Metaphern in der politischen Kommunikation

Kalkulierte Provokationen

Christian Lindner, FDP-Vorsitzender
FDP-Chef Christian Lindner fühlt sich missverstanden und beruft sich bei seiner umstrittenen Äußerungen auf einen "Bekannten mit Migrationshintergrund". © dpa /Wolfgang Kumm
Von Thomas Klug · 28.05.2018
Komplexes bildhaft beschreiben, an Alltagserfahrungen anknüpfen: Politiker nutzen gerne einfache Metaphern. Doch mit ihrer demonstrierten Volksnähe bedienen sie bewusst Vorurteile und verschieben die Grenzen in der politischen Diskussion.
Neulich beim Bäcker:
Lindner: "Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden ..."
Ob der Typ vor einem wirklich weiß, was er will, wenn er dran ist oder erst dann anfängt, zu überlegen. Ob er passend zahlt oder einen 500-Euro-Schein zückt.
Lindner: "Wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt ..."
Oder wenn einer in Berlin Wecken statt Schrippen verlangt ...
Lindner: "Ob das der hochintelligente Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder ..."
Oder ein hochsprachlich minderbegabter Schwabe mit Gentrifizierungsabsicht.
Lindner: "Oder ein sich bei uns illegal und höchstens geduldeter Ausländer."

Lindner schürt mit seinem Vergleich Ängste

Kay Hinz: "Lindner erzählt eine Geschichte aus der Lebensrealität der Menschen. Man kennt das, man steht beim Bäcker und sieht andere Leute in der Schlange und versucht aber von jetzt auf gleich diese normale Situation zu brechen, in dem er diese Angstkomponente reinbringt, in dem er diese Ängste schürt vor Leuten, die in der Schlange stehen und nicht gut deutsch sprechen."
Analysiert der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Dr. Kay Hinz, das was FDP Chef Christian Lindner auf großer Bühne darbietet, wenn er versucht, volkstümlich zu sein.
"Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die Anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen und Angst vor ihm haben, müssen sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und noch nur gebrochen deutsch spricht."
Denn jeder, der halbwegs gut deutsch spricht und deutsch aussieht, ist ja ein feiner Kerl. Linders Metaphern sind manipulativ. Sie schüren Ängste und manifestieren Rassismus.
"Dann ist eigentlich das Spannende, dass er dieses gebrochene Deutsch auf einen Nutzenaspekt herunterbricht, dass er sagt, wenn diese Person, die schlecht deutsch spricht, aber dann zumindest ein Facharbeiter ist, der Computerkenntnisse hat, dann ist das weniger problematisch und wenn das jemand ist, der womöglich geflüchtet ist, dessen Aufenthaltsstatus nicht klar ist, dann wäre das aus Sicht der anderen Leute, die beim Bäcker stehen, ein Problem. Er verzerrt damit zum einen diese Situation, in der Menschen nicht über Dinge nachdenken, über die Lindner anscheinend nachdenkt, wenn er beim Bäcker steht."

Die Sprache wird schärfer

Und dann fühlt sich Lindner missverstanden – natürlich. Und versteckt sich hinter "einem Bekannten mit Migrationshintergrund".
"Auch wenn Lindner schon zurückgerudert ist, ist Linder schon so professionell und so lange im politischen Geschäft, dass er weiß, was er sagt, wenn er etwas sagt."
Die Zeiten sind lauter geworden, die Metaphern gröber. Sprachliche Sensibilität ist nicht gefragt.
"Die Sprache wird auf jeden Fall schärfer. Es wird mehr die Abgrenzung gesucht. Es werden immer wieder kleine rote Linien übertreten und die Debatte ist heute, gerade was die Ausländerfeindlichkeit betrifft, stärker nach rechts gerückt in den letzten Jahren. D.h., es kann viel mehr gesagt werden, was nicht sanktioniert wird, als das noch vor einigen Jahren der Fall war."

Dobrindt: "Es ist nicht akzeptabel, dass eine Anti-Abschiebe-Industrie dafür sorgt, dass die Bemühungen des Rechtsstaates unterlaufen werden."
Alexander Dobrindt mag keinen Rechtsweg für alle. Er deutet die Realität einfach um und hofft auf Beifall. Und Aufregung. Der Kommunikationswissenschaftler Kay Hinz:
"Die Kräfteverhältnisse drehen sich in der Argumentation von Dobrindt um. Wir sehen zivilgesellschaftliche Akteure, die arbeiten für geflüchtete Menschen, die aus Not geflüchtet sind. Diese Bemühungen und auch die Motivation, das zu tun, wird in das Gegenteil gekippt. Es soll damit verdeutlicht werden, dass die Leute, die sich gegen Abschiebung einsetzen, es aus wirtschaftlichen Interessen machen und auch eine gewisse Macht haben gegenüber staatlichen Organen."
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindts Äußerungen sind bewusst gewählt, die Aufregung darüber ist kalkuliert.© imago / ZUMA Press

Die Aufregung ist kalkuliert

Dobrindt: "Wir brauchen deswegen Schnellverfahren für gewaltbereite kriminelle Asylbewerber."
Hinz: "Man sieht schon, dass Dobrindt ein klares Interesse hat, das so rüberzubringen und auch das Bild vermitteln möchte, dass die Arbeit, die da gemacht wird, nicht rechtmäßig wäre."
Kräftige Metaphern, leicht verständlich. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kann ein leises Lächeln nicht verbergen, wenn er so redet. Das Lächeln ist die Vorfreude über die Aufregung, die er wieder auslösen wird. Die Aufregung ist kalkuliert. Dobrindt ist keiner von denen, die beim Sprechen denken. Er weiß vorher, was er sagt.
"Sprache ist in gewisser Weise Macht. Damit ist Sprache auch ein Instrument zur Sicherung und Ausübung von Macht, dadurch das eine bestimmte Bedeutung hervorgerufen wird durch diese Metaphern."
Die Metaphern der Politik sind oft Glückssache, aber sie verbreiten sich. Politiker wissen das. Sie nutzen das. Und kämpfen so für die Deutungshoheit in politischen Debatten. Manchmal auffällig und penetrant, wie vor Wahlen. Z.B. wenn FPD-Politiker zum – Achtung Metapher - personifizierten Phrasenschwein werden und permanent "Mehr Netto vom Brutto" grunzen. Und manchmal werden Begriffe lanciert, die zunächst die Gehörgänge und dann das Denkvermögen blockieren und zum Nachplappern auffordern:
"Wenn Metaphern weitergetragen werden, ist man quasi Teil davon, die Metapher in die gesellschaftliche Debatte und in die Gesellschaft zu bringen. Insofern besteht das Problem, Metaphern uneingeordnet zu übernehmen oder unreflektiert zu übernehmen. Und das ist es, was viel zu selten gemacht wird. Wenn wir Begriffe hören wie ‚Flüchtlingswelle‘ seit 2015. Diese Verbindung von Flüchtlingen und Naturkatastrophe. Damit schafft man bestimmte Bilder. Da schafft man ein Bild von einer Sache, die nicht beherrschbar ist."
Kay Hinz hofft auf eine kritische Öffentlichkeit:
"Die hinschaut, die sich Begriffe anschaut und diese Begriffe entsprechend einordnet und dann auch, wenn Begriffe beleidigend sind oder die schrägen Bilder vermitteln und die Debatte damit auch verzerren, kann man hoffen, dass das auch medial vermittelt aufgelöst wird, dass das thematisiert wird."
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