Mentor des Undergrounds

Von Carsten Probst · 27.11.2006
Als Lektor im Aufbau-Verlag hat Gerhard Wolf in der DDR junge, unangepasste Autoren gefördert. Auch die vielgerühmte literarische Underground-Szene vom Prenzlauer Berg hat ihm als Mentor viel zu verdanken. In seinem Kleinverlag "Janus Press" widmet sich der Mann von Christa Wolf der experimentellen Literatur. Die Akademie der Künste in Berlin präsentiert nun Einblicke in Wolfs Archiv.
Handgetippte, handgemalte, in winzigen Auflagen mehr oder weniger konspirativ verteilte und oft ziemlich experimentelle Kleinstpublikationen, selten in gebundener Form, oft als lose Blätter, Anthologien mehr denn fertige Einzelwerke, dazu die schummrigen Schwarzweiß-Fotos aus dichtbevölkerten Ostberliner Privatwohnzimmern, wo sie getagt haben. Auch wenn - oder gerade weil - diese Aufnahmen von später erfolgreichen Künstlern wie Thomas Florschuetz gemacht wurden, dokumentieren sie hier doch vor allem den inoffiziellen, dabei hochpolitischen Dilettantismus dieser neuen kleinen Künstlergruppen. Die stolzesten Erzeugnisse stehen am Ende der achtziger Jahren mit richtigen gebundenen Büchern im Aufbau-Verlag unter dem bezeichnenden Serientitel "Außer der Reihe", die allerdings wurde auch unmittelbar nach der Wende wieder eingestellt, diesmal aus Geldmangel.

Darüber hinaus wurde Gerhard Wolf spätestens seit den siebziger Jahren intensiv von der Stasi observiert - nicht zuletzt durch von ihm selbst geförderte Dichter wie Sascha Anderson - und das bei weitem nicht nur deshalb, weil er sich dem Künstlerprotest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns angeschlossen hatte.

Kein Vergleich also zum properen, oft genug auch reichlich staatstragend daherkommenden Sendungsbewusstsein der Gruppe 47, die in der bundesrepublikanischen Medienöffentlichkeit seit den sechziger Jahren überaus prominent vertreten war, die sich, wie in Person von Günter Grass oder Enzensberger aktiv in die Politik einmischte.

Gerhard Wolfs Wirken in der Autorenszene vom Prenzlauer Berg dagegen lässt sich historisch wohl kaum anderes beschreiben als das eines literarischen Hasardeurs, der persönlich viel aufs Spiel setzte, um überhaupt ein Lebenszeichen neuer, unabhängiger DDR-Literatur zu bewahren. Ohne Gerhard Wolf, so lässt sich ohne Übertreibung resümieren, hätte es die heute so romantisch verzuckerte Prenzlberg-Szene in ihrer historischen Ausprägung nicht gegeben.

Dennoch hat der Fall der Berliner Mauer inzwischen ein völlig anderes Licht auch auf Gerhard Wolf und die von ihm geförderten Dichter- und Künstlerkarrieren geworfen, nicht zuletzt durch die Enttarnung besagter Stasizuträger unter den Dichtern. Gleich gebührt ihm das Verdienst der Entdeckung einer singulären, aber darum heute immer noch viel zu unbekannten Lyrikerin wie Elke Erb. Er unterstützte frühzeitig heute anerkannter Groß-Autoren wie Volker Braun oder Sarah Kirsch, Adolf Endler oder Johannes Bobrowski, er sorgte für Neuentdeckungen unter den Jungen wie Bert Papenfuß oder Reinhard Jirgl, während andere wie Johannes Jansen, Richard Pietraß oder Eberhard Häfner inzwischen wieder in der Versenkung verschwunden sind beziehungsweise das experimentelle literarische Außenseiterdasein weiterhin hochhalten.

Erhellend ist weiterhin, dass Wolf vor und vor allem nach der Wende mit seinem Verlag Janus Press gerade die experimentelle Schiene weitergefahren ist und sich nicht dem plötzlichen gesamtdeutschen Marktdruck gebeugt hat. Er ist Kleinverleger aus Überzeugung geblieben, um sich Spielräume zu erhalten.

Nicht den inzwischen wohlständigen literarischen Ikonen Westdeutschlands hat er sich angedient, sondern seine Kontakte zur experimentellen Szene Wiens ausgebaut. Alte Freundschaft verband und verbindet ihn ohnehin schon mit Ernst Jandl und Friederike Mayröcker. Mitte der neunziger Jahre vereinte er dann in einem Sammelband einen Reigen neodadaistischer Wiener Autoren, wie es bis dahin kaum ein deutscher Verlag in dieser Opulenz über sich gebracht hatte.

Dieser "Gruß von Berlin nach Wien und zurück", wie Wolf sein Österreich-Projekt nannte, bezeichnet seine lebenslange literarische Sehnsucht vermutlich am besten: Die Idee einer transnationalen Moderne, die erst durch Hitler, dann durch den sozialistischen Realismus pervertiert und während des Kalten Krieges nahezu verschüttet worden ist. Eingeschlossen im tiefen Bunker des Berliner Akademie-Archivs wirkt sie heute unfreiwillig etwas traurig.