Messe der Schausteller

Zwischen Hightech und Nostalgie

Von Susanne Lettenbauer · 26.01.2016
Die Zeiten sind vorbei, in denen auf dem Rummelplatz alles schneller, höher, weiter sein musste. Heute sollen Fahrgeschäfte vor allem Ü50-tauglich sein. Auf der Interschau Augsburg zeigt sich: Der Kunde möchte Altbewährtes und doch immer wieder überrascht werden.
Die Vergangenheit ist allgegenwärtig auf dieser Messe. In Dauerschleife. Sie wirkt mal verklärt, mal penetrant. Sie will einfach nicht aufhören, diese historische Kirmesorgel. Stolz flankieren zwei alte Zugmaschinen die angejahrte Jahrmarktsattraktivität. Auf Speichern und alten Bauernhöfen finden sie sich plötzlich wieder, die lärmenden Zeitzeugen traditioneller Vergnügungsmärkte. Der Kunde erwarte das, meint Andreas Diez, in seiner Fabrik trimmt er neue Karussells auf alt.
"Der Kunde möchte schon was Altbewährtes, auch neue Elemente sehen, aber der Kirmesbesucher hat natürlich auch seine Vorstellung, wie man das gewohnt ist und ganz was Neues, Extravagantes kommt auch meistens nicht an."
Karussellpferde locken kein Kind hinterm Smartphone hervor
Diez drückt auf die alte Karussellhupe. Jahrmarktsmagie, Kindheitserinnerungen - einerseits. Andererseits locken die drehenden Plastikpferdchen, Schwäne und Miniautos kein Kind mehr hinterm Smartphone hervor, sagt Diez und meint damit seine Tochter:
"Ein sechs-, sieben-, achtjähriges Kind will fast nicht mehr auf einem Karussel fahren, die wollen in einem Breakdancer sitzen, es ist alles schneller geworden, schnellebiger, aber auch schneller. Ich habe selbst eine Tochter, die sagt, Papa, ich will was Schnelleres fahren, da fängt es doch schon an, dass die Kinder schneller erwachsen werden."
Selbst wenn er moderne Trinkfilmfiguren wie Shrek, die Unglaublichen, den König der Löwen oder Manni das Mammut auf seine Karussell stellen würde, kämen vielleicht mehr Kinder, aber es bliebe das Problem mit den Disney-Lizenzen. Also bleibt er bei den Plastikpferdchen – und schraubt bunte LED-Lichter unters Karusseldach. Marcel Jansen von Leuchten-Marek freuts an seinem Stand nebenan:
"Das ist die Firma Marek Lichttechnik aus Holland. Mein Name ist Jansen, wir haben eine Fabrik und stellen selber LED her und auch Steuerungen dafür."
Hektisch pulsiert das Licht, der Farbwechsler wird von einer drahtlosen Konsole gesteuert:
"Was die Leute unbedingt haben wollen, ist, dass sie die Möglichkeit haben, selbst etwas von der Kasse zu regeln. Dass man sagt, jetzt will ich nur haben, dass es Standlicht ist oder jetzt soll es bunt laufen. Das ist der Trend... Und da ist die Technik in der Entwicklung. Wir haben hier ein drahtloses System stehen, womit man das steuern kann."
Vegane Bratwurst auf dem Jahrmarkt - ob das funktioniert?
Und die LEDs sorgen für Energieeinsparung. Für Schausteller ein magisches Wort. Denn die Branche leidet. Der Kirmesbesucher möchte immer wieder überrascht werden. Mit Tradition, modern aufgepimpt, auch im sogenannten Frontcookingbereich, vulgo Fressbude, erklärt Michael Hameister von der Kieler Firma Heidebrenner.
"Wichtig ist für die Schausteller, dass sie sich präsentieren können. Von daher sind die großen Dinge immer auch ein Eyecatcher."
Seine Hand zeigt auf eine Megapfanne mit drei Fächern:
"Klar kann ich auch eine kleine Pfanne nehmen, wenn ich einen kleinen Wagen habe und eine kleine Fläche habe. Wenn ich aber sage, ich möchte mehrere Produkte hier im Frontcookingbereich anbieten, dann nehm ich die große Pfanne, da kann ich drei Speisen zubereiten."
Möglichst vegetarisch und vegan gleichzeitig in der Pfanne. Gesunde Gerichte gibt bei ihm künftig auch, sagt Heino Steinker, Inhaber einer Imbissfirma und Chef des Augsburger Schaustellerverbandes. Es klingt ein wenig ironisch
"Wir werden diese Sason vegane Bratwurst anbieten, schauen wir mal, ob das funktioniert."
Ob er auch clean eating an seiner Imbissbude anbieten wird? Reine Kost, biologisch angebaut. Wie früher?
Eine Nummer kleiner tut's auch
Mit alten Maschinen hat Klaus Schneider von der SAD Maschinenbau zwar auch zu tun, aber die klingen ganz anders als die Orgel. Seit die DIN-Norm europäischem Recht folgt, müssen fast alle Fahrgeschäfte umgerüstet werden. Und neue Fahrgeschäfte sollen Ü50-tauglich sein – demografischer Wandel auf dem Jahrmarkt. Nicht mehr höher, schneller, weiter, sondern langsamer, gemütlicher, unspektakulärer. Passend für Opa und Enkel und kostengünstiger:
"Es wird eher von den Schaustellern begrenzt mittlerweile, die sagen: ich will nicht mehr mit einem Trumm von 100 Tonnen durch die Gegend fahren, sondern es reicht auch einer von 50 Tonnen, es ist der Schausteller, der sagt, wir gehen mal wieder eine Nummer kleiner, groß hatten wir, jetzt gehen wir wieder in normale Größen."
Seelsorge mit Klappaltar
Die alte Orgel scheint davon nicht beeindruckt. Gleich in Hörweite ihrer Pfeifen versucht Pater Sascha Enninghaus an seinem Gemeinschaftsstand der evangelischen und katholischen Zirkus- und Schaustellerseelsorge zu erklären, wie Kirche unterwegs funktioniert. Mit seinem Klappaltar, Kerzenhalter, Kreuz und Bibel reist der Nationalseelsorger der deutschen Bischofskonferenz von Kirmes zu Jahrmarkt:
"Nein, die Zeit ist vorbei. Früher gab es tatsächlich ein Wohnmobil, das mitgezogen wurde, aber da man inszwischen sehr schnell unterwegs ist, nutzen wir das Hotel oder fliegen einfach hin und fliegen wieder zurück, weil die Aufenthaltsdauer nicht mehr so lang vor Ort ist."
Ganz schnell kann eine Autoscooterfläche zur Behelfskirche umfunktioniert werden, zeigt Engelhaus auf die Fotos am Stand. Trauungen, Taufen, Trauerfeiern zwischen Karussell und Schießbude, improvisierte Besinnlichkeit für unterwegs, mit dem Segen des Papstes:
"Es ist nur für den, der privat ist, der ungewöhnliche Ort. Für die Schausteller ist das seit vielen Jahren ihr Ort, ihre Kirche und in dem Moment, wo die Scheesen, wie man die Autoscooter nennt, zurück gefahren werden und die Bänke aufgestellt werden und man Platz nimmt, ist es ihre Kirche."
In schweren Zeiten haben Jahrmärkte Hochkonjunktur
Ob er irgendwann einmal einen Seelsorger braucht? Der Airbrushmaler Uwe Siefert einige Stände weiter. Er ist der letzte seiner Art. Er malt glitzernde Marilyn Monroes über Karusselleingänge, lachende Clowns an Schiessbuden, bunte Raumschiffe auf Fahrgeschäfte. Alles mit der Hand, Pinsel oder Farbpistole.
"Es gibt eigentlich so zwei Trends. Es ist einmal die Nostalgieschiene, dass man sich auf das alte besinnt, da kommen auch die alten Glühbirnen wieder hin, dann versucht man das wieder auf diese Sache zu machen. Und dann auf der anderen Siete, wie man hier sieht, die LED, diese schreienden Lichter, die in meinen Augen fast alles erschlagen. Und das sind so die beiden Trends, die so momentan laufen."
Sein Nachfolger müsste Lackierer lernen, kreativ sein, praktisch alles auf Holz, Metall oder Leinwand umsetzen können. Er hat noch niemanden gefunden.
Siefert und sein Stand – ein Symbol für den Zustand der Branche. Schneewittchen und Clowns, der Trend zum Jahrmarktskitsch der Kindheit. Glitzernde Weltall-Wagen und Software gesteuertes LED-Geblinker im Kampf gegen die Kirmesmüdigkeit der Gegenwart. Nachwuchs vor und hinter der Bude macht sich rar. Ironischerweise spielt die politische Entwicklung den Schaustellern in die Hände. Schwere Zeiten sind Hochkonjunkturzeiten für Jahrmärkte. Es könnte bald wieder so sein, meinen einige Schausteller.
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