Merkels Patriotismus
Bei weiblichem Patriotismus denkt man natürlich zuerst an die Heilige Johanna, an Jeanne d’Arc, an die Jungfrau von Orleans, also an ein lothringisches Bauernmädchen, das ein Keuschheitsgelübde ablegt, sich während des Hundertjährigen Krieges an die Spitze der von den Engländern schwer bedrängten französischen Streitmacht setzt und die militärische Wende herbeiführt. Johannas Bereitschaft zu Opfer und Verzicht ist ebenso groß wie ihre Willensstärke beim Verfolgen ihres Ziels. Freilich gerät die gepanzerte Johanna dann doch in einen tragischen Gewissenskonflikt. Sie verliebt sich in einen der Feinde und schenkt dem Besiegten das Leben. Das ist der Anfang ihres Endes.
Angela Merkel, die jetzt von CDU und CSU auf den Schild gehoben ist, das Vaterland zu retten, wird solche Tragik erspart bleiben, wie immer die Wahl ausgeht. Auch braucht sie, um zur patriotischen Lichtgestalt zu werden, weder göttliche Erleuchtung noch ein Keuschheitsgelübde. Es genügt, daß sie Bürgerin ist. Wir sind schließlich eine aufgeklärte Zivilgesellschaft. Und also ist es völlig normal, daß der nächste Kanzler eine Kanzlerin, der mächtigste Mann eine Frau sein könnte. Und doch: Es umfängt diese Szenerie eine Aura des Märchenhaften. Die Pfarrerstochter aus der Uckermark will Deutschland regieren. Sie sagt das mit einem altmodischen, scheinbar aus uralten Zeiten herbeizitierten Satz: Ich will Deutschland dienen.
Das ist fast schon ein Gelübde und geht, jedenfalls rhetorisch, über das hinaus, was in diesem Land seit einiger Zeit der patriotische Ton ist. Vor mehr als Jahresfrist stritten sich Angela Merkel und Bundeskanzler Schröder im Bundestag über den Patriotismus, nachdem der Kanzler das Verlagern von Arbeitsplätzen ins Ausland als "unpatriotisch" bezeichnet hatte. Seitdem rumort das Patriotismus-Motiv im politischen Diskurs herum. Der neue Bundespräsident Köhler erregte dann mit dem schlichten Bekenntnis, er liebe dieses Land, Aufmerksamkeit und Lob von allen Seiten. Woran man ersehen kann, dass die Deutschen doch manche Verkrampfung hinter sich gelassen haben. Als zehn Jahre vor Köhler der frisch gewählte Bundespräsident Roman Herzog seine Landsleute dazu aufforderte, "unverkrampft" mit ihrem Land und seiner Geschichte umzugehen, erhob sich noch ein mächtiger Chor der Bedenkenträger, die in solchen Aussagen eine gefährliche "Schlußstrichmentalität" oder die Anmaßung deutscher "Normalität" witterten. Angela Merkel geht nun einen Schritt weiter. Sie befaßt sich nicht mehr mit ihrer Befindlichkeit als Deutsche, sie spricht nicht darüber, welche Gefühle sie mit Deutschland verbinden und wie sie sich dabei fühlt, Deutsche zu sein. Sie will ihrem Land dienen. Wie die Heilige Johanna, die ja auch den subjektiven Faktor ausschaltete - bis er sie dann überwältigte.
Das, wie gesagt, kommt, für Angela Merkel nicht in Frage. Das Absehen von der eigenen Person soll ja auch keine Feier der Selbstlosigkeit, sondern zunächst einmal ein dicker Strich sein, den sie Gerhard Schröder durch die Rechnung machen will. Der Kanzler hatte seinen Neuwahl-Coup mit einer radikalen Personalisierung der Wahlalternative verbunden: Sie oder ich. Angela Merkel verweigert sich dem und antwortet: Es geht um Deutschland. Im Moment sieht es so aus, als könne sie Schröder so auch in den persönlichen Sympathiewerten überflügeln. Es ist überhaupt erstaunlich, wie die vom Kanzler initiierte Beschleunigung des politischen Prozesses der Herausforderin zugute kommt.
Ob Angela Merkels Dienstversprechen vom Heraufziehen einer neuen politischen Kultur kündet, von einer Rückbesinnung zum Beispiel auf preußische Tugenden, das bleibt abzuwarten. Feststellen läßt sich zumindest, daß solche Redeweise heute niemanden mehr verschreckt und daß sie auch nicht mehr als hoffnungslos veraltet gilt. Im Gegenteil: Nichts mutet heute altmodischer an als das hedonistische Selbstverwirklichungs-Paradigma seligen Angedenkens. Die Frage ist nur, wie die Kanzlerkandidatin jenes Deutschland, dem sie dienen will, definiert im Koordinatenkreuz von Globalisierung und Individualisierung, was gemeint sein soll, wenn wir von "wir" reden. Angela Merkel ist dienstbereit. Aber richtig konkret geworden ist sie noch nicht.
Eckhard Fuhr ist Feuilletonchef der Tageszeitung "Die Welt". Zuvor war er langjähriger Leitartikler und Ressortchef Innenpolitik bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Fuhr, geboren 1954, hat Geschichte und Soziologie studiert. Ab 1980 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Freiburger Universität. 1986 begann er seine journalistische Laufbahn bei der FAZ. Zunächst in der Nachrichtenredaktion tätig, wechselte er später ins Innenressort und betreute auch die Politischen Bücher.
Das ist fast schon ein Gelübde und geht, jedenfalls rhetorisch, über das hinaus, was in diesem Land seit einiger Zeit der patriotische Ton ist. Vor mehr als Jahresfrist stritten sich Angela Merkel und Bundeskanzler Schröder im Bundestag über den Patriotismus, nachdem der Kanzler das Verlagern von Arbeitsplätzen ins Ausland als "unpatriotisch" bezeichnet hatte. Seitdem rumort das Patriotismus-Motiv im politischen Diskurs herum. Der neue Bundespräsident Köhler erregte dann mit dem schlichten Bekenntnis, er liebe dieses Land, Aufmerksamkeit und Lob von allen Seiten. Woran man ersehen kann, dass die Deutschen doch manche Verkrampfung hinter sich gelassen haben. Als zehn Jahre vor Köhler der frisch gewählte Bundespräsident Roman Herzog seine Landsleute dazu aufforderte, "unverkrampft" mit ihrem Land und seiner Geschichte umzugehen, erhob sich noch ein mächtiger Chor der Bedenkenträger, die in solchen Aussagen eine gefährliche "Schlußstrichmentalität" oder die Anmaßung deutscher "Normalität" witterten. Angela Merkel geht nun einen Schritt weiter. Sie befaßt sich nicht mehr mit ihrer Befindlichkeit als Deutsche, sie spricht nicht darüber, welche Gefühle sie mit Deutschland verbinden und wie sie sich dabei fühlt, Deutsche zu sein. Sie will ihrem Land dienen. Wie die Heilige Johanna, die ja auch den subjektiven Faktor ausschaltete - bis er sie dann überwältigte.
Das, wie gesagt, kommt, für Angela Merkel nicht in Frage. Das Absehen von der eigenen Person soll ja auch keine Feier der Selbstlosigkeit, sondern zunächst einmal ein dicker Strich sein, den sie Gerhard Schröder durch die Rechnung machen will. Der Kanzler hatte seinen Neuwahl-Coup mit einer radikalen Personalisierung der Wahlalternative verbunden: Sie oder ich. Angela Merkel verweigert sich dem und antwortet: Es geht um Deutschland. Im Moment sieht es so aus, als könne sie Schröder so auch in den persönlichen Sympathiewerten überflügeln. Es ist überhaupt erstaunlich, wie die vom Kanzler initiierte Beschleunigung des politischen Prozesses der Herausforderin zugute kommt.
Ob Angela Merkels Dienstversprechen vom Heraufziehen einer neuen politischen Kultur kündet, von einer Rückbesinnung zum Beispiel auf preußische Tugenden, das bleibt abzuwarten. Feststellen läßt sich zumindest, daß solche Redeweise heute niemanden mehr verschreckt und daß sie auch nicht mehr als hoffnungslos veraltet gilt. Im Gegenteil: Nichts mutet heute altmodischer an als das hedonistische Selbstverwirklichungs-Paradigma seligen Angedenkens. Die Frage ist nur, wie die Kanzlerkandidatin jenes Deutschland, dem sie dienen will, definiert im Koordinatenkreuz von Globalisierung und Individualisierung, was gemeint sein soll, wenn wir von "wir" reden. Angela Merkel ist dienstbereit. Aber richtig konkret geworden ist sie noch nicht.
Eckhard Fuhr ist Feuilletonchef der Tageszeitung "Die Welt". Zuvor war er langjähriger Leitartikler und Ressortchef Innenpolitik bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Fuhr, geboren 1954, hat Geschichte und Soziologie studiert. Ab 1980 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Freiburger Universität. 1986 begann er seine journalistische Laufbahn bei der FAZ. Zunächst in der Nachrichtenredaktion tätig, wechselte er später ins Innenressort und betreute auch die Politischen Bücher.