handelt sich um Julian Reichelt.
© imago / Jörg Schüler
Das Problem zieht sich Meshkova zufolge durch alle Branchen. Starre Hierarchien und ein überkommenes, männliches Betriebsklima stehen demnach einem offenen Umgang mit dem Problem entgegen.
Wie in den Betrieben über Belästigung und Rollenverteilung gesprochen wird, ist für Meshkova entscheidend. Deswegen reiche es auch nicht, bei einem Fall wie der "Bild" nur den Chef abzusetzen.

Gesellschaftliche Veränderungen brauchen Zeit

Die Soziologin sieht noch keine Welt ohne sexuelle Belästigung und männliche Machtstrukturen am Horizont, verweist aber darauf, dass gesellschaftliche Veränderungen Zeit brauchen. So seien häusliche Gewalt und das Schlagen von Kindern einst auch gesellschaftlich akzeptiert gewesen. Inzwischen sei das anders.
Der Springer-Verlag hat ausdrücklich betont, dass es gegen Reichelt "nie den Vorwurf sexueller Belästigung oder sexueller Übergriffe" gegeben hat. "Es gab aber den Vorwurf einvernehmlicher Liebesbeziehungen zu 'Bild'-Mitarbeiterinnen und Hinweise auf Machtmissbrauch in diesem Zusammenhang."
Neuer Vorsitzender der dreiköpfigen Chefredaktion wird der derzeitige Chef der "Welt am Sonntag", Johannes Boie. Er wird sich wohl mit mehr als nur journalistischen Fragen beschäftigen müssen.
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