Menschenzoo mit gebrochenem Blick

Von Stefan Keim · 20.09.2012
Die Völkerschau des Performancegruppe "Monster Truck" widmet sich den Mongolen - und wer könnte das besser machen als Schauspieler mit Downsyndrom, die jahrelang politisch unkorrekt "Mongoloide" genannt wurden. "Monster Truck" schafft es, die Blicke der Zuschauer immer wieder zu brechen und jede Erwartungshaltung zu unterwandern.
Countrymusik schallt durch den Raum, eine Westernszenerie ist aufgebaut. Nur, um gleich wieder abgeräumt zu werden. Denn heute sind die Mongolen dran in der Völkerschau des Performancekollektivs "Monster Truck". Und wer könnte Dschingis Khan und seine Zeitgenossen besser verkörpern als Menschen mit Down-Syndrom, die man früher als "Mongoloide" bezeichnete. Das klingt mehr nach einer politisch unkorrekten Schnapsidee als nach einem Konzept für einen Theaterabend. Doch "Monster Truck" schafft es, die Blicke der Zuschauer immer wieder zu brechen und jede Erwartungshaltung zu unterwandern.

Im schicken Kostüm steht Sarah Rahimi, eine der drei "Monster Truck"er, am Rande der Bühne und gibt über Mikroport Anweisungen. Die drei Darsteller mit Down-Syndrom, von denen zwei schon viel Bühnenerfahrung im Berliner Theater Thikwa gesammelt haben, gehorchen aufs Wort. Sie lassen sich lenken und vorführen, mit billigen schwarzen Zottelperücken und quasihistorischen Gewändern aus der Mottenkiste. Doch obwohl sie offensichtlich manipuliert werden, spielen sie ihre seltsamen, trashigen Szenen mit einer kindlichen Freude. Die drei gehen ins Publikum, umarmen und küssen Zuschauer, geben den absurdesten Momenten eine Ahnung von Reinheit. Einer öffnet eine Sektflasche, schenkt ein, die anderen kippen haltbare Milch dazu, und die Übertitel verraten, dass Dschingis Khan und sein Heer nun gegorene Stutenmilch nach traditioneller Methode zubereiten. Die anderen Performer von "Monster Truck" und der Musiker Mark Schröppel stehen am Rand, spielen Musik zu, sorgen für ein paar Lichteffekte.

Dann sind sie plötzlich weg. Die drei vom Theater Thikwa sind allein, in die Freiheit geworfen. Erst spielen sie scheinbar planlos ein bisschen herum. Dann verschwinden sie hinter der Bühne und holen ein Katapult hervor. Unter den Bühnenbrettern finden sie Totenschädel aus Styropor, die sie nun auf das Publikum schießen, während eine mit der Nebelmaschine herum geht. Die Behinderten ballern zurück, knallen den Zuschauern ihre Vorurteile um die Ohren.

Doch auch die scheinbare Freiheit wird wieder gebrochen. Manuel Gerst von "Monster Truck" ergreift das Wort. Er hat eine seltene genetische Krankheit, das TAR-Syndrom, seine Unterarme sind zu kurz. Gerst lästert über das Behindertentheater, das vorgaukelt, anders zu sein, sei schön. Sei es nämlich nicht, sondern schrecklich. Er distanziert sich von der Aufführung, das sei alles eine Idee seiner Kolleginnen gewesen, die keine Behinderung und somit auch keine Ahnung hätten.

Die Aufführung steht ständig auf der Kippe. Jede These findet sofort einen Widerspruch. Die bissig-bittere Satire auf das immer stärker werdende Inklusionstheater stößt auf die unleugbare Tatsache, dass die Thikwa-Darsteller richtig Freude haben. Ist es dann trotzdem verwerflich, sie auszustellen und vorzuführen? Sie lassen sich nämlich nicht zu Objekten des Voyeurismus machen, sondern ziehen ihr eigenes Ding durch. "Dschingis Khan - Eine Völkerschau" ist abgründiges Diskurstheater und gleichzeitig ein fröhliches Happening, mehrfach gebrochen, oft überraschend.