#MeToo im US-Sport

Skandal um Arzt des Turnverbands immer größer

Der frühere Teamarzt der US-Turner, Larry Nassar, vor Gericht in Lansing, Michigan.
Der frühere Teamarzt der US-Turner, Larry Nassar, vor Gericht in Lansing, Michigan © AFP / JEFF KOWALSKY
Von Kerstin Zilm · 04.02.2018
Seit den 90er-Jahren beklagten sich Mädchen über sexuelle Handlungen während der Untersuchungen durch Larry Nassar: Nun wurde der frühere leitende Teamarzt der US-Turnerinnen zu jahrzehntelanger Haft verurteilt. Die missbrauchten Frauen fordern weitergehende Konsequenzen.
"Your Honor, with your permission I would like to address the defendant" - "You may." - "Well Larry, I am here not to tell someone but to tell everyone."
Eine Frau nach der nächsten trat im Gerichtssaal von Ingham, Michigan nach vorne, um Larry Nassar zu konfrontieren. Sie beschrieben, wie er sie missbrauchte, welche Konsequenzen das für sie hatte und welches Urteil sie fordern.

Enthüllungsbuch von Aly Raisman

Darunter auch Goldmedaillen-Gewinnerin Aly Raisman:
"Stell dir vor, du hast das Gefühl, weder Macht noch eine Stimme zu haben. Larry, ich habe jetzt beides und fange gerade an, sie zu nutzen."
Raisman brachte die Vorwürfe gegen Nassar mit einem Buch und Interviews ans Licht. Mannschaftskolleginnen Simone Biles, Gabby Douglas und viele andere bestätigten, was sie erzählte. Auf die Frage, warum die Turnerinnen so lange geschwiegen hätten, antwortete Raisman in einem Fernsehinterview mit einer Gegenfrage:
"Warum fragen wir die Mädchen? Warum fragen wir nicht, was der US-Turnverein und Larry Nassar getan haben, um diese Mädchen zu manipulieren, bis sie zu große Angst hatten, sich zu äußern?"
US-Turnerin Aly Raisman bei einem Interview bei den Olympischen Spielen 2016.
US-Turnerin Aly Raisman bei einem Interview bei den Olympischen Spielen 2016© imago sportfotodienst

Detaillierte Aussagen der Missbrauchten

Raisman will nicht im Detail erzählen, wie Nassar sie missbrauchte. Doch andere Turnerinnen kamen an die Öffentlichkeit. Darunter Jamie Dantzscher, Gewinnerin der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2000 und Jessica Howard, dreifache US-Meisterin:
"Er steckte seine Finger in mich hinein, bewegte mein Bein und sagte, das würde mir mit meinen Rückenschmerzen helfen."
"Er fing an, mich zu massieren und bestand darauf, dass ich dabei keine Unterwäsche trage. Dann berührte er mehr und mehr intime Stellen."
Nach Anhörung von 165 Klägerinnen verurteilte Richterin Rosemarie Aquilina Nassar zu 40 bis 175 Jahren Haft:
"Ich stelle fest, dass Sie nichts verstanden haben. Sie sind eine Gefahr und bleiben es. Ich glaube an Rehabilitierung, aber nicht bei Ihnen."

Bereits wegen Kinderpornografie-Besitz verurteilt

Ein anderes Gericht hatte Nassar bereits zu 60 Jahren Haft wegen Besitz von Kinderpornografie verurteilt. Ein weiterer Prozess, in dem mindestens 60 Frauen vor Gericht erscheinen werden, begann diese Woche. Urteil und öffentliche Aussagen der Klägerinnen haben ihre Wirkung.
Der gesamte Vorstand des US-Turnverbandes trat inzwischen zurück. Die Präsidentin der Universität von Michigan, wo Nassar das Turnteam betreute, trat zurück. Das US-Olympische Komitee und der Justizminister von Michigan haben unabhängige Untersuchungen eingeleitet.
Doch den Klägerinnen reicht das nicht. Auch nicht dass Nassar sein Leben hinter Gittern verbringen wird. Sie wollen, dass die Ära einer Sportkultur, in der Medaillen und Geld über das Wohlbefinden der Mädchen gestellt werden, beendet wird. Jetzt. Aly Raisman:
"Damit dieser Sport eine Zukunft hat, müssen wir wahre Veränderungen fordern und bereit sein, dafür zu kämpfen. Eins ist klar geworden: wenn wir das Institutionen und Organisationen überlassen, wird sich Geschichte wiederholen."
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